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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 38. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Weihnachts-Heiligerabend.
Vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Fortsetzung)

Das schöne Mädchen war allein; ihr Bräutigam hatte sich schon seit einiger Zeit von ihr entfernt. Das blasse Gesicht erröthete, als ich mich ihr nahete. Es hatte ihr nicht unbemerkt bleiben können, daß ich sie während meines Gesprächs mit ihrem Vater und während ihrer Unterhaltung mit ihrem Bräutigam beobachtet hatte. Mir kam es vor, als wenn sie vor Scham erröthe, daß ich sie in der Nähe jenes gemeinen Menschen gesehen hatte.

„Ich habe einen Gruß an Sie,“ sagte sie zu mir. „Von einer Freundin, die Sie schon lange zu ihren Freunden zählt, von Therese von Grauburg.“

„Frau von Grauburg? Wo lebt sie?“

„Drei Meilen von hier, auf der Domaine Vornholz. Ihr Mann ist dort Domainendirektor.“

„Und wie geht es ihr?“

„Sie ist wohl; sie hat herrliche Kinder.“

„Und ihr Mann?“

„Sie hat mir die herzlichsten Grüße an Sie aufgetragen, als sie erfuhr, daß Sie hier seien. Sie denkt Ihrer noch mit inniger Freundschaft und hofft, Sie recht bald zu sehen.“

„Sie haben meine Frage nach ihrem Manne nicht beantwortet.“

Die Dame wurde verlegen; ich wurde neugieriger. „Er ist Domainendirektor, sagen Sie?“

„Ja.“

„Man hatte ihm eine bedeutendere Carrière prophezeit.“

„Die Stelle ist sehr einträglich.“

Sie hatte rasch geantwortet, und wurde blutroth im Gesichte, als wenn sie die rasche Antwort bereue. Ich erinnerte mich, daß mein Bekannter mir erzählt hatte, das Ziel des Demagogenfängers sei eine Domainendirektion; ich dachte noch darüber nach, als in einem Nebenzimmer des Ballsaales, das ganz in unserer Nähe war, eine Bewegung entstand; es waren dort Spieltische arrangirt. Aus der Thür des Zimmers trat rasch der Doktor Feder hervor; sein Gesicht war leichenblaß; seine Augen schossen Wuth. Hinter ihm her drängten sich mehrere Herren mit höhnischen, schadenfrohen Gesichtern; sie blieben meist in der Thür stehen und sahen ihm nach; ein junger Lieutenant folgte ihm in den Saal, laut lachend. Der Demagogenfänger mischte sich in das dichteste Gedränge des Saales und verschwand dort. Die junge Dame, mit der ich sprach, begann heftig zu zittern; sie wurde blässer, wie ihr elender Bräutigam.

„O Gott, was ist das!“ hörte ich sie leise seufzen.

Ich führte sie zu einem in der Nähe befindlichen leeren Sopha. Zum Glück hatte Niemand sie bemerkt; sie blieb auch ferner unbemerkt; freilich sollte dies ihr neuen Jammer bringen. Der junge Lieutenant ward von einer jener strengen Offiziersfrauen mit den schmachtenden Augen angehalten. Sie saß nicht weit von dem Sopha.

„Was gab es da, Herr von Borst?“

„Einen köstlichen Spaß, meine Gnädigste, auf Ehre!“

„Erzählen Sie.“

„Sie kennen den unangenehmen Menschen, den Doktor Feder?“

„Wer kennt ihn nicht!“

„Er drängt sich überall an und kriecht überall ein.“

„Mit Unterschied, Herr von Borst. Er kriecht nur gegen Adel und Offiziere; gegen alles Andere ist er grob.“

„Richtig, meine Gnädigste, auf Ehre. Adel und Offiziere können ihn aber auch zehnmal zur Thür hinauswerfen, er kommt immer wieder mit einem krummen Buckel und unterthänigen Diener zurück.“

„Schon sein Gesicht ist mir ein krummer Rücken und unterthäniger Diener. Aber erzählen Sie.“

„Sie wissen, der Rittmeister Schmettau kann ihn besonders nicht leiden; aber desto aufdringlicher und submisser ist der Mensch gegen ihn. Der Rittmeister spielt dort L’Hombre mit ein paar anderen Offizieren; der Doktor Feder stellt sich hinter seinen Stuhl; der Rittmeister hat Unglück, auf Ehre, abscheuliches Guignon, er verliert jedes Spiel, und der Doktor bedauert ihn. Der Graf Schmettau wird darüber doppelt ärgerlich; aber er hält an sich, denn er will dem erbärmlichen Menschen nicht zeigen, daß er sich über ihn ärgert und wartet auf eine günstige Gelegenheit, ihn zu züchtigen. Auf einmal bekommt der Rittmeister einen Solo mit vier Matadoren und zwei Trümpfen in Schwarz, einer Force und einer gardirten Dame; das Spiel war unverlierbar; er kündigt den Solo an; der Doktor Feder hat die Karte gesehen. Herr Graf, sagt er, wenn Sie das Spiel verlieren, so bin ich ein Hundsfott. Schreibt mir eine Codille an, sagt ruhig der Graf, wirft die Karten auf den Tisch und gibt weiter.

„Sehr gut,“ lachte die Dame.

„Superbe, auf Ehre, meine Gnädigste.“

„Und der Doktor? Fühlte er endlich!“

„Endlich. Alles lachte so fühlbar, daß er sich auf- und davon machte.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_505.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)