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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 28. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur F Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Spiele des Zufalls.
Novelle von August Schrader.
(Fortsetzung.)

Die Bestürzung, die sich Elise’s über diese Unhöflichkeit ihres Mannes bemächtigte, wich nach einigen Augenblicken einer gerechten Entrüstung. Sie trat zu dem Fenster. Als sie gesehen, daß Wilhelmine den Wagen bestiegen hatte, legte sie Hut und Mantel wieder ab. Elise erschien jetzt in einem einfachen Kleide von grauer Seide, das ihre jugendlichen, reizenden Körperformen im hellsten Lichte zeigte. Mit bedauernden Blicken betrachtete sie ihren Mann, der, die rechte Hand in die Brustöffnung der Weste gesteckt, auf und abging. Die Blässe seines Gesichts ward durch den schwarzen Bart, der es gleichsam einrahmte, gehoben; seine Augen glüheten in einem düstern Feuer. Es ließ sich nicht verkennen, daß ihn etwas Ungewöhnliches aufgeregt hatte, denn heute überschritt der gebildete Mann zum ersten Male die Grenzen des Anstandes.

„Bernhard,“ begann die junge Frau mit bewegter Stimme, „Du hast Wilhelminen die Thür gezeigt. Ich habe seit einiger Zeit schon Deine Abneigung gegen sie bemerkt; aber ich war weit entfernt zu glauben, daß Du sie ihr auf diese Weise zu erkennen geben würdest, eine Weise, die mich nicht minder kränken muß, als meine Freundin.“

„Dich kränken?“ fragte Bernhard bitter, indem er stehen blieb und seine Frau mit durchbohrenden Blicken ansah. „Das ist wunderbar! Eine Frau fühlt sich gekränkt, wenn der Mann ihre Ehre und seine eigene zu wahren sucht!“

„Was ist das? Was ist das?“ fuhr Elise auf.

„Es sind die Worte Deines Mannes, der ein Recht hat, Dich an Deine Pflicht zu mahnen; der ein Recht hat, so zu handeln, wenn Du gewissenlos genug bist, jede Rücksicht zu vergessen, die Dir Sitte und Anstand auferlegen. Welch’ ein Glück, daß ich zeitig mein Haus betrat! Wie würde man lächeln und die Achseln zucken, wenn man sich diesen Abend in das Ohr flüsterte: Madame Rudolphi hat sich heute mit Frau von Beck in der Gemäldegalerie gezeigt. Elise, ich verbiete Dir jeden Umgang mit Frau von Beck.“

Die junge Frau zuckte zusammen; das Wort „verbieten“ beleidigte ihren Stolz. Aber noch verlor sie die ruhige Würde nicht, die sie seit dem Beginne der Scene beobachtet hatte.

„Du bist mein Mann,“ sagte sie mit bewegter Stimme; „aber ich bin auch Deine Frau, und als solche habe ich meine Rechte. Von diesen Rechten nehme ich vorzüglich das in Anspruch, daß Du mich achtest. Es ist eine Erniedrigung für jede Frau, wenn der Mann sie mit unbegründeter Eifersucht verfolgt. Lächele nur, Bernhard, Dein Benehmen gegen mich wird ausschließlich von der Eifersucht geleitet – ich scheue mich nicht, es heute auszusprechen, da Du mich auch der letzten Freundin beraubt hast, die mir seit einem Jahre geblieben ist. Ich habe bisher geschwiegen, weil ich in Wilhelminens Umgange Alles fand, was ich wünschte, und weil ich Dir durch mein eingezogenes Leben beweisen wollte, daß Du einen unwürdigen Verdacht gegen Deine Frau hegst. Aber Alles hat seine Grenzen, und so auch meine Geduld.“

„Auch Deine Geduld?“ rief Bernhard höhnend.

„Ja, denn ich habe es ertragen, daß man mich belächelte und bemitleidete – vielleicht auch, daß man mich für schuldig erachtet hat, indem ich mich Deinen seltsamen Anordnungen fügte. Jetzt vermag ich es nicht mehr,“ rief sie mit imponirender Hoheit; „und willst Du, daß ich nicht zu eklatanten Schritten meine Zuflucht nehme, so gieb mir die Freiheit des Handelns, zu der mich meine Stellung und mein Betragen berechtigen. Wilhelmine ist schwer beleidigt; ich eile ihr nach, um ihr zu sagen – –“

„Du wirst bleiben, Elise; wenn Du mich gehört hast, überlasse ich Deinem Urtheile, ob mein Benehmen von der Eifersucht oder von der Ehre dictirt ist.“

Bernhard führte seine Frau zu dem Sopha, und ließ sich dann neben ihr nieder.

„Herr von Beck,“ begann er, „ist mir von jeher eine räthselhafte Person gewesen; ich glaube es mehr als einmal gegen Dich ausgesprochen zu haben. Dein freundschaftliches Verhältniß zu Wilhelminen bestimmte mich, im Stillen Erkundigungen über ihn einzuziehen, und diesen Morgen ist es mir gelungen, Näheres zu erfahren.“

„Was hast Du erfahren?“ fragte Elise, deren Neugierde erwachte.

„Daß Herr Emil von Beck ein Glücksritter, ein Spieler von Profession, ein Roué ist, der von seinen Verbindungen mit reichen Leuten lebt. Die bleiche, interessante Wilhelmine, die überall Sympathien erweckt, ist seine getreue Helferin; sie unterhält zarte Freundschaftsverbindungen mit den Frauen, und vielleicht auch mit den Männern, die kurzsichtig genug sind, in die ihnen gelegte Schlinge zu gehen.“

„Bernhard, Bernhard,“ rief die junge Frau entsetzt, „kannst Du so abscheuliche Dinge glauben?“

„Ich zweifle nicht einen Augenblick daran!“

„Aber ich, ich, die Freundin Wilhelminens! Der Verbreiter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_365.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)