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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Scene vorbereitet und beklagten die lustigen Gefährten, die bald den Leiden der Seekrankheit anheim fallen würden.

Kaum eine Stunde von Kalamoty entfernt, wo die Küste nach Westen zurückweicht und dem Fahrwasser keinen Schutz mehr gewährt, fing der Suliot zu schwanken und seinerseits so lustig zu tanzen an, daß den Tänzern oben die Lust verging, und alle bald auf den Decken und Matratzen hingestreckt lagen. Der Wind war nach Nordwesten umgesprungen und jagte kleine griechische Fahrzeuge mit vollen Segeln, weißen, flatternden Möven gleichend, im hellen Mondscheine an uns vorüber. Aber auch die Wolkenwand kam höher heraus, und es schien als ob mit ihr auch der Wind wüchse und pfeifend und heulend die Wogen aufhetzte. Es war noch lange kein Sturm, und schon zitterte und krachte das kleine Dampfboot in allen Fugen und die schwache Maschine arbeitete sich träg und kraftlos durch die Wogen, die es hoben und stürzten und bald über das niedrige Vordertheil weggingen. Ein starkes gut gebautes Boot hätte das Unwetter, das im Anzüge war, spielend aufgenommen, aber der Suliot, der früher zwischen dem Piräus und Nauplia lief, war ein altes, eigentlich nur zur Küstenfahrt gebautes Schiff, das die Regierung, ohne viel zu prüfen, einer Handelsgesellschaft abgekauft und dem Kapitän Spiro Adamophilos zur Packetfahrt zwischen Syra und der Levante übergeben hatte; es machte die Reise zum sechsten Male und da die Sache fünfmal gut gegangen, war kein Grund vorhanden für die jetzige Fahrt zu fürchten, meinte der Kapitain, der wenigstens ein dreister und erprobter Seemann schien, und in der Funstanella mit dem nationalen Waffenschmuck, dem rothen Fez auf dem schwarzen Gelock, einer der schönsten Männer war, die man sehen konnte. Aber die schwarze Wolke stand jetzt wie ein Baum, der am Horizonte wurzelnd seine Wipfel bis in den Zenith hinaufstreckte, und von Norden her dem ächzenden Boote entgegen wälzte sich das Meer in immer wilderer Brandung. Das Verdeck von den Wellen überspült war längst von den Passagieren geräumt, die von den Schiffsleuten – fünf Matrosen und ein Schiffsjunge – mehr getragen als geführt in den Cabinen verschwanden. Nur wir beschlossen oben auszuharren und hatten am Kasten des Steuerruders uns hinter hohe Rollen von Tauwerk verschanzt und ein Stück getheertes Segel über unsere Köpfe gezogen, das wenigstens für den ersten Anprall den Wassers schützte; wir litten zwar nicht von der Seekrankheit, waren aber nicht ohne Sorge, da die Bewegung des Schafes, das machtlos, wie ein Ball umhergeschleudert ward, und die fast ganz gehemmte Bewegung der Räder nur zu deutlich die Gefahr für die Maschine verriethen.

Es war Mitternacht vorüber, als das Boot von einer schweren See in die Flanke gefaßt, plötzlich einen halben Kreis machte und sich dann so tief auf die Seite legte, daß das eine Rad in der Luft arbeitete und jeden Augenblick ein völliges Umschlagen des Schiffes bevorzustehen schien. – Aus den Cabinen stieg ein Angstschrei empor, der den Wogendonner übertönte, aber unsere Lage war mit einem Mal auch eine verzweifelte geworden. Die Maschine und das Steuer waren gleichzeitig zerbrochen und das Boot ein hülfloses Wrack geworden, das vor Wind und Wellen trieb. Der Kapitän, todtenblaß aber gefaßt und besonnen, ließ die Schaluppen an die hoch über die See gehobene Seite des Schiffes bringen, klammerte sich in die Taue, die sie hielten, und wehrte die unglücklichen Passagiere, die bald aus den unteren Räumen hervorgekrochen kamen, mit vorgehaltener Pistole von diesem letzten Rettungsmittel ab, das zu benutzen er noch für zu früh hielt, und mit Recht, denn man war noch zu weit von einer Küste entfernt, als daß die schwache Bemannung die Schaluppen hätte bergen können, und – es sollte noch schlimmer kommen. Der Mond war gesunken und zwei Stunden lag tiefe Dunkelheit auf dem Meere, die einzelne große Sterne, die durch zerrissenes Gewölke blitzten, nicht zu erhellen vermochten, – wie ein offner Sarg trieb unser Boot durch das weite nasse Grab, das jeden Augenblick die 57 Leben, die zwischen seinen krachenden Planken sich schaudernd vor dem Tode sträubten, zu verschlingen drohte …

Endlich dämmerte die Morgenröthe aus und zeigte uns die Inseln Sinos und Mycone; Strom und Wind – der nach Mitternacht wieder südlich geworden – trieben uns in die schmale – zwei engl. Meilen breite – Meerenge hinein, die beide Inseln trennt, und die als das gefährlichste Fahrwasser des Archipels bekannt ist, da in ihr über unterseeische Klippen die wildeste Brandung tobt … Das wußten die bleichen Gestalten nicht, die beim Anblick des nahen Landes, Gott dankend sich auf die Knie warfen, aber der Kapitain wußte es, der noch immer die Schaluppen bewachte und die Richtung, in der wir fortgerissen wurden, nicht aus den Augen ließ.

Wir kamen Mycone immer näher, die dunkelblaue See war kreideweiß von Schaum und Gischt, der hoch aufspritzte, – da plötzlich erscholl ein lauter Ausruf des Kapitains, ein furchtbarer Stoß hob das Schiff, es war als ob eine Rieseneiche im Walde niederkrachte, – wir saßen auf einem Felsenriff, das Schiff drohte zu bersten. In fünf Minuten waren die Schaluppen gefüllt, jede faßte 16 Menschen, die Frauen, Kinder und die jüngsten Männer hatten den Vorrang bei dem Rettungswerke. Wir sahen noch, wie der brave Pole die ohnmächtige Louisan in die Schaluppe trug und unbesorgt um das eigene Leben auf’s Wrack zurückkehrte, das nun noch 25 Personen barg, die den drohenden Untergang vergaßen, um mit starren Blicken die Schaluppen in ihrem Kampf mit der Brandung zu verfolgen. Sie hatten 1/6 Meile ungefähr bis zum Strande zurückzulegen, dessen Felsenriffe, die überall in’s Meer vorspringen, vermieden sein wollten, daß dazu bei der schweren See die Kraft der wenigen Ruderer in jeder Schaluppe ausreichen werde, war kaum glaublich, und unser Wrack, das halb voll Wasser doch durch die Klippe, auf der es fest saß, vor’m Sinken gehalten ward, schien, nach dem ersten Todesschreck wenigstens, eine eben so sichere Zuflucht als die Boote zu sein. Und horch, ein gellender Schrei klang zu uns hinüber, er kam aus der letzten Schaluppe, die dicht neben sich die erste hatte Wasser schöpfen und in die Tiefe wirbeln sehen … mochte der Schreck bei solchem Anblick die Ruderer in der ersten lahmen, wer kann es sagen – aber eine Minute später war es auch um diese geschehen, eine Woge hob sie hoch empor und schleuderte sie gegen die Felsen … Der Kiel nach oben gekehrt, sah man sie wieder zum Vorschein kommen. Von allen denen, die sich zu retten gehofft, tauchte Keiner aus dem schäumenden Abgrund auf, der erbarmungslos die jugendlichen Leben, die heiteren Herzen verschlang.

Jammer um die Verlorenen erfüllte unser Wrack; der alte Vater, der seine Töchter versinken sah, konnte nur mit Mühe von einem Sprung in’s Meer zurückgehalten werden; eine Griechin, die ihre Enkelkinder in den Schaluppen hatte, füllte die Lüfte mit ihrem Wehgeschrei. Starr, mit dumpfer Ergebung blickten die Anderen nach den Inseln hinüber und kaum merkte es jemand wie die Sonne dunkelroth über Sinos aufging und ihren erster Strahl wie Oel in die Wogen goß; – plötzlich wie das Unwetter gekommen, schwand es beim Erscheinen der Sonne und schon eine Stunde später konnten Boote von Sanedicolo auslaufen, um uns Gerettete vom Wrack des Sulioten abzuholen. Der Untergang der Gefährten, die alle wie wir hätten gerettet werden mögen, ließ die Freude keine laute werden. Angst vor dem Untergange hatte sie dem Tode in die Arme geworfen, und wieder war es bestätigt: daß ein auf Klippen sitzendes Wrack bei hoher See und naher Küste nicht mit den Rettungsbooten vertauscht werden soll.






Heine. Wo jetzt das Kaffee Seruzier in Paris steht und allabendlich die deutschen Landsleute bei einer Tasse Kaffee gemüthlich die Neuigkeiten aus dem Vaterlande verschlingen oder sich bei Schach und Domino abmühen, hatte vor noch nicht zwei Decennien ein weit weniger moralisches Etablissement seinen Sitz aufgeschlagen. Was vor Kurzem noch der Ball Montesqieu war, war damals der Ball des Boulevard Bonne - Nouvelle. – Eines Abends befand sich einer meiner Freunde in Gesellschaft H. Heine’s dort und bewunderte mit ihm – dem feinen Kenner menschlicher Reize – die mannigfachen Evolutionen der Sylphiden dritten, vierten und so weiter Ranges. „Sehen Sie nur,“ rief Heine plötzlich aus, „wie diese hier so verdrießlich liederlich tanzt!“ Nach einer Weile deutete er auf eine Andere hin, deren zugleich lebhafte und graziöse Bewegungen sogar den wachthabenden Sergeanten ein beifälliges Lächeln abnöthigte. „Dahin,“ sagte Heine, „wird es eine Deutsche doch nie bringen!“ – Die Kleine drehte sich um und sagte lächelnd: „Ganz recht, meine Herren, ich bin aus Eschenau bei Nürnberg.“




Literarisches. Mit den langen Abenden kommen zugleich die langen Reihen literarischer Neuigkeiten, die sich mit jeder Woche mehren, bis zum Weihnachtsfeste hinaus. Die Kalender als Tirailleurs sind bereits in alle Welt und in Aller Händen. Als die besten rühmt man die Volkskalender von W. Alexis und die Spinnstube von W. O. Horn, der letztere besonders als in Süddeutschland sehr stark verbreitet und gelesen. In der That verstehen wenige Autoren so populair zu schreiben und in einfacher gemüthlicher Weise auf das Volk zu wirken, wie Horn, dessen Rheinische Dorfgeschichten mit zu dem Reizendsten gehören, was man in diesem Genre lesen kann. – Auer, der Chef der Wiener Staatsdruckerei beschenkt uns dieses Jahr mit einem Faust-Kalender, ein starkes Buch in Groß-Folio mit vielen Stahlstichen und Holzschnitten. Wir müssen gestehen, daß es uns nicht ganz klar geworden, auf welches Publikum dieser Kalender gemünzt ist. Die mit unendlichem Fleiße zusammengetragenen statistischen und wissenschaftlichen Mittheilungen setzen ein gewähltes und wissenschaftlich - gebildetes Publikum voraus, während die übrigen Beiträge, namentlich die Heiligengeschichten, doch mehr auf die Massen berechnet sind. Die Stahlstiche sind meistens von Gebr. Stöber und gut gearbeitet und auch die Holzschnitte besser ausgeführt, als man von Wien gewohnt ist. – Die Reihe der Taschenbücher eröffnet dieses Mal Mügge mit seinem Vielliebchen, ein elegant ausgestattetes Toilettenbuch mit trefflichen Stahlstichen und drei Erzählungen des beliebten Novellisten. – Auch an neuen Romanen wird es der literarischen Wintersaison nicht fehlen. Von Louise Otto ist bereits eine dreibändige Erzählung: Zwei Generationen, erschienen, von Levin Schücking ist ein historischer Roman: Günther von Schwarzburg angekündigt, von Bernd v. Guseck ein zweibändiger: Heimath und Ferne, von Oettinger ein komischer: Mozart und Schickaneder, und von R. Prutz ein dreibändiger socialer: der Weg zum Ruhme. Otto Ludwig’s treffliche Erzählung: Zwischen Himmel und Erde, auf die wir später noch einmal zurückkommen, wird nächstens schon, kaum einige Monate nach ihrem Erscheinen, in zweiter Auflage die Presse verlassen.



Aus der Fremde Nr. 40 enthält:

John Fremont’s Leben, Reisen und Abenteuer. II. (Mit Abbildung.) – Aus Texas.Das Pongo-Land. – Aus allen Reichen: Gold und Silber in der Welt. – Eine amerikanische Kleiderordnung. – Religion unter den Chinesen. – Allerlei Neues.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_548.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2023)