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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Menschen gewonnen. Zwei Beispiele stehen historisch fest. Einmal zeigte der griechische Feldherr Themistocles den muthlos gewordenen Soldaten zwei kämpfende Hähne und rief: „Männer von Athen, seht diese Thiere fechten blos um eitle Ehre, Ihr aber für Eure Götter, Herde, Frauen und Kinder. Wollt Ihr verzagen?“ Und sie faßten Muth und gewannen die Schlacht.

Im Jahre 1793 war das Kriegsschiff Marlborough mit Admiral Berkeley schon mastlos und leck geschossen und die Schlacht verloren gegeben. Da flog Admiral Berkeley’s Hahn auf den Stumpf eines Mastes, klappte mit den Flügeln und trompetete kühn sein Kikiriki in Kanonendonner und Pulverdampf hinein. Da faßte Jeder Muth. Der Kampf ward erneuert und die Schlacht gewonnen.

Von der braven Henne mit ihren zärtlichen Locktönen für die rasch herbeitrippelnden Küchlein läßt sich in musikalischer Beziehung nicht viel Rühmliches sagen. Sie macht gar zu viel Aufhebens nach jeder vollbrachten That einer Eilegung, ist aber immer noch nicht so eitel und ruhmrednerisch wie viele Menschen, welche manchmal viel ärger gackern, wenn sie sich vorgenommen haben, das Ei einer That zu legen, das hernach oft ein Windei, manchmal auch blos Wind ist. Der Stern Alcyone als Henne am Himmel mit den Küchlein der sie umgebenden kleinen Sterne, der Ruf Christi an Jerusalem mit dem Bilde der Henne und ihrer Küchlein, und manche andere klassische Benutzungen der schützenden, mütterlichen Zärtlichkeit der Glucke werden hiermit eben nur in Erinnerung gebracht.

Eigenthümliche musikalische Schwätzer sind die Raben und dergleichen dunkelmanteliges Gelichter. Der Rabe hat eine eigenthümlich volubile Zunge, mit der er, besonders wenn sie gelöst ist, alles Mögliche nachplappern lernt. Die Alten, welche ihn für einen geheimnißvollen Weisen und Propheten hielten, studirten seine Stimme, unterschieden über 64 Noten darin und gaben jeder eine Bedeutung. In Griechenland und Rom fungirte er als Hauptwahrsager, bei den alten Deutschen als Prophet und bei uns hauptsächlich als unverbesserlicher Spitzbube. Früher hatte er noch viel mit Galgen und Rad zu thun. Ein unheimlicher Bursche bleibt er immer, weshalb ihn Dickens mit dem glücklichsten Humor und mysteriös zum steten Begleiter seines wahnsinnigen „Barnaby Rudge“ gemacht hat. Etwas Unheimliches hat der geschichtsberühmte Schwarzrock immer noch, nicht nur wegen der unbesiegbaren Leidenschaft des Stehlens um des Stehlens selbst willen, sondern weil er auch als sprechendes Kulturwesen sich am Liebsten an criminale Ausdrücke hält: Dieb! Spitzbube! Mörder! u. s. w.

Zahme Saatkrähen sind gefährlich. Man kennt Beispiele, daß sie brennende Kohlen wegtrugen, daß sie Papierstückchen aufpickten, in’s Feuer warfen und sich königlich über die aufflackernde Flamme amüsirten. Die Beredtsamkeit und die Sprachtalente der Elstern, Staare, Dohlen und ähnlicher dunkeler Collegen sind bekannt. Sie schwatzen gern und leicht alles Mögliche nach, wenn sie in menschlicher Gesellschaft leben. Auf Java lehrten die unterdrückten Eingebornen die Staare Rache an den Siegern. Sie riefen beim Anblick jedes Europäers: „Christ! Hund! Schweinefleischfresser!“ Papageien, Kakadu’s u. dergl. sind die Raben und Elstern der Tropen. Von Natur die schlechtesten Musikanten, haben sie doch eine große Vorliebe für Nachahmung menschlicher Worte.

Musik und Sprache, ja selbst parlamentarischen Takt und konstitutionelle Beredtsamkeit finden wir erst unter sprachlich besser ausgestatteten Vögeln, z. B. unter Sperlingen. Die Nachahmungsfähigkeit menschlicher Sprache kommt gerade stiefmütterlicher ausgestatteten Vögeln am Meisten zu. Die Beredtsamkeit und die Gesangskunst derselben sind in sich vollkommene Eigenschaften, die sie aus sich selbst, aus ihrem eigenen Genie und Herzen entwickeln. Was lernt die Lerche, der Kanarienvogel, die Nachtigall von Menschen? Sie lernen blos von ihren Eltern und andern Vögeln. Ausdruck, Individualität, Gefühl, Variation kommen aus ihrer eigenen gefühlvollen, liederreichen Brust. Man könnte Bücher darüber voll schreiben, wie es bereits über den Gesang der einzigen Nachtigall geschehen. Sie allein hat alle Vocale und mehr Consonanten als die Menschen in den fünfundzwanzig Hauptstrophen ihrer Liederthemata.




Die Vorschußvereine in Delitzsch und Umgegend.

Schon früher besprachen wir die in der Aufschrift genannten Vereine, und machen wiederholt auf die Schrift ihres Stifters aufmerksam:

Vorschußvereine als Volksbanken. Praktische Anweisung zu deren Gründung und Einrichtung, von Schulze-Delitzsch. Leipzig 1855. Preis: 10 Ngr.

welche bereits in Nähe und Ferne eine Anzahl gleicher Institute hervorgerufen hat, die noch täglich im Wachsen begriffen ist. Die Rechnungsabschlüsse dieser Vereine für 1855, welche uns vorliegen, ergeben nun so überraschende Resultate ihrer sich immer steigernden Wirksamkeit, daß wir bei der Wichtigkeit und Dringlichkeit der dadurch gelösten Frage wiederholt darauf zurückkommen, vor Mittheilung der Rechnungs-Details aber für diejenigen, welche das Büchelchen noch nicht kennen, die Grundzüge der Einrichtung der fraglichen Institute vorausschicken wollen.

Die Vereine sind, ohne alles Zuthun von Kapitalisten, ohne Unterstützung öffentlicher Fonds oder durch Privatleute, ohne Mitwirkung irgend einer Behörde, lediglich durch das Zusammentreten von meist unbemittelten Handwerkern und Arbeitern kleiner Landstädte gegründet. Der Grundsatz der Selbsthilfe, welchen der Verfasser des genannten Büchelchens bei sämmtlichen von ihm auf volkswirthschaftlichem Felde angeregten Organisationen angewendet wissen will, ist auf das Strengste durchgeführt, und hat in der Form der Solidarität sich dergestalt wirksam erwiesen, daß die nöthigen Geldmittel überall in mehr als ausreichender Weise beschafft werden konnten. Man bewirkte dies einerseits durch fortlaufende allmonatliche Beisteuern der Mitglieder, bei welchen ein bestimmter niedrigster Satz, als nothwendige Bedingung der Mitgliedschaft, so gegriffen war, daß ihn auch der unbemittelte Arbeiter aufzubringen vermochte (1 bis 2 Sgr.), während ihn jeder nach Belieben erhöhen durfte; andrerseits durch Aufnahme zinsbarer Darlehen unter solidarischer Verhaftung aller Theilnehmer. Die Monatssteuern wurden den einzelnen gutgeschrieben, blieben ihr Eigenthum, und nach Höhe derselben wird der Geschäftsgewinn unter sie vertheilt, der jedoch in der Kasse behalten und jenem Guthaben ebenfalls zugeschrieben wird, bis dasselbe eine gewisse bei jedem Vereine verschieden bestimmte Normalhöhe erreicht, über welche hinaus nicht mehr gesteuert und die Dividende ausgezahlt wird. So denkt man allmälig die Unternehmungen auf förmliche Actien zu fundiren, die man jedoch den Mitgliedern, welche zu deren Einzahlung beim Eintritt die Mittel nicht haben, durch die allmäligen Beisteuern und die Antheile am Gesellschaftgewinn erst bilden muß. So groß war aber der Anreiz der Dividende, daß selbst die Unbemitteltsten, als ihr Betrag für die ersten Jahre bekannt wurde, ihre mühsam abgesparten Beiträge verdoppelten, ja verdreifachten, und die Anfänge der Bildung kleiner Kapitalien für sie die erfreulichsten Fortschritte machten. Erst als man soweit, und das Gelingen der fraglichen Unternehmungen gesichert war, schlossen sich auch die bemitteltern Gewerbtreibenden an, theils weil man durch die den Kassen reichlich zufließenden Mittel in den Stand gesetzt wurde, durch bedeutendere Vorschüsse auch ihr Bedürfniß zu decken, theils auch nur weil sie die bedeutende Dividende lockte.

Natürlich konnte die Sicherheit der Vorschüsse nur eine persönliche sein, wollten die Vereine nicht ihren Zweck, dem Kleingewerbe zu helfen, verfehlen. Moralische und geschäftliche Tüchtigkeit sind also die Hauptgrundlagen, auf welche man bei den Vorschußempfängern sieht. Um aber hierüber ein in jedem Falle sicheres und verantwortliches Urtheil zu erhalten, von den nächsten Bekannten und Berufsgenossen, welche genauere Einsicht in den Gewerbs- und Vermögensstand eines Vorschußsuchers und dessen jeweilige Veränderungen haben, erwies sich die Bürgschaft als der untrüglichste Anhalt, welche, oder statt deren Pfand, immer gefordert wird, sobald die verlangte Summe das Guthaben um ein Nahmhaftes übersteigt. Da der Dienst, den sich die Mitglieder als Bürgen leisten, ein gegenseitiger ist, indem der Bürge selbst bald in die Lage kommt, des Bürgen zu bedürfen, so hat sich das deßfallsige richtige Verhältniß bald unter den Mitgliedern regulirt, und wo die Bürgen aussagen, da ist das stets das sicherste Zeichen, daß der Vorschußsucher kein Vertrauen verdient. Auf solche Weise sind Verluste Seitens der Vereinskassen durch Insolvenz der Schuldner überaus selten, und ist übrigens zu deren Uebertragung ein besonderer Reservefond gebildet.

Die Zinsen der Vorschußempfänger, welche die Hauptkasseneinnahme bilden, und von denen die Zinsen der Vereinsgläubiger, die Verwaltungskosten und die Dividende gedeckt werden müssen, hat man durchschnittlich auf 10% jährlich normirt. Bei dem raschen Umsatz im Kleingewerbe, wonach die Vorschüsse meist nur einige Monate gebraucht werden, den viel höhern wucherischen Zinsen, welchen sich unbemittelte Gewerbtreibende außerhalb der Vereine unterwerfen mußten, und dem bedeutenden Vortheil, daß sie stets auf eine ihren Verhältnissen entsprechendn baare Summe rechnen können, welche, richtig angewendet, ihnen einen weit größern Nutzen in ihrem Gewerbe gewährt, hat man diesen Zinssatz (5 Sgr. für 20 Thlr. auf 1 Monat) nie drückend gefunden. Da nun überdem der ganze Zinsenüberschuß in der Gestalt der Dividende den Mitgliedern wieder zufließt, und ihr Guthaben erhöht, so sind Anträge, den Zinsfuß zu reduciren, mehrfach von den Generalversammlungen zurückgewiesen, da die Reduktion höchstens 2–3 % betragen und nur auf Unkosten der Dividende geschehen könntn, wodurch ein Hauptreiz zum Sparen und der dadurch ermöglichten Erhöhung der Monatssteuern wegfallen würde.

Die Verwaltung liegt überall in den Händen von Ausschüssen, welche von den Mitgliedern aus ihrer Mitte erwählt und jährlich erneuert werden, von denen nur die Kassenbeamten, ihrer mühevollen und verantwortlichen Funktion halber, ein Honorar nach Procenten vom Geschäftsumsatz bestimmt, erhalten. Die beschließende Gewalt nebst der Aufsicht über die Verwaltung üben sämmtliche Mitglieder in den Generalversammlungen. – Dies vorausgeschickt lassen wir nun die Rechnungsabschlüsse der einzelnen Vereine folgen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_295.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)