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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Sie haben mich aus Liebe zu meiner Schwester beleidigt – ich verzeihe Ihnen, ohne daß Sie mich darum bitten.“

Dann führte sie ihn zu Elisen, die ruhig an ihrem Platze geblieben war.

„Elise,“ sagte er, „Cäsar’s Onkel giebt mir in diesem Briefe eine Aufklärung, die mich mein Unrecht gegen Dich vollkommen einsehen läßt. Wilhelminens Gatte fehlte aus Liebe zu seiner Frau –“

„Und Du, Bernhard, aus Liebe zu mir!“ rief Elise, indem sie aufstand und sich an seine Brust warf. „Du siehst Dein Unrecht ein, darum schweigen wir von der Vergangenheit.“

„Aber der Scheidungsproceß?“ fragte Bernhard.

„War Project, und wird auch wohl Project bleiben!“

Ein glänzendes Abendessen vereinigte alle Personen unserer Erzählung in dem Salon Bernhard Rudolphi’s. Selbst der lange Lorenz und Susanne speisten mit den Domestiken. Die Landdrostin schilderte mit geläufiger Zunge die Leiden ihrer Ehe.

„Nehmen Sie ein Beispiel daran, meine Herren,“ schloß sie; „der Zufall fügt nicht immer eine glückliche Lösung der Dinge.“ Cäsar drückte Wilhelminens Hand und flüsterte:

„Du hast mich vor mir selbst gerettet! Hätte ich mich früher Dir offen anvertraut!“

Bernhard küßte seine Gattin; dann sagte er ihr leise in’s Ohr: „Ich werde mich hüten, in die Fußtapfen des Landdrosts zu treten!“

„Blandine,“ flüsterte der Senator, „es ist schade, daß wir nicht fünfundzwanzig Jahre jünger sind!“

„Der Zufall, mein Freund, bewirkt viel; aber eine solche Umwandlung vermag er nicht hervorzubringen. Freuen wir uns der Erinnerung, und verjüngen wir uns in unsern Kindern!“

Acht Tage später saßen Gottfried und Blandine friedlich in einem Coupé erster Klasse; sie fuhren nach Braunschweig zurück.

„Rauchen Sie!“ sagte lächelnd die Landdrostin.

„Und Sie?“

„Ich werde über die Spiele des Zufalls nachdenken.“




General Walker und die Filibusters in Central-Amerika.
(Mit dem Portrait Walker’s.)

Die Welt ist um einen Herrscher reicher geworden, zwar nicht mehr auf ungewöhnlichem, aber doch auch zugleich eigenthümlichem Wege. Ein ehemaliger göttinger Student, Walker, General Walker, Dictator Walker, hat ein Land erobert und anderer Leute Länder ebenfalls so gut wie unterworfen. Mindestens ist er absoluter Herrscher über die Republik Nicaragua, und als solcher von der Regierung der vereinigten Staaten von Nordamerika anerkannt worden. Wir wissen, daß dieser Umstand allein eine wichtige Rolle in dem drohenden Kriege zwischen Amerika und England spielt. Ein solcher Krieg könnte leicht zur welthistorischen Tragödie werden, wofür wir Alle theuer bezahlen müßten. Aber auch abgesehen davon, ist Walker’s Eroberungszug mit einer Heerde „Filibusters“ geschichtlich interessant genug und ein merkwürdiger Ausfluß unserer modernen Civilisation überhaupt. Zwar nahmen auch von jeher andere Herren, die Länder erobern wollten, die Leute dazu, wo und wie sie dieselben eben kriegen konnten und schlugen damit zu, so derb und erbarmungslos, als in ihren Kräften stand; aber die Filibusters sind eine so charakteristische Produktion unserer Zeit, daß man sie nicht mit den geworbenen, gekauften, gestohlenen und geraubten Truppen früherer Eroberer und Potentaten vergleichen kann. Die Filibusters sind Freiwillige, Freiwillige aller Nationen, ein kosmopolitischer Auswurf und Sauerteig aus allen Ländern, Völkern und Farben zusammengeworfen und in Gährung übergehend. Wir wissen von den Chemikern, daß es verschiedene Gährungen giebt, faule, weinige, zersetzende, tödtende, belebende und producirende. Es hängt von der Geschichte und den Leitern derselben ab, ob solche Gährungen in menschlichen Angelegenheiten tödten oder beleben. Man sieht also, daß Walker schon deshalb eine wichtige Person ist. Wer ist er? Und was heißt das eigentlich: Filibusters?

Sie selbst halten sich an folgenden Stammbaum ihres Namens. Bald nach Entdeckung Florida’s durch die Franzosen überfielen Spanier eine Befestigung derselben an der Küste und metzelten die ganze Besatzung nieder. Die Franzosen machten „Wurst wieder Wurst“ und schlachteten deshalb die Spanier ein. Ihre Rache-Expedition fuhr am Kap Finisterre ab, dessen Namen sie nicht recht verstanden haben mochten, so daß sie es in ihrem Berichte Finibuster und ihre überall her zusammengerafften Leute Finibusters nannten, woraus später Filibusters wurden. Doch das ist Nebensache. Filibusters sind jetzt Leute, die sich rücksichtslos und ohne Moralitäts- und Maturitätszeugnisse, ohne Tauf- und Pockenimpfungsschein, sogar ohne Paß und polizeiliche Reiseroute aus allen Gegenden, Ständen, Völkern und Racen zusammenfinden, um sich irgendwie mit gemeinschaftlichen Kräften durch die Welt hindurchzuschlagen. Ihre Richtung, ihr Erfolg, ihre Tugenden oder Schandthaten hängen wesentlich von ihrem Räuberhauptmann ab, der den ausgeworfenen, des Vaterlandes, der Freunde und Verwandten und sonstiger sittlicher und persönlicher Beziehungen beraubten Individuen erst wieder Farbe, Bestimmung, Charakter, Eigenthum, „Vaterland“ und Stellung geben soll und will. Ohne Concentration unter einem Führer und Fürsten landstreichern sie in aller Welt umher, Zigeuner der Civilisation, und suchen in polizeiwidriger Freiheit, im Kampfe mit Polizei, Gesetz und Paßvisitatoren, im Gebrauch starker, gesunder Glieder und rebellischer Grundsätze Ersatz für die ihnen versagten Güter von „Häuslichkeit, Bürgerwohl und Familienglück.“ So lange sie leben, finden sie irgendwie Lebensmittel, und wenn sie sterben, machen sie sich auch nicht viel daraus, da einem ein solches Unglück nicht zum zweiten Male passiren kann. Sie nomadisiren und zigeunern am häufigsten und liebsten da umher, wo das Auge der Polizei durch Busch und Wald, Wüste und Wildniß beschränkt wird, im Innern Amerika’s, in Californien, unter den Hinterwäldlern, um die Säume von Städten, und sind immer gleich bei der Hand, wenn etwas unternommen werden soll, wozu ein weites Gewissen, starke, gesunde Glieder, Trotz gegen Polizei, Moral und Gesetzbuch gehören. So handeln sie gelegentlich mit verbotenen Einfuhrartikeln, mit geschmuggelten Cigarren, mit Sklaven und sonstigen Dingen, wozu Courage gehört und die deshalb auch einen guten Profit abwerfen.

Walker ist ein geborner Amerikaner aus Tenessee, wohin seine schottischen Vorfahren ausgewandert waren. Seine Eltern bestimmten ihn zur Jurisprudenz und ließen ihn durch Europa reisen und in Göttingen studiren. Er lernte Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch zu seinem Englisch, und konnte deshalb gleich mit jedem Rekruten, der sich einfand, so zu sagen „Deutsch“ reden. Das machte ihn den Repräsentanten jeder Nation gleich von vorn herein populär. Von Göttingen ging er nach Paris, um dort Medicin zu studiren. „Drüben“ hielt er sich eine Zeit lang in New-Orleans auf und schrieb Broschüren und für Zeitungen. Doch hielt er’s auch da nicht lange aus. Um seinem unruhigen Blute und Streben neue Nahrung zu geben, machte er die Heldenreise von New-Orleans nach San Franzisko über Land, über tausend Meilen Wüste und Wildniß, schrieb dort wieder für Zeitungen und etablirte sich bald darauf in Marysville als Jurist.

Da aber „Recht und Gesetz“ oft nur Gewalt in Form der List, in Papier-Paragraphen gewickelte Waffe ist, entschied sich Walker bald für Gebrauch derselben ohne Papier. Er ging unter die „Rebellion“ der Einwohner von Sonora in Unter-Californien gegen Santa Anna, den republikanischen Tyrannen von Mexiko. Er schlug und verlor als Kommandant einer Insurgenten-Abtheilung mehrere Schlachten und zog sich aus seiner zerstreuten Armee nach San Franzisko zurück. Hier bereitete er seinen Filibuster-Zug gegen Central-Amerika vor, das nach seiner Meinung (in welche die Amerikaner stolz einstimmen) aus den Händen fauler, stolzer, verkommener Spanier dem Fleiße, der Intelligenz und dem Unternehmungsgeiste der „anglosächsischen Race“ übergeben und gewonnen werden müsse. So segelte er am 5. Mai 1855 mit einer kleinen Schaar Amerikaner, Deutscher, Irländer, Italiener,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_414.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)