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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

schickten eine Deputation zum Schultheiß, vor dem sie die Anklage vorbrachten, und wenn dieser nach Abhörung der Zeugen die Sache in Wichtigkeit befunden, so wurde ihnen der Einzug in den Flecken gegönnt. Sie umringen nun des geschlagenen Mannes Haus, steigen auf das Dach, hauen den First ein und decken ihm ohne alle Barmherzigkeit das Dach ab. So unleidig erschien den alten Deutschen die Schmach eines Mannes, der sich von seiner Frau schlagen ließ, daß sie sich Alle für verpflichtet hielten, den Schimpf zu rächen. Ob einige von diesen Gebräuchen wohl auch heutzutage am Platze wären?

Das Niederreißen und Verbrennen der Häuser kömmt aber auch auf einer weit ernsteren Seite der Geschichte vor. Die Häuser und Burgen geächteter Friedensbrecher wurden der Erde gleich gemacht oder niedergebrannt oder ein Kreuz hineingerissen. Kapitalverbrechern wurde das Dach abgetragen, das Thor verpfählt, der Brunnen mit Erde zugedeckt und der Ofen eingeschlagen. Ungerechten Richtern wurde das Haus weggebrannt, und selbst das Gras an der Stelle, wo es gestanden, ausgestochen. Ja, schon wegen Ungehorsams gegen die Obrigkeit wurde z. B. Weinwirthen die Thüre Jahr und Tag zugeschlagen, daß sie nichts verschleißen noch verzapfen konnten.

Noch einer Strafe der Vorzeit müssen wir gedenken, einer Strafe, die zunächst weder das Leben noch den Leib noch die Freiheit berührte, die aber gerade den edelsten Mann am Tiefsten in’s Herz traf. Denn sie beraubte ihn eines Gutes, dessen zu entbehren dem Menschen am Schwersten fällt, des Umgangs mit seines Gleichen. Zu allen Zeiten sind Verbrecher aus ihrem Vaterlande vertrieben worden. Coriolan, Cicero und viele andere Römer wurden verbannt, Augustus wies den Dichter Ovid nach Tomi, Domitian den Evangelisten Johannes nach Pathmos. Der Petalismus der Syrakusaner und der Ostracismus der Athenienser entfernte nicht die Verbrecher, wie ihre größten und edelsten Bürger, einen Solon, Themistokles, Aristides, Cimon, Thucidides, Alcibiades u. A. aus dem Vaterlande. Die Russen verbannen ihre Verbrecher nach Sibirien, die Engländer nach Australien, die Franzosen nach Cayenne. Selbst Preußen machte 1602 den Versuch, Missethäter nach Sibirien zu deportiren. Aber das deutsche Recht kannte ein Exil noch schrecklicher als alles dieses. Das war die Acht. Die Acht pflegte nicht nur die Landesverweisung, sondern auch den bürgerlichen Tod, Confiscation des Vermögens, Auflösung der Ehe, Verlust alles Schutzes, kurz, gänzliche Friedlosigkeit und Vogelfreiheit nach sich zu ziehen. „Wir theilen,“ hieß es in den alten Formeln, „wir theilen Deine Wirthin zur Wittwe, Deine Kinder zu Waisen, Dein Lehn dem Herrn, Dein Erb und Dein Eigen Deinen Kindern, Deinen Leib und Dein Fleisch den Thieren in den Wäldern und den Vögeln in den Lüften. Wo ein jeglicher Mann Fried’ und Geleit hat, sollst Du keins haben, und wir weisen Dich in die vier Straßen der Welt im Namen des Teufels.“ Ein Geächteter floh in die Nacht der deutschen Wälder zu den Ebern und Wölfen. Niemand durfte ihn beherbergen und speisen. Jedermann konnte ihn ungestraft erschlagen, flüchtete er in ein Haus, so wurde es angezündet. Oft stand ein hoher Preis auf seinem Kopfe. Eine solche Acht über das ganze deutsche Reich traf Heinrich den Löwen von Baiern, Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, die Churfürsten Johann Friedrich von Sachsen, Friedrich V. von der Pfalz, Maximilian Emanuel von Baiern, und noch im Jahre 1758 drohte die Reichsacht Friedrich dem Großen von Preußen, wurde aber durch die evangelischen Landstände abgewendet. Der weltlichen Acht stehen gegenüber die Bannflüche der Päpste. Doch wie die Blitze des Jupiter in Rom oftmals nur kalte Schläge waren, so ist auch bei der weltlichen Acht die Praxis milder gewesen als die Theorie.

Wenn aber die Jetztzeit die meisten der bisher erwähnten Strafen gestrichen hat, was hat sie an ihre Stelle gesetzt? Sie hat nichts Neues erfunden, aber sie hat eine Strafart, die früher eine sehr untergeordnete Rolle spielte, zur fast ausschließlichen erhoben, so daß man die Gerechtigkeit nicht mehr mit einem Schwerte, sondern einem Schlüsselbunde abbilden sollte. Denn neben der nur noch auf wenig Fälle beschränkten Todesstrafe und einigen Ehren- und Vermögensstrafen zeigen die jetzigen Strafcodexe fast nur noch eine lange Skala von Strafübeln, welche alle eine Beschränkung der Freiheit des Verbrechers zum Zwecke haben. Vom leichten Stadt- und Hausarrest, vom Bürger- und Priestergehorsam, welcher Letztere manchen Orts die Posaune, in Stuttgart die Bibel genannt wird, erstreckt sich die lange Reihenfolge über Carcer, Gefängniß, Correktions-, Arbeits-, Stock-, Spinn-, Raspelhaus, bis zum Zuchthaus und der Festungsstrafe, und ist oft mit schwerem Festungsbau, mit Galeeren-, Karren und Bergwerksarbeit verbunden, und durch Fasten, Dunkelarrest, hartes Lager, Züchtigung, Kettentragen u. a. m. verschärft worden. Was wir dagegen in der Vorzeit von Gefängnißstrafen lesen, was uns von dem „Ohr“ des Dionys, von dem „Schatz“ der Messenier, der „Hölle“ der Athenienser, was uns von den sieben Thürmen in Constantinopel und den Bleidächern von Venedig berichtet wird, berechtigt uns zu der Annahme, daß das Gefängniß damals nicht eine Freiheits-, sondern eine Lebensstrafe, und jene Orte nicht Gefängnisse, sondern Gräber gewesen sind.

Das Portrait der Vorzeit ist gemalt und der Ausdruck der Züge schwerlich zu verkennen. Grausamkeit und Mißachtung des Menschenlebens ist die tiefe Furche, welche die Stirn verfinstert und welche wir über den Schalk um die Lippen nimmer vergessen können. Nicht der schauerliche Theaterapparat erschreckt uns mehr, mit welchem man damals das abergläubische Volk im Schach zu halten suchte, die offenen Heeresstraßen und Kreuzwege, die modrigen Felsenlöcher, die verdorrten Bäume und brennenden Häuser, die Wölfe, Hunde und Schlangen, die schwarzen Tücher und rothen Mützen, die Steine, Besen und Dornenhecken, uns schrecken die zahllosen Menschenopfer, uns schrecken die sonderbaren Eicheln, die damals auf den Bäumen wuchsen, und die lebendigen Leichen, die man ehedem zu Grabe trug. Ist auch die Angabe, nach welcher allein in der baierischen Regierung Burghausen, die damals etwa 174,000 Seelen zählte, in den Jahren 1748–1776 nicht weniger als 11,000 Menschen durch Henkershand gefallen sein sollen, auf alle Fälle übertrieben, so ist das Resultat doch grauenvoll genug, wenn nur der hundertste Theil wahr ist.

Ein buntes Kleid aus hundert Lappen war damals der Codex der Strafen. Bewunderung erweckt die Mannigfaltigkeit derselben, die vormals den Alten zu Gebote stand, aber noch größere Besorgniß die Ungleichheit, die durch sie veranlaßt wurde, um so mehr, als die Wahl der Strafe meist in der Hand des Richters lag. Wer wollte ferner leugnen, daß die Alten oft das Schwarze in der Scheibe getroffen haben, aber oft genug auch sind sie weit, weit vom Ziele abgeirrt. Oder giebt es ein schreienderes Mißverhältniß zwischen Verbrechen und Strafe, als wenn in den lübeck’schen Blutregistern zu lesen ist, daß Annete Pypers wegen Entwendung eines alten Weiberrockes lebendig begraben, ja, bloße Polizeivergehen wie Kapitalverbrechen behandelt, und z. B. in Rostock ein Weib, das von einem Fremden Häringe gekauft, zum Tode verurtheilt, und einer Frau, die schimmeliges Brot verkauft, die Hände abgehackt worden sind.

Soviel lernen wir erkennen, das Volk steht nicht am Höchsten, welches die härtesten Strafen hat, und sehen wir, wie zur Blüthezeit des Rades und Galgens gleichwohl Raub und Mord an der Tagesordnung waren, so giebt es nur eine Lösung dieses Räthseln:

„Nicht die Größe der Strafe ist der beste Damm gegen Verbrechen, sondern die Unvermeidlichkeit derselben, und Feuer und Schwert hilft weniger als eine gute Polizei.“

Doch genug. Sollte der Leser oder die Leserin die Scenen, welche ich vorüberziehen ließ, erschreckt und geängstigt haben, so will ich ihnen die trüben Bilder noch mit der Geschichte von dem Glücke des „Claus Baya“ in Stockholm verscheuchen, welcher unter Christian II. nebst vielen andern Bürgern in das Gefängniß geworfen und darin erdrosselt werden sollte, aber so ungeheuer dick war, daß man ihn in kein Gefängniß brachte und laufen ließ.




Der edle Wein.
Von Dr. H. Hirzel.

Der Wein ist die Perle unserer Getränke. Tausendstimmig sind seine guten Eigenschaften besungen und gepriesen worden, und mit Recht sagt der große Dichter:

„Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang;
Der bleibt ein Narr sein Leben lang.“

Nie wird der Weinjubel auf der Erde verstummen. So verschieden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_321.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)