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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Ein englischer Künstler.
Skizze von Karl Wartenburg.
(Schluß.)

Dies war das erste Debüt Edmund Kean’s im Drury-Lanetheater, der sich als der Dritte neben die beiden ihm vorausgegangenen großen Mimen Englands, neben den unvergleichlichen David Garrik (geb. 1716 gest. 1779) und den berühmten John Philipp Kemble (geb. 1757 gest. 1823) stellen sollte.

Wenige Tage nach jenem oben geschilderten Debüt trat er als Richard III., Othello, Macbeth auf, und errang sich durch die Darstellung dieser shakespeare’schen Charaktere einen solchen Ruhm, daß trotz aller Intriguen und Ränke, der Glanz aller übrigen nebenbuhlerischen Sterne am Theaterhimmel vor dieser neuaufgehenden Sonne erbleichte. Und kurze Zeit darauf erhielt er, der sich ein paar Monate früher glücklich pries, wenn bei der wöchentlichen Theilung der Einnahme ein bis zwei Pfund auf seinen Antheil kamen, ein Spielhonorar von 50 Pfd. Sterling für jedes Auftreten, und ein Jahr später ein Engagement mit jährlich 10,000 Pfd. oder 70,000 Thlr.! Es ist dies, beiläufig bemerkt, fast dieselbe Summe, welche Herr von Cotta für das Verlagsrecht an den sämmtlichen goethe’schen Werken zahlte. Indessen ist England nun einmal trotz aller Corruption, von der man in den londoner Correspondenzen der Zeitungen liest, und die auch zum großen Theil vorhanden sein mag, das Land, in welchem man das Talent, das Genie für seine Leistungen mit einer Großartigkeit honorirt, die alle festländischen Begriffe übersteigt. Doch wir wollen nicht blos von den enormen Einkünften Kean’s sprechen, so wunderbar fabelhaft diese Summen auch einem deutschen Ohr klingen mögen, sondern zur weiteren Charakterschilderung dieses originellen Künstlers zurückkehren. Schon eine kurze Aufzählung der rein äußeren Lebensmomente zeigt, welche seltsame Laufbahn dieser Künstler durchschritten, bevor er zu jener glänzenden Höhe gelangte.

Im fünften Jahre – er war geboren 1790 – Figurant auf demselben Theater Londons, auf welchem er neunzehn Jahre später unter einem so enthusiastischen Beifall des Publikums seine Laufbahn als größter mimischer Künstler Englands begann; im elften Jahre Kajütenjunge auf einer Handelsbrigg, mit welcher er bis nach Madeira segelte, wo er entfloh, um nach London zurückzukehren, und nun hier, als Affe verkleidet, durch Kunststücke und Burzelbäume auf dem Seil die Besucher des Bartholomäusjahrmarkts zu ergötzen; im dreizehnten Jahre Zögling der Gelehrtenschule zu Eton in Buckinghamshire und den „bellum gallicum“ und „bellum civileCäsar’s und die „ὈδύσσιαHomer’s studirend; hierauf, entflohen aus den Hörsälen der Gelehrtenschule, wo ihm die strenge Disciplin ein Gräuel war, wandernder Komödiant, und heute bald im grünen Irland, in einigen Wochen in Schottland oder lustigen Alt-England – und endlich der erste Schauspieler dieses Englands, mit welchem die vornehme und fashionable Welt Londons, vom bürgerlichen Dandy bis zum Pair und Herzog, und von der reichen Banquiersfrau der City bis zur hocharistokratischen Lady und Vicomtesse der Regent-Street und des Square-Hannover, eine wahre Abgötterei treibt! – Aber trotz dieser Vergötterung gab es wohl niemals einen Menschen, der diese vornehme, aristokratische, elegante Welt so energisch und grimmig haßte, wie Kean, gab es wohl niemals einen mit Huldigungen aller Art gefeiertern Künstler, der die Huldigungen dieser vornehmen Gesellschaft so sehr floh und mied, wie Kean, welcher seine Erholung und Amüsements in den tollen Abendgesellschaften suchte, die er, einige Zeit lang in Gemeinschaft mit Lord Byron, dem berühmten Dichter des „Childe-Harold,“ einer Anzahl gleichgesinnter Freunde und Freundinnen gab. Dieser Abneigung oder vielmehr diesem Haß Kean’s gegen die sogenannte vornehme, feine Welt lag indessen ein Motiv zu Grunde, das zu erfahren nicht ohne Interesse sein wird.

„Ihr wollt wissen,“ antwortete Kean einst einigen seiner Freunde, die ihn über den Grund dieser Abneigung befragten, „warum ich diese vornehme, hocharistokratische Gesellschaft, diese Pairs und Herzöge und edlen Lords hasse? Warum ich die Einladungen zu ihren Fêten, Gastmählern und Gesellschaften ausschlage? Ich will es Euch sagen. Weshalb laden diese vornehmen Herren unseres Gleichen ein? Um mit uns an ihrer Tafel zu paradiren, um uns ihren Gästen zu zeigen, wie man in den Menagerien ein wildes Thier, vielleicht einen Löwen oder Tiger zeigt und dabei sagen zu können: Seht, das ist der berühmte Kean, den ich Euch vorführe; gerade so, wie sie den Leuten ihre Vollblutrosse zeigen, die bei dem Wettrennen in Ascott den Preis gewannen. Und dann soll ich mich noch für diese Ehre bedanken, soll mich Seiner Lordschaft mit devoter Miene zu gütigem Wohlwollen empfehlen? Goddam! Denken diese Schwachköpfe, daß ein Mann von Talent und Genie ihnen schmeicheln soll, weil ihnen der Zufall bei der Geburt eine Baronetschaft, einen Lordstitel oder eine Pairie in die Wiege geworfen hat? – Und dann noch Eins! Ich würde in diesen feinen, fashionablen Gesellschaften, wo der sogenannte feine Ton, die Etiquette oder wie sie nun dieses Gemisch von Unsinn, Vorurtheilen, Steifheit und Albernheit nennen, herrscht, ich würde, wiederhole ich, in diesen feinen Cirkeln zu Grunde gehen. Ich bin Plebejer, aus dem Volk entsprossen, und meine Kunst und mein Talent sind plebejischer Natur. Oder glaubt Ihr, daß ich, wenn ich aus einer dieser vornehmen Coterien stammte oder mich in ihren Kreisen naturalisirt hätte, den Macbeth, den Richard, den Othello, den Shylock so darstellen könnte, wie ich diese Charaktere Euch jetzt vorführe? Dann irrt Ihr gewaltig! Diese wilde Energie, diese Leidenschaftlichkeit, die mich bei der Darstellung jener dichterischen Gestalten erfaßt und die Ihr so oft bewundert habt, beruht auf meiner plebejischen Natur, auf meiner plebejischen Kraft, die ich meiner Abstammung aus dem Volke verdanke. Meine Kunst ist demokratischen Ursprungs.“

Aus dieser Ansicht, die, so viel Wahres ihr auch zu Grunde liegen mag, doch an’s Extreme streift, entsprangen die späteren Verirrungen des berühmten Künstlers, die, wenn sie auch nicht den inneren Kern seines Charakters, der bei alledem ein edler blieb, befleckten, doch sein eminentes Talent frühzeitig zu Grunde richteten und ihm ein baldiges Ende bereiteten. Um den Gesellschaften und Soireen in den parfümirten Salons der aristokratischen Damen von Regent-Street zu entfliehen, stieg Kean in die schlechtesten Kneipen und Bierkeller Londons, in welchen er, unter einer sehr gemischten Gesellschaft von ruinirten Spielern, ausgedienten Boxern, deren Beschäftigung er leidenschaftlich liebte, sogenannten zu Grunde gegangenen und verkannten „Genies“ aus allen Zweigen der Kunst, entlassenen Offizieren und eingefleischten Zechbrüdern, seine Nächte verbrachte. Die Mitglieder einer dieser ehrenwerthen Gesellschaften, welche sich in dem „Kohlenloch“ – der Name ist schon bezeichnend – einer der obscursten und schmutzigsten Kneipen Londons ihre Stelldicheins gaben, nannten sich unter einander die „Wölfe,“ und Edmund Kean, der gefeierte Heros der englischen Schauspielkunst, in dessen Vorzimmer, als er sich einst bei einer tollen Wettfahrt den Arm ausgefallen, Pairs, Herzöge, Lords und Baronets drängten, um ihm ihr Beileid zu bezeugen, Edmund Kean, der erste Schauspieler Englands, war das Oberhaupt der Wölfe, der Stuhlmeister dieser Nachtgesellen, welche bei ihren Bacchanalien den Porter, Ale, Grog und stärksten Franzbranntwein aus ungeheueren hohen, steinernen Krügen tranken. Zuweilen hatte er bei diesen nächtlichen Gelagen einen Gefährten, es war Lord Byron, der sich unter diesen Wölfen gleichfalls behaglicher fühlte als unter den Kreisen der „respectablen Welt,“ die, um sich deshalb dafür zu rächen, den großen Dichter mit dem socialen Bann belegte und ihn gleichsam ächtete. Auch Lord Byron haßte diese ehrbare Welt Londons, wenn auch die Motive, die dem Haß des Dichters zu Grunde lagen, anderer Natur waren als die Kean’s.

Wenn man übrigens der Tradition trauen darf, so war es im „Kohlenloch“, wo jener seltsame Trink-Wettkampf zwischen Kean’s Bären und Byron’s Löwen stattfand. Dieser denkwürdige Zweikampf endete, wenn wir nicht ganz irren, mit dem Tode des Bären, nachdem dieser zwei Kannen des stärksten Franzbranntweins in einem Zug geleert, und Byrons Löwe ging aus dem Wettstreit als Sieger hervor.

Daß solche Orgien die Gesundheit Kean’s schwächten und seinen Geist zerrütteten, ist natürlich, und eine Menge barocker Einfälle, die er zum Besten gab, sind lediglich dem schädlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_319.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)