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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Es kommen zwei große Flecke, dicht aneinander herauf: Neu-Seeland und Australien. Im Norden des letzteren eine Menge verschiedener grünlicher Flecke in allerlei Gestalt und Größe: Neu-Guinea, Borneo, Sumatra, Molukken, Philippinen u. s. w. – der asiatische Archipelagus. Während dem hat sich im Norden nicht weit vom Pole her ein gräulicher Flecken ausgebreitet und beinahe in westlicher Richtung den Aequator erreicht: Asien, nördlich grau, kalt, einförmig. Die sibirischen Steppen – im Centrum weiß glitzernd, von zwei langen, noch weißeren Gebirgsketten eingerahmt, eine silberne Zone vom Südwesten nordöstlich ausstreckend: die Jablonoi-, Altai- und Himalaya-Gebirgsformationen, die Cabi-Wüste im peträischen Arabien als silberner Gürtel auslaufend. Die alte Welt ist sonach durch einen strahlenden Sand- und Wüstengürtel in zwei beinahe gleiche Hälften getheilt. Die Wüsten von Nubien, Libyen und Sahara scheinen Fortsetzungen dieses Gürtels. Gerade unter diesen Silberstreifen schimmern blaßgrün China, Indien, Birmanien, Mongolien und Tibet. Dieses Bild dreht sich allmälig ab, bis das ungeheuere Afrika den Mittelpunkt der Scheibe einnimmt, umgeben vom großen Ocean, wie von einer dunkelgrünen Schlange. Ueber den Wüsten Afrika’s ein graugrünlicher phantastischer Fleck, das mittelländische Meer, und darunter innerhalb der bizarrsten Grenzlinien ein kaum bemerkbares Vorgeschiebe Asiens, das wir Europa nennen, trotz seiner Kleinheit Sitz und Mittelpunkt aller Wissenschaft, Kunst und Kultur, die Gesetzgeberin der Erde. Hiermit sind wir an der äußersten Grenze der alten Welt westlich angekommen und haben also eine Umdrehung unserer verdrehten Erde an uns vorübergehen lassen. Aber es wird nun auch höchste Zeit, daß wir unsere Mondspitze verlassen. Es ist entsetzlich kalt, so daß ich selbst als Phantasie friere, und schon kommt die Sonne wieder, die ohne Vorbereitung gleich mit 80 Grad Reaumur, also der Temperatur des kochenden Wassers, anfängt. Die gloriose Erdscheibe erblaßt, Europa und Afrika gehen unter und nur der große Ocean füllt die ganze erblassende Oberfläche. Amerika beginnt wieder aufzusteigen; aber nun stürzen sich auch mit neuer Lebenslust Dünste und Lichter und Schatten über das Gesicht der Erde und spielen in den abenteuerlichsten Schleierfalten und Shawltänzen durch einander. Wir stürzen uns sehnsüchtig aus dem schweigenden Schrecken des Mondes herab in dieses tolle, lustige, unerschöpflich phantasiereiche Haschen und Jagen von Wolken, Lichtern, Schatten, Farben und Formen, in diesen ewig lebendigen und Leben quellenden Dunstkreis unserer geliebten Erde, ohne uns daran zu kehren, daß der Mondprofessor und mancher Polizei-Regent steif und fest behaupten, die Erde könne und dürfe kein Leben dulden. Sie hat ihren Kopf für sich und zwar einen sehr großen mit tausenderlei lustigen Einfällen darin.





Noch eine Wanderung durch Deutschland in London.

Zugesandte Billets riefen uns neulich zu einem Concert in den hochfashionablen Hanover-Square-Saal (Hanover Square Rooms), die uns zunächst in Verlegenheit setzten, da wir zweifelten, aus unserer Garderobe so viel Putz und Perlen zusammenzufinden, wie die Engländerinnen bei solchen Gelegenheiten tragen (ich spreche mehr im Interesse meiner Frau). Doch entschlossen wir uns endlich zur ökonomischen Einfachheit, die nach einem Sprunge aus den Kreisen, welche nicht viel Wahl in ihrem Kleiderschranke haben, plötzlich als Krone des Geschmacks in den gewähltesten Cirkeln herrschend wiederkehrt. Nur die geldreiche, geschmacksarme, große vornehme Menge trägt künstliche Blumenausstellungen, Posamentier- und Juwelierläden auf Köpfen und Schultern, dazu hellste Blondinen das schreiendste, modige Scharlach- und Ziegelroth auf Burnus und Shawl, olivenfarbig reflectirende Brünetten mattes Blau, so daß man nichts Prachtvolleres und Geschmackloseres im Verein sehen kann, als in einem englischen Concertsaale oder in den Logen eines Westend-Theaters. Offenbar erregten wir mit unserer völlig decorationslosen, den Umständen und dem Teint entsprechenden Einfachheit nicht geringes Aufsehen unter des dichtgedrängten Perlen-, Blumen- und Juwelenkopsen der vornehmen Concertgesellschaft, und ich wette darauf, daß wir für schwindelnd hochgestellte Personen gehalten wurden. „Siehst Du,“ sagte ich zu meiner Frau, „hättest Du Dein lebensgefährliches Attentat auf meime kränkelnde Kasse ausgeführt und einen modigen, rothen englischen Concertmantel und einen entsprechenden Kopfbesatz gekauft, säßen wir hier tiefgesunken unter dem modesklavischen, vornehmen Pöbel. Jetzt sitzest Du hier mit Deinem natürlichen Haarschmuck, Deinem kettenfreien Halse, beneidet durch Lorgnetten und Operngucker wegen Deiner erhabenen Stellung im Leben, auf welche ich, wenn ich wollte, vom ersten besten Gentleman hier 100 Pfund Sterling geborgt bekäme.“ Wir lachten herzlich über diesen Einfall, der nicht nur wohlfeil, sondern mit einem direkten Profit verbunden war, welchen nur der Gatte und Familienvater als Krankenpfleger einer stets an die Vergänglichkeit allen Irdischen erinnernden Kasse zu würdigen weiß. Als nun die Deutschen im Concerte, Herr und Madame Weiß, Madame Rudersdorf, Herr Rabich von der weimarischen Kapelle und deutsche Compositionen, vorgetragen von Engländern und Engländerinnen, einen Triumph nach dem andern feierten und sehr oft wiederholt werden mußten, sagte ich zu meiner Frau: „Siehst Du, auch deutsche Kunst siegt hier, nicht blos Deine deutsche Einfachheit im bloßen Dasitzen und Zuhören.“ Das Concert, um 8 Uhr beginnend und in ununterbrochener Hetzjagd von Orgel, doppeltem Fortepiano, Violine, Soli’s, Duetts, Terzetts, Quartetts, Posaune u. s. w. bis nach Mitternacht um 1 Uhr sich zur Höllenqual für die erschöpften Nerven ausdehnend, war nur in dieser endlosen Massenhaftigkeit ächt Englisch, in seiner künstlerischen Schönheit aber sowohl der Leistungen als der Compositionen wesentlich Deutsch, triumphirend Deutsch. Ich will nicht von Herrn und Madame Weiß und Madame Rudersdorf sprechen, sondern nur die hier zum ersten Male erschallende, Todte zur Auferstehung rufende, berühmte Virtuosen-Tenor-Posaune des Herrn Rabich aus Weimar als ein Kunstereigniß bezeichnen, als welches es sich geltend machen wird, da sich wirklich Todte von ihr auferwecken ließen, und verschlossene Kunsthallen und Anerbietungen dem Meister öffneten. Herr Rabich hat sein Instrument seit 25 Jahren mit ununterbrochenem Eifer und mit zunehmender Liebe und Hingebung studirt und mit einem kräftigen, lebhaften, tiefen Gemüth (ohne welches kein Instrument zum wirklichen Kunstorgan wird) Töne und Melodien darin gefunden, die nur ihm gehorchen, und bald als Ton des Weltgerichts schmettern, bald in der zartesten, gehauchten, kaum hörbaren Weichheit noch tiefer in das Herz hineingreifen, als der Donner den jüngsten Gerichts, das sich dann wieder aus diesen Blechröhren hervorstürzt. Man erfährt und fühlt hier erst wieder die Gewalt und Schönheit des wirklichen, beseelten Tons, der in der neuesten musikalischen Richtung durch allerhand Schnörkel und Künstelein, durch einen „schollernden“ und „pickernden“ Klimperkasten in jedem Hause verschüttet und verwahrlost ward. Die Schönheit des Tons läßt sich nicht mit Worten sagen, eben so wenig wie die Schönheit der Helena im Homer, der deshalb ihre Wirkungen schildert. Wir machen’s eben so. Das glänzende, dichtgedrängte Publikum beklatschte Alles von 8 Uhr Abends an bis 1 Uhr des Morgens, aber sie sprachen, husteten, schnupften, rückten und rührten sich dazwischen. So wie Rabich seine Posaune angesetzt hatte, entstand Todtenstille, so daß man den wie ein einsames Veilchen verduftenden Hauch eines Tones bin zu seinem letzten Verstummen bis in die fernsten Winkel des Saales vernehmen konnte und kalte Gesichter warm wurden und ausdrucklose Gesichter zu sprechen anfingen. Diese Todtenstille hielt noch einige Secunden nach dem letzten Tone an, dann kam das Publikum erst zur Besinnung und stürmte auf und schrie aus tausend Kehlen encore, encore! (was das englische da capo ist). Jenny Lind’s Stimme ist bekannt. Rabich spielte einem hiesigen Componisten eins seiner Lieder in dessen Hause, wo es auch Jenny Lind gesungen hatte. Bei Jenny Lind hatte er sich bedankt, dem Rabich fiel er mit den Augen voller Thränen um den Hals, so wie er ihm das Lied geblasen. Rabich hat hier wirklich Todte auferweckt und er wird auf sehr hohes Verlangen damit fortfahren.

Zugesandte Billets riefen uns neulich in’s Panoptikon, das wir früher schon einmal geschildert haben, sich aber seitdem durch deutsche Elemente sehr bereichert hat und sichtlich von Deutschen vor einem Bankerotte gerettet wird. Für das prachtvoll ausgestattete photographische Departement fand es keinen geeigneten Photographen, so daß es eine allgemeine Preisbewerbung ausschrieb. Das Comité bekam Legionen von Einsendungen von den photographirenden Legionen Englands, erkannte aber den Preis einem Deutschen in Frankfurt, Herrn Professor Fink zu, den es demnach berief. Herr Fink hat das photographische Departement des Panoptikon bereits zur vollkommensten Anstalt in London erhoben, und einige neueste Erfindungen (z. B. durchsichtige Photographieen, nach Art der Lithophanien als Dekorationen an Fensterscheiben sehr in Aufnahme) technisch so fein ausgebildet, daß Niemand mit ihm concurriren kann. In der musikalischen Abtheilung giebt es viel schlechte Musikanten und Sänger, und nur einen guten Clavierspieler, einen Deutschen. Auch das Quartett ist gut. Es besteht aus zwei Deutschen, einem Italiener und einem Engländer. Aber dabei blieb die Mißverwaltung der Panoptikon-Direktoren mit ihrem Nepotismus eben so groß, wie die im Staate überhaupt. Man sann auf Mittel, das Publikum wieder heranzuziehen, und fand endlich in einer spanischen Quartett-Gesellschaft im Kostüm das siegreichste Zugmittel.

Die Billets luden uns ein, diese Spanier zu hören. Sie traten auf die Estrade des Theaters vor der großen Orgel in malerischer Nationaltracht, schwarzbärtig, rothshawlig, mit breitkrämpigen Hüten, die einzige Dame mit den brennenden Farben in Mieder und Besatz des kurzen Rocks, die Herren riesig, Einer goliathisch. Mit einem freudigen Schreck empfing das Publikum die ersten Töne. Gesang, bloßer, reiner Gesang, frisch, gewaltig, sprudelnd, neckisch, leidenschaftlich, jetzt als Fuge kämpfend, dann in die einfachsten, bekanntesten, lieblichsten deutschen Volksmelodien versöhnt zusammenfließend. Wie kommen deutsche Volksmelodien in die Kehlen dieser spanischen Riesen? Wo kommen die Riesen in dem verkommenen Spanien her? Ich hätte sie eher für Spandauer als für Spanier gehalten. Ja, sagte mir ein Deutscher, der sie kannte, es sind eigentlich keine Spanier, sondern Basken. Also da capo. Bravo, ihr frischen, kräftigen Basken! Bravo und encore und Basken! stürmte es aus allen Etagen und Winkeln den Hauses. Sie mußten da capo singen und sangen den ganzen Abend allein, sangen blos, und nur die große Orgel machte den Schluß. Das kalte englische Publikum, stark mit deutschen Gesichtern und Stimmen gemischt, war Feuer und Flamme über diese

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