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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

vor dem Leser schuldig ist, davon zu schweigen. Nur ein Wort über die fruchtlosen Angriffe D’Israeli’s und seiner Partei auf die palmersten’sche Wirthschaft, die aber blieb, obgleich sie sich und das Land bis zur schamvollsten Erniedrigung allseitig bloßgestellt hatte. Die Tories trauten ihrem Häuptling nicht recht und thaten nichts Rechts für ihn. Die Friedensmänner und Herren von Manchester und Kattun, welche D’Israeli in die Verschwörung zu ziehen versucht hatte, dachten: wozu sollen wir dem langen Israel wieder auf die Minister-Bank helfen? Jeder Andere ist mindestens eben so gut, wenn nicht besser. Und dem langen Israel, der in allen Parteien „gemacht“ und alle mißbraucht hat, traue der Teufel, aber wir nicht. So fiel auch er durch und es wurde weiter gedudelt, so das D’Israeli noch eine Zeit lang warten muß, ehe er wieder nudeln kann. Inzwischen bleibt er ein pikanter Stoff in langweiligem Hause. Jeder macht gern einen Witz über ihn, weil er gelegentlich Jeden einmal gebissen hat. Er gibt auch viel Stoff zur Komik. Er hat so seine Eigenheiten. Er kommt sehr fleißig, sogar ziemlich regelmäßig in’s Haus, stets allein und heimlich marschirend, Niemanden unterwegs ansehend oder gar mit sich reden lassend. Vor der Uhr zwischen beiden „Häusern“ vorbeischreitend, macht er jedesmal ohne Ausnahme einen heimlichen Blick auf deren Chifferblatt, so daß man ihn in dieser Situation schon karrikirt hat, setzt sich dann auf seinen Platz und stellt den Hut, den alle Andern aufbehalten, sorgfältig unter die Bank. Jetzt kreuzt er die Arme, sieht auf den Boden und bleibt so sitzen, bis er aufsteht, um zu reden. Ganze Stunden, ganze Abende sitzt er so ohne sein Gesicht zu bewegen oder zu seinem Nachbar Napier eine Silbe zu sagen. Diese automatische Regelmäßigkeit, sein einziger entblößter Lockenkopf unter Behutsamen und Bedachten und der Mechanismus seiner Beredtsamkeit – das Alles sind kleine, eben durch Ausdauer mächtige Hülfsmittel, sich interessant zu halten. Er spricht, wie die Geister, nur um Mitternacht. Vor eilf bis zwölf Uhr in der Nacht tritt er nie als Redner auf. Nachts um die zwölfte Stunde verläßt er das Grab seines Sitzes und fängt an zu reden. Wer ihn noch nicht gehört, fühlt sich stets beinahe eine Stunde lang getäuscht. Die Meisten denken, er sei ein Redner, aber seit Brougham, dem H. Heine das herrlichste Denkmal gesetzt, gibt es keine Redner mehr im Parlamente, weil keine Herzen und Stoffe dazu mehr zugelassen werden. D’Israeli säuert und leiert etwa eine Stunde lang ziemlich gewöhnlich mit der Hand auf dem Tische und den Augen auf dem Boden. Dann nimmt er allmälig seine triumphirende Stellung, wie die gezeichnete, an und schießt los. Er bewegt sich, erhebt sich und verkündet die Periode des Witzes – von der Dauer einer Viertelstunde – durch sarkastische Winkel im Munde. Er spielt an, beißt direct, holt aus und haut epigrammatisch auf einen ganz unvorbereiteten Kopf. So macht er seine Kunststücke rasch hinter einander und hält sich dadurch in dem Rufe, eine Größe unter Zwergen, ein Einäugiger unter Blinden zu sein. Dabei ist nicht zu verschweigen, daß er ein besseres, namentlich in Adjectiven vortrefflicheres Englisch spricht, als jeder andere College, daß er als Verfasser von Romanen und Memoiren belesener, gebildeter, gewandter, unterrichteter, fleißiger ist, gewählter redet und schauspielert, als der Haufen seiner Genossen, die sich mehr oder weniger alle auf unreellere Weise in’s Haus hineingeboren, gekauft und geschwindelt haben, als D’Israeli, der mindestens insofern merkwürdig ist und ein Verdienst vor diesen Andern beanspruchen kann, als er sich ohne Reichthum, ohne Geburt, sogar mit einem jüdischen Stammbaume, durch bloßes Talent, durch List und Geschicklichkeit allmälig selbst so hoch in die Hohe schob.





Sir Humphrey Davy und König Ludwig von Baiern.


Der Name Humphrey Davy hat in der großen Genossenschaft der europäischen Naturforscher einen eben so guten Klang, als bei denen jenseits der Meere. Trotz dem und alledem war er ein Engländer, und hatte mitunter echt altenglische Passionen und Gedanken, deren eine und einer ihm sogar einmal so übel bekommen wäre, daß sein Streben und Wirken ein rasches Ende gefunden hätte, wenn nicht König Ludwig von Baiern, damals noch Kronprinz, ihm einen rettenden Angelhaken an den Hals geworfen hätte. Das klingt seltsam, vielleicht lächerlich, und ist doch vollkommen wahr im allerwörtlichsten Sinne. Er selbst, Sir Humphrey, und darum gewiß die beste und sicherste Quelle, erzählt die Begebenheit in seinem Tagebuche, dem auch der Erzähler treu hier folgt.

Auf einer Reise durch Deutschland, welche Sir Humphrey Davy mit einem, von ihm sehr geliebten Neffen machte, kam er in die prächtigen baierischen Hochalpen, in das Salzkammergut und nach Tyrol. Nichts zog ihn in dem Grade an, als die tiefen, blauen Seen dieser wundervollen Gebirgslandschaft, oft ihn mahnend an die schottischen Hochlande und doch wieder unendlich von diesen in ihrem Charakter verschieden. Am Traunsee lange verweilend, wünschte Sir Humphrey die Ufer der Traun und ihren herrlichen, wenn das Wasser hoch ist, einen vollkommnen Vergleich mit dem Rheinfall bei Schaffhaufen aushaltenden Fall kennen zu lernen. Der Plan war leicht ausführbar und wurde es in der rasch entschlossenen Weise Sir Humphrey’s. Der Neffe war doppelt froh, weil es auch seinen Liebhabereien zusagte. Ob er gleich nicht lange hatte verweilen wollen, so kam doch ein Umstand hier in Betracht, an den Sir Humphrey nicht gedacht hatte, dem er aber in seiner Liebe zu seinem Neffen mit der größten Geduld und Gutmüthigkeit Rechnung trug. Wir kennen die unüberwindliche Hingebung englischer Angler an ihre noble Passion. Sir Humphrey’s Neffe war ein leidenschaftlicher Angler. Oberhalb des Traunfalles gibt es eine Menge Fische und es sind die sogenannten „Arschen“ die köstlichsten darunter, deren Fleisch Sir Humphrey über die Maßen lieb gewann. Der Neffe war gar nicht von einer Stelle wegzubringen, die seiner Liebhaberei eben so günstig, als vortheilhaft für des Oheims und seinen eigenen Mittagstisch war. Diese Stelle war ein stilles, tiefes Wasser in einer kleinen von Felsen rings umstarrten Bucht, ein sogenannter „Woog“, ziemlich entfernt vom Falle der Traun. Unterhalb des Falles harrte des Anglers ein anderes Vergnügen, von dem weiter unten die Rede sein muß.

Eines schönen Morgens wanderten Oheim und Neffe nach dem Traunfalle hinaus, beide aber in ganz verschiedener Absicht. Der Neffe wollte auf den Mittagstisch ein leckeres Gericht selbstgeangelter Arschen liefern, und der Oheim war im Begriffe, ein sehr waghalsiges Unternehmen auszuführen. Die wunderherrliche, stets wechselnde Beleuchtung des Traunfalles, das Schauspiel des furchtbar wirbelnden, aufkochenden, brodelnden, zischenden und rauschenden Falles einmal ganz in der Nähe mit aller Ruhe und Sammlung zu genießen, hatte sich Sir Humphrey eine einfache, wie es ihm schien, völlig gefahrlose Weise ersonnen.

Zu seiner Verfügung stand nämlich eins jener flachen Boote oder Kähne, womit die Schiffer der Traun Salz und Holz nach Oberösterreich zu bringen pflegen. Dies Fahrzeug sollte nun durch ein langes, zu beiden Ufern der Traun reichendes Seil oder Tau also gestellt werden, daß Sir Humphrey möglichst nahe dem Falle in demselben ruhig sitzen und seine Beobachtungen machen könne. Zu dem Ende nahm er auf der einen Seite zwei Schiffer, welche das Seil, einfach an einen Baumstamm oder eingerammten Pfahl gelegt, halten sollten. Sein Bedienter, ein Mensch von riesenhafter Stärke, wollte am andern Ufer dasselbe Experiment allein fertig bringen. An ein Mißlingen, an eine Gefahr, dachte Sir Humphrey gar nicht, da, wie bemerkt, sein Diener ein eben so besonnener und umsichtiger, als kräftiger Mensch war, und die beiden Schiffer zu den kräftigsten gehörten, die man hatte auftreiben können. Alles war mit Vorsicht und Sachkenntnis vorbereitet, und während der Neffe an seiner einsamen, stillen Bucht mit altenglischer Ruhe seine Angel mit dem Köder in die Fluth senkte, und die Bewegungen der künstlichen Fliege auf dem Wasser beobachtete, stieg Sir Humphrey in seinen Kahn, der bald an seiner Stelle lag und von dem schäumenden Gewässer in einer schaukelnden Bewegung erhalten wurde, ohne daß er übrigens auch nur einen Zoll breit von seiner Stelle wich. Sir Humphrey gab

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_490.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)