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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

bedeutende Ueberreste des alten Czarenpalastes, neuere Paläste der jetzigen Kaiser, berühmte Klöster, das Arsenal, das Senatsgebäude etc., Baudenkmäler aus allen Zeiten der russischen Geschichte; denn jeder russische Herrscher, von uralten Zeiten bis auf die jetzigen Kaiser, war beflissen, den Kreml mit irgend einem Monument zu schmücken. Uns interessiren in den Tagen der Kaiserkrönung unter den in malerischer Unordnung an unregelmäßigen Plätzen umherliegenden Gebäuden weniger das Arsenal oder das Senatsgebäude, oder die schätzereiche Orusheinaja Palata die Rüstkammer, in welcher sich zugleich eine Art dresdner grünen Gewölbes befindet, mit allen Kronen, Szeptern, Preciosen u. s. f., die jemals ein russischer Herrscher getragen und geführt, auch nicht der Maloi-Dworetz (das kleine Schloß), von Nikolaus I. zu seiner Wohnung erbaut, – weniger diese Gebäude interessiren uns, als die Ueberreste des alten Czarenpalastes, des Kreml: die Terema und die Granowitaja Palata, jenes Gynäceum (Frauenwohnung), dieser den Krönungssaal der Czaren enthaltend. Es sind zwei Flügel des von den Franzosen gänzlich zerstörten Haupttheiles des Palastes, an dessen Stelle jetzt, von Alexander erbaut, der Bolschoi (oder Alexanderski-)Dworetz (das große, oder Alexanders-Schloß) steht. Diesem großen Palaste zur Seite und mit ihm durch Treppen und Galerien in Verbindung gesetzt, liegen nun jene alten beiden Ueberreste. Das Terema ist wunderlich gebaut, terrassenförmig ziehen sich die Etagen nach oben zurück, so daß das oberste Stockwerk nur einen Pavillon bildet und das Ganze aussieht, wie ein aufgezogenes Perspektiv.

Ueberhaupt ist der Styl, in welchem die Gebäude des Kreml errichtet sind, unvergleichbar, namentlich die Kathedralen gleichen nichts Bekanntem. Sie sind nicht maurisch, nicht gothisch, nicht alt-, nicht neu-byzantinisch, sie erinnern nicht an die Alhambra, noch an die Bauwerke Egyptens, noch an die Griechenlands aus irgend einer Zeit, nicht an Indien, nicht an China, nicht an Rom. Ein geistreicher Franzose nennt es: Czaren-Architektur.

Die Granowitaja Palata ist ein kleines ebenfalls sonderbaches Gebäude, das, ganz würfelförmig gebaut, wie ein Kasten dem großen Bolschoi-Dworetz angehängt ist. Es hat seinen Namen, der ungefähr soviel als Eckenpalast bedeutet, von der unbedeutenden Zufälligkeit, daß die Steine der einen, nach dem Kathedralenplatze zugehenden Seite sämmtlich pyramidalisch zugespitzt sind.

Von dem Kathedralenplatze aus führt die sogenannte „rothe Treppe“ (krassnoje kruilzo) zur zweiten Etage diesen Gebäudes hinauf, die nichts weiter enthält als den alten Krönungssaal der Czaren und der jetzigen Kaiser. Diese Treppe, auf welcher der prachtvolle Krönungszug, wenn er aus der Kirche kommt, wo die Salbung vorgenommen wird, hinaufgeht, hat unten einen Thorweg und steigt in drei Hauptabsätzen an. Auf dem Geländer jedes Absatzes liegt ein pudelartiger Löwe, der sein Maul aufsperrt und tausend Zähne furchtbar fletschend zeigt, mehr aber Lachen als Schrecken einflößt. Von der Treppe gelangt man zu einem Vorzimmer, mit vielen Fresken bemalt, und von da aus, durch eine kleine niedrige Thür, die sich in der einen Ecke beinahe verkriecht, in den eigentlichen Thronsaal, der wie gesagt, die ganze obere Etage des kleinen Palastes einnimmt.

Der Saal ist sehr niedrig gewölbt, und die Gewölbe vereinigen sich in der Mitte, wo sie sich auf einen dicken viereckigen Pfeiler stützen, der im Centrum des Saales steht. Um diesen Pfeiler werden am Krönungstage auf mehreren Etageren allerlei silberne und goldene Kroninsignien zur Schau ausgestellt. Die Wände ringsumher waren seit der Krönung des vorigen Kaisers mit rothem Sammet ausgeschlagen und daraus zeigte sich in Goldstickerei abwechselnd ein russischer Adler mit Blitzen und ein N. I. (Nikolaus der Erste). Vergoldete Kandalaber theilten die Felder der Wand ringsum ab. Ueber den niedrigen Fenstern des Saales erblickte man die Wappen der verschiedenen russischen Gouvernements. Zur Linken der Eingangsthüre sind die amphitheatralisch aufgethürmten Sitze der Musikanten, in der diagonal gegenüberliegenden Ecke, unter einem rothsammetnen Baldachin, steht der kaiserliche Thron. Hier pflegt denn der Kaiser, seine Gemahlin zur Seite, zum ersten Male im vollen Ornate, angethan mit allen Insignien der Majestät, Platz zu nehmen und in der Mitte seiner Großen zu tafeln. Nikolaus speiste hier mit seiner Mutter, der Kaiserin Maria, und seiner Gemahlin, der Kaiserin Alexandra. Rechts vom Throne bis zu den Musikanten sitzt die „Duchowenstwo“ (Geistlichkeit) und links bis zur Eingangsthüre die „Dworästwo“ (der Adel), oder wie man in Moskau noch nach dem alten Style sagt: „die Bojaren.“

Dies ist der Schauplatz der Kaiserkrönung von Alters her. Wie ihn die diesmalige Festordnung umgestaltet haben wird, so wie alle Einzelnheiten der großen Feierlichkeit wird unser moskauer Correspondent nicht verfehlen zu Gunsten unserer Leser uns zu berichten. Dann treffen wir uns wieder im Kreml!



Ueber die Nachteile faulender Auswurfstoffe.

(Cholera)


Krankheiten zu verhüten ist weit leichter, als Krankheiten zu heilen, und dieses Verhüten wird sicherlich auch in der Zukunft die Hauptaufgabe nicht blos der Wissenschaft, sondern jeder wahren Bildung sein. Ich sage „in der Zukunft“, denn bei unserer jetzigen sogenannten Bildung, die den Menschen fast nur zum Artigsein und Geldverdienen dressirt, steht nicht zu erwarten, daß sich derselbe gehörig um die in der Natur und im menschlichen Körper herrschenden Gesetze bekümmere, oder die Kenntniß dieser Gesetze zu seinem eigenen und seiner Mitmenschen Wohle ordentlich verwerthe. Die eindringlichsten Reden, die klarsten Auseinandersetzungen und die deutlichsten Beweise sind ja heutzutage nicht einmal im Stande, selbst bei übrigens klugen Leuten, den dümmsten, von der Urgroßmutter herstammenden Aberglauben zu vernichten. Das kann aber auch nur dann erst anders und besser werden, wenn man dem Menschen von seiner ersten Jugend an richtige Ansichten über sich selbst und über das, was um ihn herum in der Natur vorgeht, beibringt. So lange dies nicht geschieht, bleibt’s bei der alten gefährlichen Dummheit.

Um Gefahren vermeiden zu können, muß man natürlich eine Idee von diesen Gefahren haben. Besitzen denn nun wohl die Menschen, trotz dem daß sie sich vor dem Kranksein und dem Tode entsetzlich fürchten, nur die geringste Kenntniß der Gefahren, welche ihrer Gesundheit und ihrem Leben fortwährend drohen? Nein! sie leben wie unverständige Kinder in den Tag hinein, wollen sich auch das Geringste nicht versagen und jammern und wehklagen bei jedem verdienten Unwohlsein. Wäre man schadenfroh, man könnte sich über die vielen Krankheiten, welche das Menschengeschlecht zur Zeit noch heimsuchen, freuen. Doch wir sind es nicht und wollen im Gegentheil, soviel als in unsern Kräften steht, unsern Lesern Winke zum Gesundbleiben geben; vielleicht sind einzelne derselben doch empfänglich für unsere Warnungen und Rathschläge.

Eine Ursache mancher, allerdings zur Zeit von der Wissenschaft noch nicht ganz genau gekannter Krankheiten, meistens von großer Gefahr und Ausbreitung, sind die schädlichen Luftarten (Gase), welche sich beim Faulen pflanzlicher, thierischer und menschlicher Stoffe (besonders bei großer Wärme und Nässe) entwickeln. Zu diesen Krankheiten scheint die Cholera und der Typhus (das Nervenfieber), das gelbe Fieber und die Pest zu gehören, ferner das Wechselfieber, sowie die Sumpffieber in den Tropenländern u. s. w. – Am meisten dürfte aber die Zersetzung (Fäulniß, Verwesung) menschlicher Auswurfstoffe (des Harns und Kothes) zur Quelle gefährlicher und heimtückischer Krankheiten werden, zumal wenn diese Stoffe oder deren Zersetzungsprodukte in den Boden eindringen und sich hier ausbreiten, auf welchem menschliche Wohnungen stehen. Bis jetzt hat man sich noch sehr wenig darum bekümmert, was mit diesen Auswurfstoffen geschieht und nicht darnach gefragt, wie viel davon, trotz des Verbrauches zu Dünger und Guano, in dem bewohnten Erdboden zurückbleibt und sich zu schädlichen Stoffen zersetzt. Pettenkofer, Professor der Chemie zu München, welcher äußerst verdienstliche Untersuchungen

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