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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Die neueste englische Eroberung in Ostindien.
(Königreich Oude mit der Hauptstadt Lucknow.)

Das ostindische Königreich Oude ist neuerdings wiederholt als Episode auf der Weltbühne aufgetreten. Wir wissen bereits etwas davon aus früherem Nummern, wie es zum Verschlingen von der englischen Compagnie eingeschnürt ward. Ganz wie´s die Riesenschlangen machen. Sie umarmen ihr Opfer, drücken ihm alle Knochen entzwei, machen es hübsch rund und glatt, speicheln es über und über ein und verschlingen´s dann mit Haut und Haar. Sind solche „Eroberungen“ sehr groß und die Riesenschlange auch, kommt letztere doch trotz riesenmäßiger Verdauungskraft nicht selten in den Fall, kraft- und bewegungslos da liegen zu müssen und sich mitten im Verdauungsprocesse todtschlagen lassen zu müssen. Die erobernden Staaten starben denn auch immer an der Unfähigkeit, das massenweis Verschlungene zu verdauen. Ihre Größe machte sie klein und schwach. England hat Irland noch nicht verdaut, noch nicht Südafrika, noch nicht seine Bissen in Centralamerika, die ihnen Amerika´s Präsident nicht gönnt, noch nicht Ostindien - und doch ist es eben schon wieder damit beschäftigt, ein ganzes Königreich aufzufressen.

Das königliche Schloß in Lucknow.

Das Königreich Oude, 25,000 englische Geviertmeilen umfassend, also halb so groß wie England, ist das einzige Terrain in der großen Gangesebene, welches der englischen Compagnie bisher noch nicht gehörte, und durch welches sie deshalb ihre beinahe europagroßen Besitzungen jetzt „abrunden“ will. Es dehnt sich in der Gangesebene zwischen dem 80. und 82. Grade östlicher Länge von den Ufern des Ganges bis in die Himalayagebirge aus. Wir wollen nicht in Einzelnheiten des ausgebrochenen Bürger- und Religionskrieges zwischen den Hindu´s und der muhamedgläubigen Bevölkerung von Oude eingehen, da weder die im Kriege begriffenen Glaubensartikel, noch die einzelnen Schlächtereien ein gedenkliches oder Kulturinteresse haben. Nur so viel, daß die Unterthanen des Königs von Oude, in Muhamedaner und buddhistische Hindu´s gespalten, mit beiden Religionen auch in dessen Heere dienen und der entzündete religiöse Haß durch diplomatische und strategische Kunststücke des englischen Kapitains Barlow, Commandeurs der „zur Ruhestiftung“ gesandten Truppen der englischen Compagnie, auch in den Truppen des Königs genährt und zum Ausbruche angeblasen ward. So theilte er Hindu´s und Muselmänner und hetzte sie gegen einander. Dazwischen ward es ihm nicht schwer, Meister auf verschiedenen Schlachtfeldern zu bleiben, obgleich die muselmännischen Truppen, als sie seinen Verrath merkten, mit dem heroischsten, todesmuthigsten Fanatismus kämpften und sich massenweise mit geschwungenen Schwertern den brüllenden Kanonenkugeln entgegenstürzten, um mitten unter den Feinden umherhauend niedergemetzelt zu werden.

Nur eine Einzelnheit. Kapitain Barlow hatte unter seinen Artilleristen einen einzigen Muhamedaner. Er weigerte sich, auf seine Glaubensgenossen zu schießen. Man sagte ihm, diese Weigerung werde mit dem Tode bestraft.

„Ich weiß das,“ antwortete er, „ich will lieber sterben, als meine Glaubensgenossen tödten!“

Kapitain Barlow ließ ihn auf der Stelle niedersäbeln. Die Pathaner (muselmännische Rebellen unter ihrem Propheten und Chef Amir Alee) ließ er sich in einer von ihm construirten Falle, so daß sie von ihm in Front und von Hindu´s im Rücken angegriffen wurden, kämpfend und um sich niedermähend bis auf den letzten Mann vernichten. Nicht Einer ergab sich lebendig. Niemand bat um Schonung, Niemandem ward sie. Das Schicksal Oude´s entschied sich im Verlaufe vorigen Novembers

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_089.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)