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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 25. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Mesmer in Wien.
Von L. Mühlbach.
(Fortsetzung.)

„Mein Gott, mein Gott,“ flüsterte sie, sich angstvoll an Mesmer’s Arm klammernd, „sehen Sie nur, wie alle diese Dinge auf mich zuschreiten, sie werden über uns zusammenstürzen und uns zerschmettern.“

Mesmer lächelte, „Diese Dinge stehen fest,“ sagte er, „und wir sind es allein, welche sich bewegen. Sie werden sich an alle diese neuen Eindrücke gewöhnen, Sie werden durch die Erfahrung die Gesetze der Optik begreifen und die Größe der Gegenstände ermessen lernen.“

„Aber was ist denn das?“ rief Therese verwundert, indem sie sich eben dem großen Wandspiegel näherte, der zwischen den Fenstern angebracht war.

„Das ist ein Spiegel, Therese.“

„Aber darin sind Sie ja zum zweiten Mal? Wer ist es, der es wagt, so auszusehen wie Mesmer?“

„Das ist mein Spiegelbild, Therese!“

„Aber welch’ eine wunderliche Gestalt mit der abscheulichen Matignonfrisur hängt da am Arm Ihres Spiegelbildes?“

„Das sind Sie, Therese!“

„Das bin ich,“ rief sie lebhaft, indem sie hastig auf den Spiegel zuschritt. Aber plötzlich wich sie entsetzt zurück.

„Mein Gott,“ sagte sie, „diese Person kommt gerade auf uns zu. Lassen Sie uns zurücktreten, oder sie wird uns umstoßen!“

Und sie wich ängstlich und scheu zurück; auf einmal aber lachte sie fröhlich auf. „O,“ sagte sie, „dieses Mädchen hat eben so wenig Muth wie ich. Je weiter ich mich von ihr entferne, desto ängstlicher weicht sie vor mir zurück.“

„Aber das ist auch nur eine optische Täuschung, Therese.

Das junge Mädchen, welches Sie da sehen, ist auch nur ein Spiegelbild, Ihr Bild!“

„Ach, es ist wahr, ich vergaß es,“ sagte sie, müde, indem sie ihre Hände gegen ihre Stirn drückte. „Kommen Sie, führen Sie mich dicht an den Spiegel, daß ich mich betrachten kann! Ich werde die Augen schließen, um nicht vor der Erscheinung zu erschrecken.“

Sie schloß die Augen und lehnte sich fester auf den Arm Mesmer’s, der sie jetzt zu dem Spiegel geleitete.

„Das also bin ich,“ flüsterte Therese, ihre Augen wieder öffnend, und mit prüfenden Blicken ihr Spiegelbild betrachtend.

„Meine Mutter hat Unrecht,“ sagte sie dann nach einer Pause.

„Das Gesicht da ist nicht hübsch, denn es ist langweilig; die Seele hat noch nichts auf dieses Gesicht geschrieben. Kommen Sie, Meister, beschäftigen wir uns nicht mehr mit diesem langweiligen Gesicht, lassen Sie mich den Himmel sehen!“

„Erst wollen wir versuchen, ob Sie das Tageslicht auch schon in seiner unverhüllten Gewalt ertragen können, Therese. Bleiben Sie hier stehen, ich werde den Vorhang des Fensters öffnen.“

Mesmer trat an das Fenster und ließ den Vorhang langsam aufrollen. Aber Therese stieß einen Schrei des Entsetzenn aus und verhüllte sich das Gesicht.

„Das bohrt in meinen Augen wie Dolchspitzen,“ ächzte sie.

„Ich wußte es wohl,“ sagte Mesmer, „Ihre Augen müssen sich erst an den Tag gewöhnen. Ich werde Ihnen den Himmel heute Abend zeigen. Jetzt, Therese, müssen Sie es sich schon gefallen lassen, die Binde wieder vor Ihr Antlitz zu legen, denn Ihre Augen bedürfen der Ruhe!“



III.
Das Concert.

Die ganze vornehme Welt Wiens war in dem großen Concertsaal versammelt, in welchem Therese von Paradies heute ihr erstes Concert geben wollte, seit sie durch die Wunderkur Mesmer’s ihr Augenlicht wieder erhalten hatte. Jedermann war daher neugierig und gespannt, sich selber durch den Augenschein zu überzeugen, wer von den streitenden Parteien Recht habe, der Doctor Mesmer und die Familie Paradies, welche behaupteten, daß Therese wirklich geheilt sei, oder die Herren Barth und Ingenhaus und das ganze Corps der Aerzte, welche sagten, eine solche Heilung sei ganz unmöglich, und das Ganze sei nur eine Betrügerei Mesmer’s, zu deren Ausführung die Familie von Paradies ihre Hand geboten.

Man war also heute nicht gekommen, um dem wundervollen Spiel Theresens zuzuhören, sondern um sie zu sehen und sein Urtheil zu fällen. Dieses Concert sollte zugleich eine öffentliche Prüfung sein, und Herr von Paradies hatte daher öffentlich in den Zeitungen bekannt machen lassen, daß in den Pausen des Concerts Therese bereit sei, sich mit Jedermann zu unterhalten und Proben abzulegen, daß sie wirklich sehend, und daß ihre wunderbare Heilung keine Chimaire sei.

Auch Herr Professor Barth mit seinen Freunden, dem Doctor Ingenhaus und Pater Hell, war zu dem Concert gekommen und hatte mit triumphirender Miene und einem klugen Lächeln auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_325.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)