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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 18. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Ein Familiengeheimniß.
Novelle von August Schrader.
(Schluß.)

Der Banquier verließ den Laden des Juweliers und eilte nach Hause. In seinem Kabinette suchte er sich zu sammeln. Es war ihm unmöglich, einen leitenden Faden in der verwickelten Sache zu gewinnen. Sophie Saller, Miß Belling, der Kapitain, Edmund Kolbert, der Mann im Schlafrocke, Henriette und der Advokat – alle bewegten sich wie gespenstige Erscheinungen wirr durcheinander vor seinen Blicken.

„Aber warum, warum das Alles?“ fragte er sich. „Was für einen Zweck verfolgen alle diese Personen? Und Henriette, die mich liebt, was könnte sie veranlassen, ein solches Spiel mit mir zu treiben, das meine Ruhe und ihr Glück untergräbt? O, es ist klar, hier liegt ein Geheimniß zum Grunde, das ich mit großer Vorsicht kennen zu lernen suchen muß. Mein Gott,“ flüsterte er vor sich hin, und der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirn – „wenn dieses Geheimniß mit der ersten Verleumdung im Zusammenhange stände, wenn der Kaufmann Eberhardi – –“

Er legte beide Hände vor das Gesicht, als ob er fürchtete, in einen Abgrund zu blicken. Sein streng rechtlicher Charakter sträubte sich, ohne Beweise zu verurtheilen – Henrietten zu verurteilen, der er sein Glück als Geschäftsmann und als Gatte verdankte. Das Vertrauen auf die Tugend seiner Frau gab ihm den Muth und die Stärke, ruhig und vorsichtig zu forschen. Aber wo sollte er beginnen? Er beschloß, dem Zufalle zu vertrauen, und der Zufall ließ nicht lange auf sich warten.

Drei Tage lang ging Alles gut. Der vierte Tag war regnerisch und düster, es lag ein so dichter Nebel in den Straßen der Stadt, daß man nicht fünf Schritte weit sehen konnte. In den Kaufläden brannten um Mittag die Gasflammen, und auch die Börse war erleuchtet, als Soltau sie um ein Uhr betrat. Den Banquier schüttelte ein leichter Fieberfrost; er machte die nothwendigsten Geschäfte ab, bat Philipps, etwa eingehende Aufträge anzunehmen, und trat gegen drei Uhr schon den Rückweg nach Hause an. Das Spiel des Zufalls ist oft so wunderbar, daß man es für die Erfindung eines Romandichters halten möchte, wenn man es erzählt. Der Verfasser kann jetzt leicht in den Verdacht kommen, einen solchen Zufall erfunden zu haben, weil er ihn zur weitern Entwicklung seiner Novelle gebraucht; der Leser kann sich aber versichert halten, daß dieser Zufall eine von den Thatsachen ist, die seinem kleinen Werke zum Grunde liegen.

Bei dem schlechten Wetter, und da er sich nicht wohl fühlte, beschloß Soltau einen Fiaker zu benutzen, der langsam an ihm vorüberfuhr. Er hielt ihn an.

„Wohin?“ fragte der Kutscher.

Franz bezeichnete Straße und Haus, und stieg ein. Indem er sich in die eine Ecke des Wagens warf, berührte seine Hand ein Papier, das auf dem Sitze lag. Er fühlte, daß es ein Brief war. Mechanisch behielt er das Papier so lange in der Hand, bis er vor seinem Hause ausstieg.

„Wer hat vor mir den Wagen benutzt?“ fragte er den Kutscher, der ihm den Schlag öffnete.

„Eine junge Dame, Herr; sie ist ebenfalls hier ausgestiegen und in dieses Haus gegangen.“

Soltau zeigte auf die Thür.

„In dieses Haus?“ fragte er.

„Ja, Herr, in das Haus des Banquiers. Vor kaum einer Viertelstunde ist sie hier ausgestiegen. Ich wollte nach dem Stationsplatze an der Börse fahren, als Sie mich anhielten.“

Franz hatte in der Zeit einen Thaler aus seiner Börse genommen.

„Wo ist sie eingestiegen?“

„Am Steinthore; wahrscheinlich hatte sie den Omnibus verlassen.“

„Nimm diesen Thaler für Deine Nachricht!“

„Danke, Herr!“

Der Banquier hielt keinen Thürsteher, sonst hätte er sogleich erfahren können, wer die angekommene Dame sei. Er ging durch das Comptoir in sein Kabinet, wie er stets nach der Rückkehr von der Börse pflegte. Hier betrachtete er den Brief, den ohne Zweifel die Dame in dem Wagen verloren hatte. Er war versiegelt, aber ohne Adresse. Rasch erbrach Franz das Siegel und entfaltete das Papier: die Schriftzüge Edmund Kolbert’s standen vor seinen Augen. Begierig las er folgende Zeilen: :P. P. „Von einem unerklärlichen Zufalle begünstigt, ist der Advokat unserm Handel mit der Lebenspolice auf die Spur gekommen. Ich habe Dir versprochen, mein lieber Engel, Deinen Mann vor jeder Unannehmlichkeit zu schützen, und es wird geschehen. Du kennst meine zärtliche Liebe für Dich, Du weißt, daß ich für Dich den Tod nicht scheue, daß Dein Glück die Aufgabe meines Lebens ist. Du batest mich, ich möge Dich diesen Abend von dem verabredeten Rendezvous entbinden – es ist mir leider unmöglich. In Deinem und meinem Interesse mußt Du Dich einfinden, und solltest Du den kühnsten Vorwand zu Deiner Entfernung ersinnen. Aber damit es Dir nicht gar zu schwer fällt, habe ich dafür gesorgt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_233.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)