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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Geständnisse moralisch todt, die Philosophie des englischen Lords ward vom Parlamente angenommen.

Dies zur Einleitung in eine kleine Reihe parlamentarischer Lebensbilder, aus welchen sich Jeder leicht den „Parlamentarismus“, wie er ist, vorstellen lernen kann.

Fangen wir mit dem Anfange an, der jährlichen steifen, lächerlich prunkenden Förmlichkeit der Eröffnung des Parlaments.

In der letzten Hälfte des Januar oder der ersten des Februar jedes Jahres, stellen sich eines Morgens eine Menge Volks, Weiber und Dienstmädchen mit Kindern und Fremde in zwei Reihen vom Buckingham-Palaste der Königin nach dem Parlamentsgebäude hin auf. Jungen klettern auf Bäume im St. James-Park und werden von Policemen in der Regel ganz freundschaftlich wieder heruntergenöthigt. Hinter der dünnen Doppelreihe von Menschen fährt manchmal eine Equipage mit sonderbar aufgeputzten Kutschern und Dienern hinten, die an alte Ritterschauspiele oder Kunstreiter oder Affen, die tanzen müssen, erinnern. Dann reiten wieder einige Exemplare der „Roßgarde“ auf und ab, schöne, ausgesuchte Riesen mit einem Putz, wie man ihn im Uebrigen blos an Figuren anbringt, die unter Glasglocken gestellt werden. So ein Kerl kostet als Gemeiner schon beinahe 3000 Thaler. Er sitzt auf einem Sattel von dem feinsten, weißen Vließe, das, wenn es naß wird, zusammenfällt und verdorben ist, ohne daß man es wieder ausschütteln kann, wie der gebadete Pudel sein Fell. Wahre Zierpuppen diese Leib-Roßgarde der Königin, deren Officierstellen als die fettesten und nichtsnutzigsten der feinsten Crème überflüssiger zweiter Lordssöhne privilegirt sind. – Später stellen sich sonderbar verkleidete fabelhafte Gestalten ein, die man sonst nirgend sieht, räthselhafte Beamte und Ruinen aus der Tower-Festung, die von alten Jahrhunderten her das Privilegium haben, vor der zum Parlamente fahrenden Königin in ihren alten, aus verschiedenen Jahrhunderten zusammengestoppelten Ritter- und Knappen-Kostümen zu Fuße einherzutrappeln. Seit vielen Jahren ist ein alter, sehr lahmer Ritter unter diesen Privilegirten, um dessentwillen die arme Königin immer ganz besonders langsam gefahren werden muß. So vergehen manche Stunden. Endlich setzt sich der Maskeradenzug vom Buckingham-Palaste aus in sehr unordentliche, zottelige, mit vielen Lücken versehene Bewegung. Die Königin, in einem Wagen mit einer großen Krone über sich, wird von lauter Privilegirten, Maskirten, Verkleideten, Entstellten unordentlich, langsam, mit grausamen, lächerlichen Förmlichkeiten, an denen sie kein Jota ändern darf, in’s Parlament geschleppt, damit sie die ihr vom Ministerio in die Hand gezwungene, jedesmal ausgesucht nichtssagende Thronrede, dem versammelten „Hause“ vorlese und es für eröffnet erkläre, ihm die Weihe, den Schein, das Privilegium, zwischen Krone und Volk Humbug mit beiden zu treiben, erneuere. Das Volk jubelt. Vor dem Parlamentsgebäude wird getrompetet, daß den Bläsern die Augen zum Kopfe herausstehen. Die Königin wird von Lords, in prächtigen, lächerlichen Schlepproben und oben unter Perrücken begraben, in Empfang genommen und in fabelhaft prächtige Räume, durch fabelhaft prächtige Corridors, gespickt mit der höchsten Auswahl weiblicher Aristokratie des Landes, in steifsten Förmlichkeiten geführt. Eine andere, fabelhafte Förmlichkeit, deren Details selbst die eingeweihtesten Engländer nicht capiren, bringt sie auf den Thron des unsäglich prächtigen Oberhauses. Um den Thron stehen merkwürdige Gestalten in Roben und Perrücken und der erste Herzog mit einem mächtigen Schwerte, das Niemand mehr schwingen kann, und noch mehr Humbug in andern Roben und andern Perrücken und moderne Offizierkleider, worin auch hohe Personen stecken, und andere Personen bis zum Kopfe ganz modern im Leibrock, aber oben mit einer Perrücke, daß sie kaum aus den Augen sehen können. Kein Mensch weiß, wozu diese Herren Perrücken tragen oder überhaupt da sind und Niemand kennt den geringsten Zusammenhang aller dieser Maskenwirthschaft ohne Witz und Sinn und Geschmack, mit der Gesetzgebung des Landes. Daß die Königin blos darüber lachen soll, wie sie öfter von ihrem gerührten Zwerchfelle zu thun genöthigt ward, kann unmöglich die wahre parlamentarische Bestimmung dieser Maskenunfreiheit sein.

Ist die Königin endlich glücklich auf den Thron gebracht, wird nach dem versammelten Unterhause geschickt und dieses aufgefordert, zu erscheinen. (Die Details der Förmlichkeiten sind auch hier so langweilig, daß wir unser Bild nicht damit verderben wollen.) Jetzt tritt zunächst der feierliche Moment der Procession „des Sprechers“ (Vorsitzender) im Unterhause nach dem Oberhause ein, vor dem Jeder den Hut abnehmen, den Jeder feierlich ansehen muß. Diese Procession ist in ihrem Haupttheile nach dem Leben in Holz geschnitten und hier mit abgedruckt worden. Da ist sie. Man muß es sehen, um’s zu glauben. Ja, so ist sie. So sieht sie aus, nur daß die Gesichter manchmal noch feierlicher, noch dümmer, noch hypokritischer aussehen. Sollen wir das Bild nun noch erklären? Da müßten wir einen Drehorgeltext und eine Drehorgel dazu haben und spielen und singen dazu. Da dies aber hier nicht zu machen ist, überlassen wir das Bild dem Leser unerklärt, damit er sich selbst einen Vers daraus mache.

Hinter der feierlichen Procession des Sprechers wird’s lustig. Die reichen Fabrikanten, Compagnie-Directoren, reich gewordene Shopkeepers, Juristen, Baronets und „Sir’s“ des Unterhauses, dicke, kugelige, feiste Herren, dünne, schmächtige Stutzer mit zu weiten Röcken, kahlköpfige, krumme, alte Gentlemen u. s. w. drängen sich so schulbubenmäßig herein, daß sie manchmal den Eingang verstopfen, rückwärts, vorwärts purzeln, sich gegenseitig auf die Hühneraugen treten und sich überhaupt geberden, daß die Königin, eben so wenig als andere Leute das Lachen verbeißen können. Hat sich das Unterhaus im Oberhause endlich auf seinen besondern Bänken zurechtgefunden, überreicht ein hoher Staatsmann der Königin knieend die Thronrede. Andere Herren knieen auch mit, ich weiß nicht, wer Alles. Die Königin liest das Glaubensbekenntniß des Ministeriums über die Lage des Landes laut und deutlich ab. Die Telegraphen spielen dabei nach allen Himmelsgegenden und die Jungen auf der Straße schreien die noch nicht gehaltene Thronrede für einen Penny aus. Das Haus ist eröffnet. Die Herren gehen nach Hause. Die Welt, besonders die politische und Zeitungsleitartikelschreiber, wetzen ihren Scharfsinn und bewaffnen das Auge politischen Tief- und Fernblickes auf das Wundervollste, um den Lesern in allen Sprachen zu deuten, was das Alles bedeute und bedeuten könne, was die Königin gelesen und was sie verschwiegen. Die Papiere auf den Börsen horchen, ob sie vor Schreck fallen oder vor Freude himmelhochjauchzend steigen sollen und fallen und steigen nach Herzenslust und Herzensangst über die Thronrede, bis nach 24 Stunden Alles vergessen ist und beide „Häuser“ nach Ueberwindung parlamentarischer Förmlichkeiten anderer Art endlich zum Geschäft übergehen.

Aus diesem angeblich weltwichtigen Geschäftsleben des Parlaments wollen wir dem Leser einige charakteristische Bilder herausheben und möglichst so einrahmen, daß man leicht rathen kann, was noch Alles über diese Rahmen hinaus sich bilden und gruppiren mag.




Aus dem Hause für das Haus.
I. Die kindlichen Spiele.

Verlaßt einmal auf Augenblicke eure Geschäftswelt, ihr Erwachsenen, die ihr Liebe zu Kindern besitzt, und kehrt mit mir ein in der kleinen Welt der Spiele und der kindlichen Belustigungen. Diese Welt ist ein Heiligthum. Es giebt darin Rosen ohne Dornen, denn das Spiel ist eben die freie und freudige Regsamkeit des kindlichen Geistes. Aber die Welt des Spiels ist auch eine Charakterschule, und tausend Neigungen werden darin vorgebildet, die später als Angelpunkte im Menschen hervortreten. Ist es daher nicht wichtig für alle Erzieher, dieses Feld der Spiele genau zu überwachen und sich darin zu orientiren? Wir wollen jetzt einmal die kleinen Spielhelden beobachten und uns dabei leise ein paar Wörtchen in’s Ohr sagen.

Da sitzt ein kleines blondes Lockenköpfchen in einer Fluth von Spielsachen. Da giebt es Wagen, Pferde, Soldaten, Mühlen, Gärten, Theater und was sonst die elterliche Zärtlichkeit aufzutreiben gewußt hat. Das arme Kind weiß jetzt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_342.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)