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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

solche haben sie die Geldfrage, welche doch so tief in die gesellschaftlichen Zustände eingreift, zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht. Emil Pereire schrieb seiner Zeit finanzielle Artikel, die große Beachtung fanden; so ward er bekannt, so kam er in Berührung mit Geldleuten, so kam er empor. Ein eigenthümlicher Zug dieser großen Unternehmer ist es, daß sie sich mit der literarischen und Kunstwelt im Zusammenhang erhalten. Besonders befreundet sind sie mit dem Dichter Beranger.

Bei Gelegenheit einer großen Aktienunternehmung schickten sie dem greisen Sänger hundert Stück Aktien zu, die einen reinen Gewinn von fünfzigtausend Franken bereits abwarfen. Der Poet kam athemlos mit der Sendung gelaufen und frug, gänzlich unerfahren in solchen Dingen, was denn die Papiere zu bedeuten hätten. Herr Isaak Pereire erklärte, daß, da doch die Aktien für das Publikum bestimmt seien, man ihm auch einige zugeschickt hätte. Damit war aber die Sache noch nicht abgemacht. Herr Beranger verlangte nähere Erklärung über die Vortheile, welche man ihm durch die Betheiligung zukommen ließ, und als er von fünfzigtausend Franken Gewinn hörte, erschrak er beinahe und rief: „Was soll ich mit so viel Geld anfangen?“ Er bestand darauf, daß die Aktien zurückgenommen würden. Herr Isaak widersetzte sich dem Ansinnen, bis durch eine Ausgleichung dem Streit ein Ende gemacht wurde, die darin bestand, daß sich Herr Beranger entschloß, zehn der angebotenen Aktien anzunehmen.

Während Baron Rothschild, umgeben von seinen Getreuen, in der Halle dastand, und den Blick weithin schweifen ließ über das Gewühl, ungefähr wie ein Feldherr, der dem Gewürge einer Schlacht zusieht, bemerkte man in einem andern Theile des Saales einen Mann von kleiner Gestalt, schwarzen Haaren und Augen derselben Farbe, über die sich dunkle und dicke Brauen wölben und die klug und durchdringend blicken. Sein Anzug ist auffallend elegant, aber der Haltung fehlt die Feinheit, den Bewegungen Freiheit und Anmuth. Auch um diesen Mann war ein Häuflein gesammelt, aber freilich nicht zu vergleichen mit der Schaar um den Baron. Alle Augenblicke näherten sich ihm Courtiers mit den weißen Täfelchen, auf denen alle Schwankungen der Course verzeichnet stehen, und welche er einer raschen Uebersicht würdigte. Als nun der Ausruf: „der Baron Rothschild ist da!“ rasch sich verbreitend bis hierher dringt, verfärbt sich der kleine Mann ein wenig und beißt unmerklich in die Unterlippe, ohne ein Wort zu sagen. - Dieser Mann ist Herr Mires, die dritte Macht, oder besser gesagt, die Macht dritten Ranges auf der Börse. Ob er gleich, wie aus dieser Bezeichnung hervorgeht, keineswegs mit den beiden andern zu vergleichen ist, so bleibt doch sein maßgebender Einfluß außer allem Zweifel, und es giebt eine ganze Masse von Spekulanten, die sich nach ihm richten und die, um mich eines hier seit der letzten politischen Umwälzung sehr in Gebrauch gekommenen Ausdrucks zu bedienen, seinem Sterne folgen.

Herr Mires ist ein Parvenue im ganzen Umfang der Bedeutung des Wortes; aber gerade durch sein rasches Emporkommen steht er der Masse von Börsenspielern am nächsten, sie sieht in ihm ihre Hoffnungen verkörpert. Die Herren Pereire wurden von Talenten getragen, Herr von Rothschild hat schon auf der Höhe das Licht der Welt erblickt; aber Herr Mires ist reich geworden durch die Gunst des Zufalls, des Glückes, durch Mittel, auf die zu zählen Jeder die gleiche Berechtigung hat. Noch vor wenig Jahren redigirte Herr Mires ein unansehnliches Blättchen des Namens „l’Audience“, das die Verhandlungen in den Gerichtssälen wiedergab. Der Redakteur bot nichts dem Blatte und das Blatt nichts dem Redakteur. Für Beide war die Verbindung zu unersprießlich, als daß sie sich nicht hätten scheiden sollen. Im Jahre 1848 gelang es Herrn Mires, sich zum Bevollmächtigten mehrerer Eisenbahnaktionäre zu machen, und er wurde mit der Aufgabe betraut, die Interessen derselben gegenüber den Unternehmern zu vertreten, da die Stürme des verhängnißvollen Jahres die Aktien tief unter Pari gedrückt. Was that Herr Mires, wie erfüllte er seine Sendung? Weit mehr seinen eigenen Vortheil, als den seiner Clienten im Auge, kaufte er die fast werthlos gewordenen Papiere um niedern Preis, und verlangte von den Unternehmern die Pariauszahlung derselben; er rechnete nämlich auf den Druck, welchen seine drohende Stellung als Bevollmächtigter der Aktionäre auf die Beutel der Unternehmer ausüben würde. Er mißbrauchte mit andern Worten die ihm von den Aktionären übertragene Gewalt. Indeß erwies sich diese Quelle, mit wie viel Gewandtheit sie auch ausgebeutet wurde, nicht sehr ergiebig, und Herr Mires blieb mit seiner zahlreichen Familie in so bedrängter Lage, daß er von Manchem seiner Bekannten ein Fünffrankenstück zu borgen sich gezwungen sah, um nur dem dringendsten Bedürfniß für den Augenblick[WS 1] abzuhelfen. Erst unter der Präsidentschaft Louis Napoleon’s ward Herr Mires nach mehreren vergeblichen Versuchen, nach langem Umhertappen von einem glücklichen Gedanken auf den rechten Weg zum Glück gebracht.

In Verbindung mit Herrn Miot kaufte er ein kleinen Zeitungsblatt, das „Journal de Chemin de fer“ an sich, und aus diesem unscheinbaren, theils industriellen, theils literarischen Gebiete, das allerdings mit Umsicht bebaut wurde, schossen in wenig Jahren Millionen, viele Millionen auf. Herr Mires gehört heut zu Tage zu den reichsten, unternehmensten Leuten nicht nur von Frankreich, sondern von ganz Europa. Doch glaube man nicht etwa, daß es die Abonnentenzahl gewesen, welche das Zeitungsunternehmen in so hohem Grade gefördert; es war der gewonnene Einfluß, der sich so furchtbar an Erfolgen zeigte. Abgesehen davon, daß jede Eisenbahngesellschaft die Leiter der Eisenbahnzeitung mit gewinnbringenden Aktien bedachte, vermochten diese durch ihr Organ auf den Gang dieses Aktiengeschäftes selbst einzuwirken, eine Gewalt, die sie gehörig zu benutzen verstanden. Herr Mires ist ein Spekulant, der in Allem macht, also auch in Journalistik, die ihm als Leiter zur Höhe des Glückes gedient. Seine Eisenbahnzeitung besitzt er noch immer, außerdem aber ist er Eigenthümer der beiden bonapartistischen Organe „Pays“ und „Constitutionel“. Auch er hat mäcenatische Anwandlungen, und erweist sich unterstützend und hülfreich gegen Künstler und Literaten. So kaufte er z. B. Herrn von Lamartine, der immerfort mit Geldnoth kämpft, den „Civilisateur“, eine Vierzehntagsschrift, für 100,000 Franken ab, ob sie gleich kaum die Hälfte werth ist. Ueberhaupt thun die Geldleute in Paris gern dadurch aristokratisch, daß sie sich Künstlern und Schriftstellern gefällig zeigen. Die Mode bringt es so mit sich, und es ist zudem ein erprobtes Mittel, sich populär zu machen. Auch brauchen sie Leute von Geist und Bildung für ihre Salons, welche sonst gar zu langweilig und wahrscheinlich verödet blieben. Selbst Herr von Rothschild, der für gar nichts Sinn hat, als für Geld und Gewinn, giebt sich gern als Beschützer der Künste und Wissenschaften kund. Wie manches Tausendfrankenbillet wanderte aus dem Hotel Rothschild, Rue Lafitte, in die Tasche des kürzlich dahingeschiedenen Dichters Heinrich Heine. Doch wissen Eingeweihte, daß diese Großmuth keineswegs aus einem freien Gefühle des Herzens, sondern aus der Furcht vor dem schonungslosen beißenden Witze des berühmten Schriftstellers entsprang. Denn Herr von Rothschild ist gegen Angriffe der Presse sehr empfindlich.

Der Einfluß dieser Börsenmatadore beschränkt sich nicht nur auf die Geschäftswelt, sondern greift tief in alle Verhältnisse des gesellschaftlichen Lebens ein, und die Gunst dieser Herren verhilft zu Stellen und Aemtern. Wer Paris und seine Zustände kennt, wird begreifen, was hier Menschen vermögen, die Einem hunderttausend Franken durch ein Wort gewinnen machen können. Welcher Franzose widersteht einer durch solche Mittel unterstützten Fürsprache!


Blätter und Blüthen.

Eine Prairie-Scene. Wir trafen einen Freifänger, einen jener haarigen, eisernen Burschen, die bloß vom Einfangen pelzwerther Thiere leben (erzählt ein Gefährte einer Expedition zu Lande über die Breite Amerika’s nach Californien), wie er eben sein Mahl bereitete. Als er unter der Sonne in Wind und Wetter seine riesige Forelle und etwas Kartoffeln gebraten, setzte er sich auf ein Stück Feuerholz und langte zu, indem er es uns freistellte, uns auch ein Stück von der riesigen Forelle abzureißen und sagte: „Nun gesteht mal selber, ist es nicht besser, so im Freien zu speisen, statt eingeschlossen zwischen Mauern und Wänden?“ Ganz gewiß, gaben wir zu.

„Nun denn,“ entgegnete er, „so müßt Ihr auch zugeben, daß ein Mensch blos in ein Haus gehen sollte, wenn er krank ist, um zu sterben,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aublick
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_207.jpg&oldid=- (Version vom 22.10.2017)