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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

und sanft geworden war. „Ich weiß Alles, was hier vorgeht,“ fuhr er fort, seine zürnenden Blicke auf Theresens Eltern heftend. „Sie wollen dieses arme Kind wieder zurückstoßen in ihre Nacht. Aber so schnell soll es Ihnen nicht gelingen. Meine Ehre, mein Name, meine Zukunft und das System einer neuen Wissenschaft, deren Vertreter ich bin, steht auf dem Spiel. Ich werde für Therese und für mich selber kämpfen gegen Ihre Grausamkeit. Sie wissen es, daß diese Aufregungen, diese Kämpfe geeignet sind, Therese wieder blind zu machen, und Sie werden sie doch nicht schonen! Ich bin also gekommen, sie von hier fortzuführen, und sie mit mir in meine Villa zu nehmen zu meinen andern Kranken. O, seien Sie ruhig. Niemand wird dabei etwas Anstößiges finden, denn Therese wird da sein unter dem Schutz meiner Frau, der ich heute zum ersten Mal vergebe, daß sie meine Frau ist, denn sie macht es mir möglich, Therese zu beschützen und über ihr zu wachen, auf daß sie vollständig gesunde. Therese, mein Wagen wartet vor Ihrer Thür. Sind Sie bereit, mit mir zu gehen und bei mir zu bleiben, bis Ihre Kur vollendet ist und Ihre Augen stark genug sind, um das Weinen und die Menschengesichter vertragen zu können?“

„Aber ich werde es nicht dulden!“ sagte ihr Vater, heftig näher schreitend. „Therese ist meine Tochter, und Niemand als ich allein hat zu entscheiden, was mit ihr geschehen soll. Therese verläßt mein Haus nicht, sie bleibt unter dem Schutze ihrer Eltern!“

„Sie geht mit mir!“ sagte Mesmer mit einer Stimme, welche mächtig war wie Donner. „Ihr habt sie in meine Kur gegeben, und so lange sie krank ist, gehört sie ihrem Arzte. Komm Therese, ich trage Dich zum Wagen!“

Leicht wie eine Feder hob er sie empor, und wandte sich mit ihr der Thür zu. Mit einem Ausruf des Zornes stürzte Herr von Paradies ihm nach, während seine Frau zur Erde niedergesunken war und betete.

Wie Mesmer eben die Thür öffnen wollte, stand Herr von Paradies vor derselben, und deckte mit seinem Rücken den Ausgang.

„Lassen Sie uns gehen!“ rief Mesmer glühend und mit flammenden Blicken.

„Gehen Sie, aber lassen sie meine Tochter hier!“

„Nein, sie geht mit mir! Ihr sollt sie nicht wieder blind machen!“

Er suchte mit dem rechten Arm, welchen er frei hatte, während Therese in seinem linken Arm ruhte, Herrn von Paradies von der Thür fortzudrängen. Als dieser sich widersetzte, drang ein wildes, spöttisches Lachen von Mesmer’s Lippen, die Riesengestalt richtete sich in ihrer ganzen Größe auf, sein starker, muskelkräftiger Arm hob die kleine zierliche Gestalt des Herrn von Paradies empor, und schleuderte sie weit hinein in das Zimmer.

„Lebt wohl und fürchtet nichts,“ rief er mit lauter Stimme, „Therese bleibt bei mir! Aber noch ist Euere Pension nicht verloren, noch könnt Ihr ja sagen, daß sie blind ist, denn ich nehme sie mit mir, um sie zu heilen!“

Aber alle Bemühungen und Kämpfe Mesmer’s waren vergeblich.

Das Schreckbild der gefährdeten Pension machte Herrn von Paradies grausam und unempfindlich gegen die Thränen seiner Tochter, gegen die Versicherungen Mesmer’s, daß er Therese für immer zu heilen im Stande sei, wenn man sie nur noch einige Zeit seiner Pflege und Aufsicht anvertrauen wollte.

Herr von Paradies hatte kein Mitleid mehr, Therese mußte durchaus blind bleiben, damit ihre Eltern den Genuß der Pension behielten. Er jammerte und klagte laut in ganz Wien, daß Mesmer ihm seine Tochter geraubt habe und sie ihm vorenthalte; bald nahm ein Theil des Publikums Partei für ihn, und suchte Alles in Bewegung zu setzen, um dem unglücklichen und zärtlichen Vater wieder zum Besitz seines geliebten Kindes zu verhelfen. Herr von Störk, der Leibarzt der Kaiserin, wußte endlich, gedrängt von den Aerzten und den Gönnern des Herrn von Paradies, einen kaiserlichen Befehl zu erwirken, dem gemäß Mesmer das Fräulein Therese von Paradies wieder ihrem Vater übergeben sollte.

Mit diesem schriftlichen Befehl begab sich Herr von Paradies in Begleitung seiner Frau in das von Mesmer bewohnte und ihm gehörige Haus, und forderte seine Tochter zurück. – Eine herzzerreißende Scene war die Folge davon. Therese in Thränen zerfließend, warf sich ihrem Vater zu Füßen, und flehte um Gnade, und schwur, daß sie wirklich sehen könne, wirklich geheilt sei! Als er unempfindlich blieb gegen ihr Flehen, rettete sie sich in Mesmer’s Arme.

„Ihr Vater“, erzählt Mesmer selbst, „wollte sie mit Gewalt wegnehmen und drang mit dem Degen in der Faust wie ein Rasender auf mich ein. Man entwaffnete diesen Wüthenden, aber Mutter und Tochter fielen mir ohnmächtig vor die Füße, die erstere vor Zorn und Schmerz, die letztere, weil sie ihr barbarischer Vater mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen hatte. Die Mutter erwachte bald wieder, aber wegen des Schicksals der Tochter blieb ich in der äußersten Unruhe; sie fiel immer wieder in Convulsionen und Rasereien, ja sie wurde auf’s Neue blind! Ich besorgte, es möchte ihr das Leben, wenigstens die Vernunft kosten, dachte an keine Rache, vernachlässigte alle rechtlichen Mittel und suchte blos die Unglückliche, welche in meinem Hause geblieben war, zu retten.“[1]

Indeß dies Bemühen Mesmer’s war vergeblich. Herr von Paradies kehrte mit dem verschärften Befehl, ihm Therese auszuliefern, wieder, und das unglückliche Mädchen mußte gehorchen.

Von nun an war und blieb sie blind, denn Mesmer war nicht mehr da, ihre gläubigen Augen sehend zu machen, und mit dem Lichte seiner Augen die Nacht der ihren zu durchbrechen. Er verließ Wien, in welchem er so vielfache Verfolgungen erduldet hatte, und wandte sich nach Paris.

Professor Barth und Doctor Ingenhaus triumphirten. Therese von Paradies blieb blind und gab als Blinde noch viele Concerte. Ob sie jemals sehend gewesen, ob ihre ganze Heilung nur eine Mystification Mesmer’s gewesen? das ist eine Frage, die niemals entschieden worden. Denn noch jetzt, wie damals, läugnen es die Männer der Wissenschaft, beschwören es die gläubigen Mesmerianer. [2]




Lebensbilder aus dem englischen Parlamente.
I.
Einführung. – Der Parlamentarismus, wie er scheint, ist, war und sein wird. – Eröffnung des Parlaments.

Wie überhaupt die falschesten Vorstellungen über England, aus frühern Zeiten vererbt und so wie Glaubensartikel in der Welt geltend und coursirend, vorherrschen, obgleich sie längst aus dem Leben gewichen oder zu Schatten geworden, so hat man besonders über das Parlament die feierlichsten und erhabensten Ansichten, und blickt mit Beschämung von den schläfrigen und machtlosen „Kammern“ zu Hause auf diese alte, souveraine, gesetzgebende Macht, vor der sich die Krone eben so demüthig beugt, wie jeder Unterthan dieser Krone in den drei vereinigten Königreichen Großbritanniens, und in fünfzig, über alle Erdtheile, Längen- und Breitengrade vertheilten Kolonien. In Deutschland wird dieser alte Heiligenschein um das englische Parlament durch tägliche Auszüge aus der schlesinger’schen „lithographischen Korrespondenz“ in den Zeitungen, durch gewissenhafte Excerpte aus den Parlamentsreden, durch Leitartikel in der kölnischen Zeitung und für den zweimeiligen Umkreis Berlins speciell durch die Raisonnements


  1. Kerner: Franz Anton Mesmer S. 70.
  2. Wie weit Mesmer, der Erfinder des thierischen Magnetismus, ein Mann der Wissenschaft war, wie weit er just in diesem historisch-wahren Falle operativ zu Werke ging, um dann mit dem Ergebniß seiner wunderbaren Kraft zu prahlen, ob er selbst an seine Kraft glaubte oder nur ein gewöhnlicher Charlatan war, ob Therese überhaupt jemals sehend gewesen oder nicht – das zu untersuchen liegt nicht im Bereiche der Novellistik, deren Aufgabe es hauptsächlich mit ist, den Helden der Erzählung möglichst interessant hinzustellen. Ob dies der talentvollen Verfasserin gelungen, mögen unsere Leser selbst entscheiden. Was den thierischen Magnetismus selbst betrifft, so verweisen wir auf Gartenlaube Nr. 32. Jahrg. 1854.
    Die Redaktion.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_339.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)