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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Folgen wir ihm, aber sputen wir uns; denn er hat’s ja eilig, wie wir schon wissen, und das Häuschen, wo er ebenerdig wohnt, liegt ganz draußen vor der Stadt.

Das Haus, das er vor noch gar nicht langer Zeit verlassen hatte, war erreicht. Er sucht den Drücker zur Thür hinter dem Schranke, wo er der Verabredung nach liegt, wenn die Frau ausgegangen, und die hatte eben gleichzeitig mit ihm das Haus verlassen, das Kind in der Wiege der Obhut des gütigen Gottes überlassend. Sie mußte fort, es war ein nothwendiger Gang. Er wollte fort, und hatte es doch nicht nothwendig.

Die Thür ist geöffnet. Ein paar hölzerne Stühle, ein Tisch mit ungefärbter Platte, eine Ofenbank, eine Commode, ein kleiner Spiegel an der Wand – da haben wir die ganze Herrlichkeit. Eins aber sehen wir doch in aller Schnelligkeit: es ist rein und sauber drinnen im Stübchen. Da muß eine ordnende Hand walten.

Aber nun schnell. Denn der Mann hat seine Pfeife zur Hand und will fort.

Da regt sich’s in der Wiege und das Kindlein darin läßt sein vergnügliches Lallen vernehmen.

Ob’s der eilige Vater hört? Ja – ja, er hört’s – und, wer weiß denn, was ihm heute gerade ist, er tritt an die Wiege – hatte er’s doch lange nicht gethan! – und sieht auf das Kind.

Es lächelt und regt sich lebhaft mit den Händchen dem Vater entgegen. Und wie der so in die dunkeln Augen des Kindes blickt, die unverwandt auf ihn gerichtet sind, da sehen wir, wie es zuckend über das Antlitz des Mannes fährt.

Ihm ist’s, wie er so hineinblickt in diese Kinderaugen, die Augen seines Kindes, als töne ihm daraus eine laute, ernste Sprache entgegen. Ihm ist’s, als sähe er dadrin einen Engel, der ihn milde anschaue, mild und doch auch ernst.

Was liegt nicht im Blicke des Auges eines Kindes! Wer da hinein sehen kann in diesen reinen Gottesspiegel der Unschuld und Reinheit, und nichts darin sieht als eben das blanke Auge – der hat nichts mehr zu verlieren und nichts mehr zu gewinnen.

Dem Vater aber sprach die Stimme aus dem Auge seines Kindes in’s Herz und schmolz das Eis, das sich darum gelegt. Und wie er so dastand in tiefem Sinnen – es mochte wohl ein recht gewaltiges Kämpfen in ihm sein, denn die Brust hob sich ihm vom schweren Athmen – da trat die Frau herein.

Wohl erschrak sie vor dem ungewohnten Anblick, und eine ungewisse Angst wollte sie anfassen. Doch sah sie bald, daß sie keine Ursache zur Angst hatte.

Der Mann blickte sie an; und, das war auch schon eine hübsche Zeit her, daß er es nicht mehr so gethan. Und da sah er, daß die muntern Farben ihrer Wangen, die sie sonst geziert und die ihn sonst so gefreut, einem matten Bleich gewichen; er sah, daß in dem mager gewordenen Gesicht ein stummer, stiller Gram sprach.

Das Alles sah er heute erst so deutlich, seit das Kind ihn angeblickt. Die ganze Zeit daher hatte er keinen Blick dafür gehabt. Denn wenn er seine Schicht verfahren hatte und zu Hause den Grubenkittel gewechselt und die Mahlzeit verzehrt, die ihm das harrende Weib bereitet, dann litt es ihn nicht mehr in der Stube, die ihm doch sonst sein Alles war. Seit er in böse Gesellschaft gerathen war, deren Spötteleien über seinen häuslichen Sinn er nicht den rechten Ernst entgegengesetzt, wie er von Tag zu Tag tiefer in die wirrenden Kreise gezogen worden, und die Gewohnheit hatte ihn gepackt mit ihrer Kraft.

Heute – er mag dies heute glücklich preisen, das ihn retten will vor dem vollen Abfall – heute war sein Blick frei geworden. Was er in der ganzen Zeit nicht gesehen, weil er’s nicht wollte, das sah er jetzt.

Daß die Frau so abgehärmt aussah, das schnitt ihm tief in’s Herz. Erst wußte er nicht recht, wie er anknüpfen sollte, denn das Anknüpfen ist nicht leicht, wenn eine lange Zeit zwischen dem Zerreißen liegt. Endlich fand er’s doch. Er fühlte nun seine Schuld, und wo es einmal zum Fühlen der Schuld gekommen, da kommt es auch zum Bekenntniß und zur Sühne.

Daß sie so bleich aussehe, meinte er, komme wohl daher, daß sie sich um ihn gräme und daß sie auch viel mehr arbeiten müsse als sonst, wo er selbst mit Hand angelegt an Dies und Jenes, was nothwendig war im Haus.

„Nun, ein Jedes thut eben nach seiner Schuldigkeit,“ entgegnen die Frau in freundlich-ernstem Ton.

Da war denn nun Rede und Gegenrede im Gang und wir hörten es Alles mit an, wie sie so sanft und darum so gewichtig an sein Herz pochte, und wie dies Herz, das so lange sein Erz verschlossen hatte, sich aufthat, und wir sahen es mit an, wie der Mann das Kind aus der Wiege nahm und es mit einem unaussprechlichen Gefühl des Dankes herzte, und wie das Kind zwischen Vater und Mutter war ein Mittler und himmlischer Friedensstifter. Das Alles hörten und sahen wir und fühlten, daß hier wieder einmal der Herr mächtig war in dem Schwachen.

Da gingen wir denn langsam zur Thür hinaus und drückten sie leise hinter uns zu und freuten uns, wie wir es lange nicht so im Herzen gekonnt.

Nach der Hand, denn das Paar war uns werth und theuer geworden, hörten wir immer nur von seinem Glücke und Frieden. Denn von jenem Tage an war er nicht wieder in’s Wirthshaus gegangen und ließ die Spötter spotten, bis sie nicht mehr spotten konnten, denn sie waren alle elend verkommen, der Eine so, der Andere so.

„Wer umkehren will,“ hatte er gesagt, „der muß ganz umkehren. Das ist die rechte Umkehr.“




 Album der Poesien.
 Nr 15.
 Der Slawone.

Purpurn zieh’n die Abendwolken,
Hohe Ulmen steh’n im Kreise
Um den kühlen, klaren Weiher,
Neigen sich und flüstern leise.

5
Hingestreckt im braunen Laube

Ruht der Braune, der Slawone;
Feuchten Glanz im Feuerauge,
Blickt er in der Bäume Krone.

„Stephan, Bruder, lieber Bruder,

10
Warum mußtest Du erblassen?

Endlos weit vom Heimathlande
Liegst Du einsam und verlassen.

Dachtest nicht der Vaterhütte:
Schwarz und eng’ ist die berußte,

15
Doch die freien Winde spielen

Um sie auf der weiten Putzte.

Dachtest nicht der Heideschenken,
Nicht der glatten Spiegelseeen,
Drin sich goldne Sterne baden,

20
Drüber heil’ge Lüfte wehen.


Dachtest nicht der schlanken Dirne:
Wird sich härmen, beten, klagen,
Wird die dunkeln Haare raufen,
Wird die treue Brust zerschlagen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_288.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)