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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 17. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Ein Familiengeheimniß.
Novelle von August Schrader.
(Fortsetzung.)
VI.
Der Diamantring.

Franz hatte sich in die eine, Henriette in die andere Ecke des Wagens gelegt. Die Ungewißheit über den Ring brannte wie Feuer auf der Seele des armen Banquiers. Um sich zu zerstreuen, sah er nach den schwarzen Wänden der stillen Häuser, an denen sie vorüberfuhren. In dem Augenblicke, als eine Straßenlaterne ihre Strahlen in den Wagen warf, sah er unwillkürlich nach seiner Frau – ruhig, in ihren seidenen Pelzmantel gehüllt, saß sie da, sie schien nachzudenken, und dachte auch vielleicht nach. Franz zitterte bei dem Anblicke dieser schönen, engelgleichen Züge, er zitterte vor einer unheilvollen Aufklärung des seltsamen Geheimnisses. Ihm war, als ob die Last des Argwohns, die auf seiner Frau lag, ihn selbst drücke, und als ob er sie unwillkürlich abschütteln müßte, fragte er:

„Wir haben sehr schnell den Ball verlassen – Du hast doch nichts vergessen?“

Es war dunkel im Wagen, sonst hätte er die Ueberraschung gesehen, die sich in Henriette’s Gesicht malte.

„Nein!“ antwortete sie, und ihre Stimme zitterte ein wenig. „Ich wüßte nicht, daß ich etwas vergessen hätte.“

Das vorige Schweigen trat wieder ein. Mit der Schlauheit der Frauen, die stets die Tugend ein wenig beeinträchtigt, wartete sie auf eine zweite Frage ihres Mannes. Franz hatte sich ruhig gewendet, und setzte seine Betrachtung der Häuser fort; er fühlte, daß er auf diese Weise nicht weiter forschen dürfe, ohne seinen Verdacht zu erkennen zu geben, und den Verdacht gegen seine Frau hielt er für ein Verbrechen an der Liebe. Franz hatte früher durch die Macht seines Geldes einen Geschäftsmann ruinirt, ohne die Tugend seiner Gattin in Zweifel gezogen zu haben.

Henriette hatte keine Ahnung von der Leidenschaft, von den tiefen Empfindungen, die sich unter dem Schweigen ihres Mannes verbargen, und Franz kannte das große Drama nicht, das das Herz seiner Frau zusammenpreßte. Der Wagen trug zwei Ehegatten, die sich gegenseitig anbeteten, die eins in dem andern lebten, aber dennoch durch eine tiefe Kluft getrennt wurden. Sonst saßen sie Hand in Hand neben einander, freundlich plaudernd – heute zum ersten Male hing Jedes seinen Gedanken nach.

Der Wagen hielt an. Franz bot seiner Gattin den Arm, und führte sie in ihr Zimmer. Die Kammerfrau, die sich zur Dienstleistung meldete, ward fortgeschickt; Henriette wollte ihre Nachttoilette allein besorgen. Das Schlafzimmer Madame Soltau’s war ein reizender Ort. Franz hatte ihn erschaffen, indem er seinen zärtlichen Launen gefolgt war, die nicht müde wurden, der Göttin, die er anbetete, einen Himmel auf der Erde zu schaffen. Der Reichthum hatte für ihn einen um so größern Werth, da er ihm die Entwicklung seiner Gefühle gestattete. Franz war stets darauf bedacht gewesen, jene Sorgfalt und Zartheit an den Tag zu legen, welche die Liebe läutert und den Gegenstand derselben reizender macht.

Henriette wußte, wozu sie durch die Sorgfalt ihres Gatten verpflichtet ward; sie suchte ihm das zu sein, was er aus ihr machen wollte. Von wahrer Liebe begeistert, ward sie nie müde, alle jenen kleinen Pflichten zu erfüllen, die eine Frau nicht außer Acht lassen muß, da sie der Liebe stets neuen Reiz verleihen. Henriette betrat ihr Schlafzimmer allein, um ihren Ballstaat abzulegen; als sie wiedererschien, trug sie ein reizendes Nachtgewand. Franz erblickte seine Frau in einem schneeweißen Negligé – die schweren Flechten ihren dunklen Haaren waren leicht auf dem Haupte zusammengelegt. Henriette zeigte sich ihrem Manne schöner, als sie es für die Welt gewesen war. Sie kannte das Geheimniß, sich für die Feste ihres Herzens geheimnißvoll zu schmücken. Heute hatte sie die größte Sorgfalt auf ihre Toilette verwendet; die feine Batistrobe war nachlässig zusammengezogen, die entfesselten Locken der Schläfe fielen auf die schwellenden Alabasterschultern herab. Ihre zarten Füße bekleideten Pantoffeln von rothem Sammet. Ein feines Parfüm entströmte ihrem Gewande.

Als sie eintrat, saß Soltau neben dem zierlichen Bronce-Ofen, in dem ein Feuer knisterte. Er war nachdenkend, und hatte ihren Eintritt nicht bemerkt. Lächelnd und ihres Vortheils gewiß, schlich sie näher, legte ihre kleine weiße Hand auf seine Augen, und flüsterte, indem sie die Spitzen ihrer Perlenzähne an seine Wangen brachte, daß ihr würziger Athem ihn berührte:

„Franz, ist Dir noch unwohl?“

Dann umschlang sie ihn mit dem schönen Arme, als ob sie ihn seinen trüben Gedanken entreißen wollte. Henriette liebte mit ganzer Seele, und diese Liebe gab ihr das ganze Bewußtsein ihrer Macht.

„Nein, mir ist besser!“ murmelte Franz, indem er die rechte Hand seiner Frau ergriff. Er zuckte zusammen, als er den Ring an dem Zeigefinger derselben vermißte.

„Franz, Du bist wirklich krank!“ rief sie besorgt.

Soltau sah sie an: ihr schönes Auge blickte offen und mitleidsvoll auf ihn herab; die lieblichen Züge drückten nur Besorgniß, keine Spur von Befangenheit aus.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_221.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)