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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

mundenden Wein bereiten will, darf somit als Weinfälschung oder Weinschmiererei erklärt werden. Es wird natürlich Niemandem einfallen, den Most vollkommen reifer Trauben mit anderen Stoffen zu versetzen; denn dieser enthält ja alle Bestandtheile in den zur Weinbildung günstigsten Verhältnissen (nur in dem Safte der in sehr heißen Ländern gewachsenen Trauben ist der Zuckergehalt im Verhältniß zum Wasser und zu den Säuren oft zu groß, und es ist dann ein angemessener Zusatz von Wasser und Weinstein sehr vortheilhaft). Wenn man dagegen dem Saft unreifer Trauben, bevor derselbe in Gährung übergeht, so viel Zucker und Wasser zusetzt, als er enthalten würde, wenn die Trauben reif gewesen wären, so ist dies wahrlich ebensowenig eine Schmiererei, als wenn man eine etwas sauer schmeckende Orange mit Zucker bestreut. Anstatt durch die Gährung ein fast unbrauchbares, gehaltloses Getränk zu bekommen, gewinnt man einen Wein, wie wenn die dazu verwendeten Trauben ihre Reife erlangt hätten, einen Wein, welcher sich durch Klarheit und Haltbarkeit vortheilhaft auszeichnet und mit dem Alter beim Lagern ganz außerordentlich an Aroma und Wohlgeschmack zunimmt. Das was uns also Gall gelehrt hat, ist wirkliche „Weinveredelung“ und besonders auch deshalb von unbeschreiblich hohem Werthe, als dadurch gute Mittelweine zu einem so billigen Preise geliefert werden können, daß die wahre „Weinschmiererei,“ deren Kunst sich auf das empirische Zusetzen sehr verschiedener, den Weinen fremder, der Gesundheit oft nachtheiliger Substanzen zum fertigen schlechten Naturwein beschränkt, dadurch von selbst total verdrängt wird, da sie nun nicht mehr so Gewinn bringend ist. Die Weinveredelung muß daher der Weinschmiererei ein schnelles Ende machen, denn sie ist für den Producenten viel vortheilhafter als die letztere.




Reiseskizzen aus Central-Asien.
Yar Mohamed, Beherrscher von Herat. – Wissenschaft und Kultur in Herat. – Afghanische Heilkunde und Alchemie. – Die Hasarah-Tartaren. – Eine tartarische Republik. – Fabelhafte Erlebnisse und Abenteuer. – Die Beludschen. – Khan Ali’s Versuch, einen ermordeten Europäer in Gold zu verwandeln. – Wildheit und Kraft, Raubgier und Aberglauben der Beludschen.

Wir haben Bücher und deshalb auch zugängliche Kenntnisse von allen möglichen Ländern und Völkern auf der Erde. Ueberall ist neuerdings irgend Jemand gewesen und hat ein Buch darüber geschrieben. Aber wenn man die überaus reiche Reiseliteratur bei Lichte besieht, finden sich doch noch Lücken, durch welche schwarze Unkenntniß von Vulkanen und Ländern hindurchblickt. Wer weiß z. B. etwas Neues, Authentisches von den ungeheuern Strecken, die sich zwischen Rußland und Indien dehnen? Bis Persien reicht unsere neue Reiseliteratur, und auch von der andern Seite Asiens her, China und sogar Tibet, hat ein französischer Missionär, le Huc, uns aus eigner Anschauung Kunde gebracht. Aber jenseits Persiens? Welche Wüsten und Wiesen, welche Berge und Thäler, welche Schrecken und Despotien dunkeln da vor uns, ehe wir Indien erreichen! Afghanistan, Beludschistan, Kabulistan, Turkestan – wer kennt diese geheimnißvollen Länder und Völker, welche den Zusammenstoß Rußlands und Englands in Asien auseinander halten, aus eigener, neuer Anschauung? Bis jetzt ist nicht einmal Ida Pfeiffer da gewesen. Aber endlich hat sich ein Franzose gefunden, der recht aus vieljährigen Erlebnissen und abenteuerlichsten Reisen unter jenen Völkern zwischen Rußland und Indien ein Buch zusammenzog, das wegen seines Thema’s und seiner Fülle von fabelhaften Strapatzen und Abenteuern seines Gleichen in der Reiseliteratur suchen wird.

Ferrier heißt der Verfasser, ehemals viele Jahre einer der Organisateurs der persischen Armee, die größtentheils von Franzosen auf europäische Manier disciplinirt wurde. Er brachte es bis zum Generaladjutanten der persischen Armee, fiel aber in Ungnade und wurde ausgewiesen. Frankreich sollte ihm Recht verschaffen, that es aber nicht, so daß er sich entschloß, nach Indien zu wandern und dem Potentaten von Lahore, Runschiid Sing, seine Dienste anzubieten. So reiste er durch Persien zunächst nach Afghanistan und zwar über Herat, die Stadt und den Staat, eine eigene kleine orientalische Despotie, die sich bis vor kurzer Zeit zwischen der afghanischen und persischen Despotie selbstständig hielt. Ferrier ward von dem Beherrscher Herats, Yar Mohamed, gastfreundlich aufgenommen. Er galt für einen guten Landesvater, obgleich er durch Erwürgung der vor ihm regierenden Majestät zum Throne und durch Verkauf vieler Hunderte seiner Unterthanen zu Gelde gekommen war. Yar Mohamed hatte schon vorher von dem ihm zugedachten Besuche des berühmten Franzosen gehört und in dem Glauben, daß dieser mit einer geheimen diplomatischen Mission komme, ihm eine feierliche Einholung zugedacht. Ferrier wußte dieser Huldigung, von der er auch vorher gehört, dadurch zu entgehen, daß er, auf der einen Seite seines Kameels hängend und sein Diener auf der andern in afghanischer Verkleidung plötzlich durch das Stadtthor von Herat einritt. Der Thorwächter erfuhr jetzt zugleich, welch’ erhabene Person vor ihm reite und brach in jämmerliches Geheul aus: „Bei Allah, ich bin ein todter Mann! Unser allerhöchster Monarch wird mir den Kopf abhauen. Seine Befehle waren, dem erlauchten Franzosen zwei Stunden weit einen Beamten entgegenzuschicken und ihn bitten zu lassen, seinen Einzug bis zu einer glücklichen Constellation am Himmel zu verschieben, um dann seinen Einzug durch Abfeuerung einer Kanone der Stadt zu verkünden. Ich habe wegen dieser unvermutheten Ankunft des großen Europäers weder das Eine, noch das Andere thun können. Ich bin ein todter Mann!“

Wir erfahren nicht, ob dem Thorwächter der Kopf, den er schon verloren hatte, später von seiner landesväterlichen Majestät abgehauen wurde. Mr. Ferrier wurde mit den ausgesuchtesten Ehren behandelt, da man ihm nicht glaubte, daß er einfach nach Indien gehen wolle, sondern gerade darin eine diplomatische Finte erkannte, seine wahre, hohe, geheime politische Mission zu verbergen. Besonders setzten ihm die Hakim-Baschi d. h. die Doktoren und Aerzte, die in Herat einen hohen Rang einnehmen, mit Gelehrsamkeit und Neugier zu. Sie halten jeden Europäer für einen Doktor und hörten nicht auf, mich über die edle Heilkunst in Europa auszufragen und mit ihren medicinischen Kenntnissen zu prahlen. Sie zeigten ihm mehrere Kräuter aus dem englischen Indien, die viel Apothekerkräfte besaßen, sie wußten nur nicht, welche? Um zu erfahren, wofür sie eigentlich gut seien, hatten sie ihren Kranken davon in steigenden Dosen gegeben, bis sich entschiedene Wirkungen zeigten. (Beinahe so wissenschaftlich, wie unsere alten Erfahrungsärzte!) Wie viel Leute diese Herren Doktoren zu Tode kurirt haben mögen, wurde ihm schrecklich deutlich, als einer derselben, Mirza Asker, eine große Flasche Merkur-Cyanit – ein ganz anständiges Gift – aus der Tasche zog und fragte:

„Wozu ist dies eigentlich gut? Der Dämon der Finsterniß mag es wissen, ich habe es noch nie herausgekriegt. Denn von wenigstens hundert Kranken, denen ich es eingab, wurde blos ein Einziger gesund; und dieser hatte die Medicin ausgebrochen.“

Nach der edeln Heilkunst kam die Alchemie an die Reihe, die Hauptpassion aller Gelehrten von Herat, die Leben und Vermögen opfern, um endlich den „Stein der Weisen“ zu finden. Alle sind überzeugt, daß die Engländer diesen Stein haben und schreiben diesem Steine allein den Reichthum in England zu. Nach ihnen sind alle europäischen Goldmünzen von Eisen, welche mit „Etwas“ bestrichen, dann in „Teufelswasser“ getaucht und so in Gold verwandelt worden. Die Herren Doktoren quälten und baten Ferrier fußfällig, ihnen dieses Geheimniß mitzutheilen oder zu verkaufen. Obgleich er ihnen mit allem Scharfsinne zu beweisen suchte, daß der Reichthum in Europa aus wirthschaftlichen Tugenden, Fleiß, Kenntniß, Handel, Humanität, Civilisation, Recht und Gesetz, und nicht aus Teufelswasser stamme, glaubten sie doch nur erst recht an ihren Aberglauben und bewunderten sein ungeheueres diplomatisches Talent, womit er ihren Bitten und Anerbietungen auszuweichen wisse. – Denn das ist’s

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