Seite:Die Gartenlaube (1856) 277.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Alexandria und die englisch-indische Ueberlandpost.

„Ich verzeihe den Herren diesen unheilvollen Krieg, wenn sie nun nur die eine Bedingung des Friedens wirklich ausführen und halten – wenn sie der Donau wirklich eine Mündung verschaffen.“ So sagte mir neulich ein gescheidter Engländer. Und er hat Recht. Von allen Flüssigkeiten, die über die Erde pulsiren, sind die Flüsse die allerwichtigsten, segensreichsten und spirituösesten. Was hilft mir aber der Wein ohne Mund? Der Fluß ohne Mündung? Deutschland hat die schönsten Flüsse, aber die Flüsse leiden entweder an Verstopfung oder Mangel an Mündung, oder an beiden Gebrechen. Die Deutschen wissen nicht, was ein Fluß ist, sonst würden sie eher Alles dulden, als daß der Rhein seinen Kopf in den Sand steckt, die Oder ganze Kreise überschwemmt, die Elbe versandet, die Weichsel am Weichselzopf festgehalten wird, die Spree stinkt und als Schwan nach Berlin kommend, immer als Schwein wieder herausschleicht. Kein individuelles Leben ohne Pulsschlag der Aderflüsse, kein Völkerleben, keine Freiheit, keine Bildung, kein Wohlstand, kein Gedeihen der Arbeit, keine sichere und richtige Verwerthung derselben im Verkauf und Einkauf ohne Flüsse, ohne freie Mündungen, ohne Meerwasser.

Die englisch-indische Ueberlandpost von Alexandrien nach Suez.

Wir sprechen von der Donau, der Spree, von Deutschland, meinen aber diesmal eigentlich den Nil damit. Der Nil ist nämlich der Hauptbeweis für die Gegenseitigkeit von Kultur und Wasser, und enthält in dem faulen Witze: Aut Caesar aut Nil („entweder der Erste im Lande oder gar nichts“), übersetzt mit: „Entweder Kaiser oder der Nil,“ da letzterer mindestens eben so mächtig sei als der Kaiser, eine Wahrheit. Am Nil hinauf blühte die älteste, erste Vater-Kultur der Menschheit. Das große, reiche Kulturland Egypten ward mehrmals von Eroberern und Barbaren todt gemacht und stand immer wieder auf. Ohne Nil wäre es keinem Mehemet Ali gelungen, sich vom Sultan loszumachen und mit Lord Palmerston Verträge zu schließen, während letzterer ersterem versicherte, daß Alles, was für ihn gemacht werden könne, gemacht werden solle, worauf unter Anderem die türkische Flotte zerstört ward. Ohne Nil wäre Mehemet Ali nicht als Rebellen-Häuptling „respektabel“ bei Palmerston, sondern als Rebell abgethan worden. Egypten war das erste Kulturland der Menschheit durch den Nil, Egypten ward mehrmals todt gemacht, ohne das Auferstehen zu verlernen wegen der Lebenskraft des Nil. Die Türkei zerbröckelt, Egypten lies’t seine zerstreuten Gebeine wieder zusammen und zieht frisches Fleisch und Leben darüber aus der unverwüstlichen Schöpfungskraft seines großen Musterflusses.

Der Hauptkulturplatz des neuen Egypten ist und wird mit jedem Tage mehr Alexandria an der westlichsten, besten Mündung des Nil. Alexander der Große baute es aus dem Grunde. Es wuchs bald zu einer Hauptresidenz, zum eigentlichen Träger und Arsenal einer ganzen geschichtlichen Periode empor, der glänzenden „Ptolomäerzeit der „alexandrinischen Bildung,“ wovon wir noch Spuren in den Alexandriner-Versen finden. Nach Alexandrien flüchtete sich die Bildung, die in den ersten christlichen Jahrhunderten nirgends in der Welt eine günstige Stätte mehr fand.

Ptolomäus Soter, „der Retter,“ verschaffte 400,000 Flüchtlingen von Büchern ein Asyl im Serapistempel. Seine Nachfolger vermehrten diese berühmte alexandrinische Bibliothek auf 700,000 Bände. Das Schwert des Propheten Muhamed, welches hernach

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_277.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)