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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Gärten, Treibpalästen und zoologischen Parks. Keiner ist größer, reizender und vollständiger, als mein berühmter Nachbar hier, der zoologische Garten im Regentspark, in welchem seit seinem 26jährigen Bestehen über 14,000 fremde Thiere als – Professoren der Naturwissenschaft Millionen von Menschen durch ihr bloßes Dasein Anschauungsunterricht gaben. Jetzt beträgt die Zahl dieser Professoren zwischen 14 und 1500 Exemplaren, darunter manche, die noch nie anderswo in Europa gesehen wurden. (Die gewaltigste und umfangreichste dieser Raritäten hier, das Nilpferd, Hippopotamos, soll in einen gußeisernen Palast mit dem gehörigen Wasser gepackt werden, und auf dem Kontinente, durch Frankreich, Deutschland u. s. w. Kunstreisen machen.) Der naturwissenschaftliche Werth des zoologischen Gartens besteht aber weniger in solchen einzelnen Raritäten, als in ganzen Kolonieen solcher anderswo bis jetzt unmöglichen Seltenheiten, besonders Mollusken, Zoophyten und sonstiger niedriger und niedrigster Formen animalischen Lebens, die neuerdings solches Interesse erregen, daß Marine-Aquarien in England rasch zur herrschenden, ersten „nobeln Passion“ werden und die etwas geschmacklose Poultromanie, Leidenschaft für Vogel, besonders Hühnervieh, gänzlich verdrängen. Die Aufschließung der Meerestiefen mit ihren Millionen sonderbarer Pflanzen, Thieren und Feenpalästen durch das Zoophytenhaus in Regentspark giebt dieser Anstalt allein den höchsten, nicht leicht anderweitig erreichbaren Werth für die lebendige Naturwissenschaft, die von 1848 bis 1854 blos allein Montags (dem wohlfeilen Volkstage mit 6 Pence Entrée) über 700,000 Menschen zu Gute kam.

Ein anderweitiges, nicht hoch genug zu schätzendes Verdienst dieser zoologischen Hochschule ist ihre praktische Anweisung und Experimentirung, Geschöpfe anderer Klimate zu acclimatisiren und einzubürgern, in Haus und Hof einzuführen und für Industrie, Ackerbau, Leibesnahrung und Nothdurft zu verwerthen. In dieser Sphäre sind schon überraschende Ergebnisse erzielt worden. Alte Aeffinnen laufen mit ihren putzigen Säuglingen, ganz wahnsinnig vor Zärtlichkeit und „Affenliebe“ umher und drücken sie, daß die kleinen Monstra oft jämmerlich schreien und dadurch die Zärtlichkeiten der Alten nur leidenschaftlicher machen, so daß die Wärter oft die Mutter prügeln müssen, um ihre Liebe abzukühlen. Allerliebste, schlanke, graziöse Giraffenfüllen springen lustig umher um die endlos langen Beine der Mutter und guken schelmisch hoch hinauf zu den Augen, die im kleinen Kopfe hoch in der Lust schweben, und immer noch voller Verwunderung auf den dicken, tückischen Nachbar, das Flußpferd, herabstaunen. Schlangen haben Eier gelegt und aus den Eiern sind Junge herausgekrochen und gedeihen. Diese bürgerliche Häuslichkeit und das Familienglück von Bewohnern der heißen Klimate bekommt besondern Werth, wenn die Familien fähig werden, sich unsern Haus- und Nutzthieren anzuschließen. Auch hier kann man sich schon erfreulicher Resultate rühmen. Hühner-, Schafe-, Schweine-, Kuh-, Ziegen- und Pferdearten ferner Zonen sind auf dem Wege, nützliche Mitglieder unserer „gemäßigten“ bürgerlichen Gesellschaft zu werden.

Zu den interessantesten und nützlichsten dieser Bereicherung unseres Geldes, welches im Lateinischen direct von „Vieh“ herkommt (pecus Reichthum in Thieren, pecunia Geld), gehört die größte Sorte von Antelopen aus den südafrikanischen Wildnissen, das Eland. Ueberhaupt ist diese heitere, reiche Variation der Naturthemata: Hirsch, Reh, Schaf, Kuh, Ochse u. s. w., welche in den Antelopen von der Größe eines Hasen bis zu der eines Gemeindeochsen durchgespielt werden, im Regentsparke besonders reich vertreten. Die Elands kamen zuerst 1851 als Geschenk des ehemaligen Premierministers, Earl von Derby, in fünf Exemplaren in den zoologischen Garten. Jetzt sind es aus eigenen Mitteln derselben fünfzehn, und eines der hier Gebornen ist in diesem wunderschönen Monat Mai 1856 bereits wieder Mutter geworden. Sie haben in ihrer Gefangenschaft einen ziemlich großen Spielraum von Freiheit, kommen aber doch in ihren lustigen Sprüngen nach allen Seiten immer bald auf Eisenstäbe, vor welchen die Leute stehen und die Kinder ihre Händchen durchstecken, um sie an der Nase oder am Halse zu krauen und ihnen so die Sklaverei zu versüßen. Doch sie sind der Wildniß und uneingehegter Ebenen und Wälder ihrer Ahnen eingedenk und bedürfen jedenfalls wie fast jeder Sterbliche in der Civilisation, größerer Freiheit, um zu gedeihen. Und so nahte ihnen auch ein Befreier in der Person des Viscount Hill, eines mit Leiden- und Wissenschaft Ackerbau treibenden englischen Noblen, der einige der jungen Elands kaufte, um sie in die gesundere, sonnigere Atmosphäre seines großen Parks zu Hawkstone zu bringen, und sie zu Haus- und Nutzthieren zu bilden. Ihr Fleisch gilt als eine der größten Delikatessen der Jagd in Südafrika. Und da sie leicht fett werden und der Großvater im Regentspark ohne besondere Mast über 2000 Pfund schwer geworden, hat man alle Aussicht auf ein kostbares Stück Elandbraten in künftigen Hotels. Sie wachsen sehr schnell, und da ihre Fortpflanzungsfähigkeit in dem feuchten englischen Klima sich mehrfach bewährte, können unsere Gasttische in einer nicht zu fernen Zeit auf einen neuen, delikaten Gaumenluxus rechnen, und unsere Ackerbau und Viehzucht treibenden Männer praktischer Naturwissenschaft (das sollte jeder Bauer werden) auf eine eben so substantielle, als anmuthige Bereicherung seines lebendigen Vermögens.

Die Gruppe von Elands, nach dem Leben gezeichnet von dem deutschen Maler J. Wolf, dem speciellen Künstler der zoologischen Gesellschaft, redet für sich selbst und bedarf daher weiter keiner Erklärung. Namentlich ergiebt sich die Combination verschiedener Thiergebilde in Form und Gestaltung derselben sofort aus unmittelbarer Anschauung.




Land und Leute.
Nr. 5. Die Ruhl und die Rühler.
(Schluß.)
Die häusliche Einrichtung und die Blumenleidenschaft der Ruhler. – Ihre Hahnenkämpfe, Spiele und Tänze. – Das Glockenläuten. – Ihre Sprache.

Im Sommer wurden im Walde Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren, Brombeeren und Preißelsbeeren gesammelt, im Herbst Haselnüsse, Bucheckern und Eicheln. Die Bucheckern gedeihen nur in einem Zwischenraume von mehren Jahren. Im Spätherbst eines Eckernjahres lag dann die ganze Einwohnerschaft des Orts in den Buchenwäldern und kehrte und siebte die ölige Frucht zusammen, oder schüttelte sie von den Aesten auf unten ausgebreitete Tücher. Da gewann man das kostbare Schmalzöl für Kuchen und Suppen auf mehre Jahre. –

Es gab nur wenige sogenannte Kaufleute, „Kauf- und Handelsherren“ in der Ruhl, welche mit großen Waarenvorräthen die Messen bezogen, dagegen eine Menge kleiner Handelsleute, die nur eine Kiste verluden, oder ihre Waaren selbst auf dem Reff trugen. Das Geschäft war in den ersten dreißig Jahren des 18. Jahrhunderts blühend und einträglich. Die Kaufleute waren mäßig reich; die Handelsleute wurden es; die Fabrikanten befanden sich wohl. Der Hauptabsatz des Fabrikats wurde auf den Messen in Breslau, Frankfurt an der Oder, Königsberg und Danzig, überhaupt nach Preußen, Schlesien und Polen gemacht. Die Handelsleute frequentirten zumeist die Messen in Naumburg, Leipzig und Braunschweig. Es gab aber auch eine Anzahl Messerschmiede, welche ihr Fabrikat auf den zuletztgenannten Messen und den Jahrmärkten der thüringischen Städte vertrieben. Manche packten wohl ohne Umstände ihre Messer in das lederne, oft sehr geflickte Schurzfell, banden es auf das Reff, setzten den Bauer mit dem Dußpfeifer darauf, legten die Leimscheide mit den Fangrüthchen, das Gärnchen und die Mehlwürmerschachtel dazu und wanderten so fröhlich von dannen. Nicht selten vervollständigte das Blasrohr den geringen Reiseapparat. So konnten sie in Wald und Feld ihre Vogelfanglust befriedigen. Aber sie fingen den Bauern auch die Tauben weg und ließen sich in den Herbergen eine Mahlzeit daraus zurichten.

Die häusliche Einrichtung der Rühler war ungemein einfach. Von der Straße trat man durch die Hausthür in die reinliche Küche, die ihr Licht durch die offne Oberthür empfing und mit der reich versehenen Töpfenbank geziert war. Von hier trat man

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_386.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)