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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 24. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Mesmer in Wien.
Von L. Mühlbach.
(Fortsetzung.)

„Nenne Dich nicht mit so unwürdigem Namen, Meister,“ bat Therese schmerzlich.

„Sie nennen mich ja Alle so, warum also soll ich es nicht auch thun?“ rief Mesmer lachend.

„Sie nennen Dich jetzt noch so, aber heute schon werden sie Dich, wie ich, als ihren Herrn und Meister begrüßen. Heute noch werden sie zur Erkenntniß kommen, heute noch werden sie zu Deinen Füßen niedersinken und weinend und innerlich zerknirscht, Dich um Vergebung flehen, daß sie so lange an Dir zweifelten, so lange im Irrthum befangen waren.“

,O, mein Kind, wie wenig kennst Du die Welt!“ rief Mesmer schmerzlich. „Die Menschen verzeihen niemals denen, welche sie eines Irrthums überführten, und für empfangene Wohlthaten pflegen sie sich durch Verleumdung und Verdächtigung zu rächen.“

„O, wenn es so ist, Meister, so lasse mir meine Blindheit! Begehre nicht, daß ich Diejenigen sehen soll, welche Deine Feinde sind, oder gieb meinen Augen die Kraft eines Dolches, damit ich die Unwürdigen durchbohre, gieb –“

Sie stockte, und sank ächzend in die Kissen des Sopha’s zurück. Mesmer hatte seine Hand gegen sie ausgestreckt und die Spitzen seiner Finger berührten fast ihre Stirn.

„Du bist aufgeregt,“ sagte er, „schlafe!“

„Nein,“ murmelte sie, „nein, ich will nicht schlafen!“

„Ich will es!“ sagte Mesmer gebieterisch, und die Spitze seines Vorderfingers berührte leise ihre Stirn.

Therese seufzte tief auf, ihr Haupt sank zurück, und die schweren und ruhigen Athemzüge, welche aus ihrer Brust hervorgingen, bezeugten es, daß sie Mesmer’s Befehl erfüllt hatte, daß sie eingeschlafen war.

Nun neigte sich Mesmer über sie und begann seine Manipulationen. Er näherte sich ihren halbgeöffneten Lippen, und auch seinen Mund öffnend, hauchte er ihren Athem ein und strömte seinen Athem in ihren Mund zurück, den jetzt ein Lächeln unaussprechlicher Wonne umzitterte. Dann erhob er seine beiden Hände und mit den Spitzen seiner Finger der Schlafenden Scheitel berührend, ließ er seine beiden Hände einen Halbkreis durch die Luft beschreiben und dann auf der Brust Thereseus sich wieder vereinigen, um dann in leiser Schwingung wieder empor zu steigen zu ihrer Stirn. So auf und ab in gleichmäßigen Wellenlinien bewegten sich seine Hände, und immer tiefer ward der Schlaf der Blinden, und immer wieder neigte sich Mesmer zu ihren Lippen, um ihren Athem zu trinken und ihr den seinen einzuhauchen.

Und jetzt öffnete sich die Thür und Theresens Mutter erschien auf der Schwelle.

„Die Eingeladenen sind Alle versammelt,“ sagte sie feierlich.

Mesmer nickte gravitätisch. „Wir sind bereit!“ auwortete er.

„Mein Gott, Sie sagen das, und doch schläft Therese?“ rief Frau von Paradies verwundert.

„Ich werde sie wecken, wenn es Zeit ist. Wo ist meine Glasharmonika?“

„Im Salon, wie Sie angeordnet hatten!“

„So lassen Sie uns dahin gehen, und von dorther Therese rufen!“



II.
Der erste Tag des Lichts.

In dem Salon des Herrn von Paradies war die Elite der wiener Gesellschaft versammelt. Die Aristokraten, die Wissenschaft, die Kunst und die Industrie war hier vertreten, ja selbst die Kaiserin, wie gesagt, hatte einen ihrer Kammerherren gesendet, um ihr Bericht zu erstatten über die merkwürdige Operation, die der neue Wunderdoktor heute an der „Pensionärin der Kaiserin“ vornehmen wollte. Aber auch aus dem niedern Bürgerstande, sogar aus den untersten Schichten des Volkes waren auf ausdrückliches Begehr Mesmer’s einige Bevorzugte eingeladen worden; die Bewohner der Paläste wie der Hütten sollten Zeuge sein des Triumphes der neuen Wissenschaft über die alte, des Triumphes des thierischen Magnetismus über die Satzungen der bisherigen Arzneikunde.

Ein geheimnißvolles Halbdunkel herrschte in dem Saale, denn auf Mesmer’s Anordnung waren die grünen Vorhänge der Fenster heruntergelassen. Ringsum im Saale waren Stühle aufgestellt, die mehrfach gereiht in einem Halbkreise die Estrade umgaben, die sich da in der Mitte des Saales befand. Auf dieser Estrade stand ein Divan, einige Stühle und ein Tisch, auf welchem man einen verschlossenen Kasten bemerkte.

Auf diesen Kasten waren die neugierigen, fragenden Blicke der Versammlung gerichtet, und selbst Herr Professor Barth konnte sich trotz seines stolzen, ironischen Lächelns, seiner olympischen Haltung und seines hoheitsvollen Wesens, eines Anflugs von Neugierde nicht erwehren, und wandte seine stolzen Blicke immer wieder zu dem Kasten hin.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_313.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)