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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

und Geld-Adel nicht durch industrielle und kommerzielle Kräfte überflügeln und verdunkeln lassen. Deshalb verbannte sie die Uhrmacherei in die Berge und in’s Travers-Thal und ließ in der Hauptstadt nur solche Geschäfte aufkommen und bestehen, welche zum Unterhalt und zur Befriedigung des gewöhnlichen Lebens dienen.“ Die Aufhebung der Bourgeoisie wird ohne Zweifel wesentlich dazu beitragen, hier einschlagende Verbesserungen zu erleichtern und den aristokratischen Anstrich, den Neuenburg jetzt in auffallender Weise hat, in eine Ähnlichkeit mit Genf, dem rührigen Klein-Paris, zu verwandeln.




Blätter und Blütlhen.



Charakteristisches aus der Zeit. An einem heißen Sommernachmittage der verflossenen Saison saßen vier Herren vor dem Kursaale in Wiesbaden. Zwei von ihnen waren kürzlich von Homburg angelangt, wo sie die Erfahrung, die schon Manchem ihrer Vorgänger zu Theil geworden war, gemacht hatten, daß man das Geld an der Roulette viel eher „los werden“ kann, als es sich im Berufe des gewöhnlichen Lebens wiedergewinnen läßt.

Dieses Spielerunglück gab zunächst den Stoff zum Gespräche her. Zufällig blätterte einer der Theilnehmenden in einer anfliegenden Zeitung. In der Beilage stand noch ein Nachkömmling jener großartigen Annoncen, mit welchen vor etwa zwei Jahren „Barry du Barry, Doktoren etc.“ ihre wunderthätige Revalenta Arabica ausposaunten.[1]

„Das ist wohl neben den Goldberger’schen Ketten und Morison’s Pillen eine der besten Spekulationen gewesen, die je gemacht worden sind,“ meinte Adolph S…fs, „es ist zu bewundern, daß sich derartige Charlatanerien Jahre lang halten können, und bis zum Schluß ihr gläubiges Publikum finden.“

Hierdurch bekam die Unterhaltung eine neue Richtung. Man erzählte sich, wie sehr das Publikum geneigt sei, einem pfiffigen Kopfe, der auf bequeme Weise verdienen wolle, zu folgen, wie jede, glücklich in die Welt geworfene Erfindung ihre momentanen Anhänger finde, bis sich endlich Freiherr v. R., einer der muntersten in der Conversation, zu der Aeußerung hinreißen ließ: „wer wettet mit mir, daß die möglichst dumme Erfindung, die ich mir erdenken kann, ihre Anhänger findet?“

„Topp, es gilt,“ rief S…, „ich halte Widerpart! Erdenken Sie sich irgend etwas aus dem Genre des Höheren Blödsinns, erfinden Sie meinethalben eine Maschine zur Fabrikation von Spiritus aus langweiligen Gesellschaftern, oder was Sie sonst belieben, posaunen Sie ihre Neuigkeit gehörig aus, und verschaffen Sie sich Abnehmer Ihrer Erfindung! Kellner, schaffen Sie uns Schreibmaterialien her!“

Die beiden Kontrahenten setzten nach längerer Debatte folgenden Kontrakt auf, an welchem die beiden andern Zuhörer insofern betheiligt waren, als sie versprechen mußten, über den Ursprung des folgenden Schwindels nichts zu verrathen, und durch Gegenoperationen den Erfolg der Wette nicht zu verringern.

1) Freiherr von R… verpflichtet sich, eine von ihm ausgehende Erfindung etc., deren Zweck und Sinn so dumm ist, daß sie nur ein Schwachkopf glauben kann, bekannt zu machen, und das Geheimniß der Erfindung gegen Erlegung einer gewissen, von ihm zu bestimmenden Summe mitzutheilen.

2) Nach vier Wochen, von der ersten Insertion in öffentliche Blätter an gerechnet, muß v. R… durch Briefe nachweisen, daß er zwölf Abnehmer für seine Erfindung etc. gefunden hat. – Sollte sich diese Zahl finden, so gibt Adolph S… diesem Herrn vierzig Flaschen Hochheimer Domdechant, anderenfalls hat von R… zu bezahlen. – – – –

Die Wette war gemacht, nun galt es jedoch, zu ihrer Ausführung durch Erfindung der „Erfindung“ zu schreiten, v. R… entwarf und verwarf Projekte, es kam ihm kein einziges hinreichend dumm vor. Endlich hatte er das Richtige gefunden. Eines Tages las man unter den Annoncen einiger Blätter: „Für Teichbesitzer!

„Nach jahrelangen, mühevollen und kostspieligen Versuchen ist es dem
„Unterzeichneten gelungen, ein Pulver zu erfinden, dessen Wirksamkeit und
„Nährkraft alle bisher bekannten Nahrungsmittel für Fische übertrifft.
„Streut man eine halbe Unze dieses Pulvers über je einen preußischen
„Morgen Teichfläche, so ist man sicher, nach Verlauf von vierundzwan-
„zig Stunden die Größe der in ihnen befindlichen Fische um das Doppelte
„zunehmen zu sehen!
     „Das alleinige Depot für dieses Fischpulver befindet sich bei N.
„N. in M…, wohin sich Liebhaber gegen Frankoeinsendung von einem
„Friedrichsd’or wenden wollen. Das Pulver wird in Packeten von einem
„halben Pfund für obigen Preis verkauft. – – – v. R…“

Diese Annonce hatte schon zum dritten Male in verschiedenen Zeitungen gestanden, und es ließ sich noch immer kein Abnehmer für dieses herrliche Pülverchen finden. S… triumphirte schon, v. R… gab aber noch nicht die Hoffnung des Gewinnens auf, da er noch über vierzehn Tage Zeit bis zum Ablauf seinen vierwöchentlichen Termins hatte. Endlich kam am siebzehnten Tage nach der ersten Insertion ein Brief aus dem Norden Deutschlands, mit dem bewußten Friedrichsd’or, und das Verlangen nach Fischpulver enthaltend, v. R… reponirte den Brief zu seinen Akten, und schrieb dem Absender desselben: „daß er sehr bedauern müsse, ihm die gewünschten Pulver nicht übersenden zu können, allein die Nachfrage sei bisher so groß gewesen, daß der bisherige erste Vorrath gänzlich vergriffen sei. Er hoffe jedoch, ihm innerhalb vierzehn Tagen willfahren zu können!“

Diesem ersten Briefe folgte sehr bald ein zweiter. Jetzt war die Reihe den Triumphirens an v. R… – Als die vier Wochen verlaufen waren, hatte der glücklich Wettende statt der verlangten zwölf Abnehmer, deren dreiundzwanzig aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands gefunden. Einige der Korrespondenten hatten auch noch verschiedene andere Mängel ihrer Fischereien mitgetheilt, und um Abhülfe derselben ersucht.

Die Wette hatte v. R… gewonnen, er hatte aber noch die Verpflichtung auf sich, den Einsendern der Briefe ihre Gelder zurückzuschicken. Die ersten zweiundzwanzig Abonnenten bekamen ihren Friedrichsd’or mit höflichen Briefen zurückgesendet, in welchen ihnen einfach auseinandergesetzt wurde, daß es sich um das Gewinnen einer Wette gehandelt habe. Dem dreiundzwanzigsten jedoch, einem Baron von M…n aus Norddeutschland, der sich schon durch die Abfassung seines Briefes als nicht an der Erfindung des Pulvers betheiligt, gezeigt hatte, wurde folgende Stylübung zugeschickt:

„Ew. Hochwohlgeboren – erhalten beifolgend einen Friedrichsd’or zurück, welchen sie am … an den Unterzeichneten gesandt haben. – Die ganze Geschichte war nur ein Scherz! Ich hatte in einer heitern Gesellschaft die Behauptung aufgestellt, es könne nichts so Albernes erzählt werden, es finde sich nicht ein Schwachkopf, der es glaube! – Ew. Hochwohlgeboren sind der dreiundzwanzigste, welcher sich um die Erlangung des Fischpulvers hierher gewandt hat. – Achtungsvoll etc. – – –“

Uebrigens hat keiner der Geprellten sich um Satisfaktion an von R… gewandt. –





Anwendung des Wasserdampfes in frühern Zeiten. James Watt ist nicht als der Erste zu bezeichnen, der den Wasserdampf als bewegende Kraft benutzte. Er verbesserte nur die Dampfmaschinen, ihm gelang es nur, eine Dampfmaschine herzustellen, frei von allen bisherigen Mängeln. Somit ist James Watt der zweite Erfinder der Dampfmaschinen. Die Idee, den Wasserdampf als bewegende Kraft zu benutzen, ist sehr alt; schon Hero, ein alter griechischer Weltweiser zu Alexandrien (210 v. Chr.), construirte einen Apparat, der durch die Reaktion des ausströmenden Wasserdampfes in die Rotationsbewegung gesetzt wurde, und Anthemius, ein berühmter griechischer Mathematiker, Baumeister und Maschinenverfertiger (geb. im fünften Jahrh. zu Tralles, einer lydischen Stadt in Kleinasien), der wegen seiner wunderbaren Erfindungen, wodurch er Erdbeben, Blitz und Donner hervorbrachte, vom Kaiser Justinian nach Konstantinopel berufen worden war, soll die Wirkungen des Wasserdampfes gekannt haben. Man erzählt folgende sonderbare Anekdote von ihm:

„Sein Haus war mit dem Hause seinen Nachbars Zeno in mehreren Parthieen verbunden. Ueber dieses Bauverhältniß gerieth Anthemius mit Zeno in einen Rechtsstreit und verlor den Prozeß, weil, wie ausdrücklich bemerkt wird, Zeno ein geschickter Redner war. Anthemius suchte sich zu rächen, und baute eine Dampfmaschine, welche der byzantinische Geschichtsschreiber Agathias (in seinem Werke de machinis mirabilibus) so beschreibt: „Er stellte große Kessel im Boden seines Hauses aus, füllte dieselben mit Wasser an, und umgab sie mit ledernen Schläuchen, die unten so weit waren, daß sie den ganzen Umfang der Kessel verschlossen. Mit den Schläuchen verband er lederne Röhren, die sich in Form einer Trompete verengten und in einer Proportion endigten. Die Enden dieser Röhren befestigte er dann so genau auf den Balken und Brettern des Zeno’schen Hauses, daß die in den Röhren enthaltene Luft und zwar mit ungehinderter Kraft in die Höhe steigen, aber nicht herausbrechen oder durchbrechen konnte. Nach diesen in’s Geheim gemachten Vorkehrungen legte Anthemius ein kräftiges Feuer unter den Kessel und erregte es zur großen Flamme. Sobald nun das Wasser heiß und kochend geworden, entwickelte sich ein starker Dunst (Dampf), der schnell und dicht in die Höhe stieg, und da er vom Kessel aus keinen andern Ausgang hatte, in die Röhren trieb, wo er zusammengepreßt und mit verstärkter Kraft in die Höhe strebte, bis er das Dach mit fortgesetzter Gewalt angriff, und dasselbe so erschütterte und bewegte, daß dan Holz nach und nach zitterte und krachte. Die Hausgenossen der Zeno, von Furcht und Schrecken ergriffen, eilten auf die Straße; Anthemius aber neckte sie mit der Frage: was sie von dem Erdbeben dächten?!“






Circulation des Blutes, Ein medicinisches Journal liefert über die Circulation des Blutes etc. Notizen, die allen in der Arzneikunde unbewanderten Lesern sehr interessant sein müssen. Jedes Herzklopfen dauert eine Sekunde, was in einer Stunde 3600, und in einem Tage 86,400 beträgt. Bei jedem Herzklopfen stießen aus dem linken Magen zwei Unzen Blut in die Pulsadern, und da das Herz in der Stunde 3600 Mal schlägt, in dieser Zeit 7200 Unzen Blut heraus. Die ganze Blutmasse soll daher im menschlichen Körper 24 Pfund betragen, wenn man 600 durch 24 dividirt, so findet man, daß die Blutmasse 25 Mal in einer Stunde durch’s Herz fließt, und folglich 600 Mal des Tages. Das Herz, einen der vorzüglichsten Muskeln, braucht, um nur eine einzige entgegengesetzte Bewegung zu machen, eine mehreren 1000 Pfunden entsprechende Stärke. Ein Mensch, der 150 Pfund wiegt und zwei Fuß hoch springen will, braucht eine Stärke, die 2000 Mal größer ist als sein eigenes Gewicht, nämlich von 300,000 Pfund.



  1. Ein ähnliches Mittel, dem Publikum Sand in die Augen zu streuen, scheint die „Kapital-Offerte“ des „Bureaus zur Verbreitung gemeinnütziger Zwecke in Lüneburg“ zu sein, welche jetzt durch die deutschen Zeitungen die Runde macht.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_619.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2021)