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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Kunde“ bekannt ist, findet doch zuweilen eine Perle unter der Spreu, dann und wann auch einen alten Bekannten, der sich aus unserer Wohnung unerlaubter Weise entfernt und hier verkrochen hat. So tauschte ich gestern gegen einen Silberrubel die sämmtlichen Shakesspeare’schen Dramen in schönem Druck der französischen Uebersetzung ein. Ein alter Bekannter, ehemals Tanzlehrer, und nebenbei Bibliomane, rühmte sich, seit dreißig Jahren nicht einen einzigen Sonntag beim „Thurme“ gefehlt zu haben. Die Sammlungen die er in dieser Zeit gemacht hat, nehmen zwei große Zimmer ein, und übersteigen an Werth hundert Mal den dafür gezahlten Preis.





Ein Leipziger Bürger.


Wenn ein Fremder, vor etwa zwanzig Jahren noch, nach Leipzig kam, so besuchte er gelegentlich den sogenannten Reichel’schen Garten vor dem Thomaspförtchen als eine besondere Merkwürdigkeit. Er ging durch den offenen Thorweg eines großen hohen, an der Promenade gelegenen Vordergebäudes hinein, überschritt auf einer Brücke den breiten Mühlgraben der Pleiße, wandelte auf einem geraden Wege dann über eine Brücke, an der steinerne Standbilder, die vier Jahreszeiten vorstellend, Wache hielten, bis zu dem großen Hintergebäude, dessen ebenfalls offene Thorhalle ihn in einen unbedeckten Säulengang leitete, den man „die Colonnaden“ nannte. Zu beiden Seiten hinter den Säulen befanden sich kleine niedrige aber hübsch eingerichtete Wohnungen, an welche laubige Gärtchen stießen, inmitten derselben von Wassergräben umgebene Inseln lagen, zu denen man auf niedlichen Brückchen gelangte –. Diese Inseln führten die stolzen Namen Sicilien, Rhodus, Majorca, Corsika u. s. w. Hatte der Fremde den Säulengang hinter sich, so schloß sich ihm die Aussicht rechts und links durch Hecken und Plankwerk in andere geheimnißvolle Gärten, in denen stillvergnügte Leipziger ihren Feierabend genossen. Der Fremde drang weiter vor, bis ihm durch einen steinernen Satyr und einen breiten Wassergraben der Weg geradeaus versperrt und er genöthigt wurde, entweder rechts oder links einer Kirschbaumallee zu folgen, die ihn zwischen Gartenzäunen hindurch unvermerkt wieder auf den Mittelweg vor dem großen Quergebäude und dann zum Thorweg hinaus auf die Promenade brachte. In jener Kirschallee fortwandelnd warf er lange forschende Blicke auf das Gefilde, was zu betreten der Wassergraben ihn verhinderte, sah hochbegraste Wiesen, dazwischen Gebüsch, in weiterer Ferne hohen Wald, und gelegentlich einen höflichen Leipziger befragend, erfuhr er, daß durch die Wiesen und das Gebüsch rechts und links und gerade aus die Pleiße und die Elster in schwesterlicher Umarmung sich schlängelten und dazwischen noch eine ungekannte Anzahl von kleineren und größeren Wassergräben, Teichen, Lachen, Tümpeln und Sümpfen sich befände, nur den Fischern, Mähern, Vogelstellern und jenen waghalsigen Leipziger Jungen zugänglich, die Krebse und Schmetterlinge fangen, auch wohl baden – gingen. – Diese Gegend wäre in der That eine ergiebige für die modernen Aquarien an Salamandern, Molchen, Fröschen und Unken gewesen, die zur Frühjahrszeit dazumal große Conzerte gaben.

Der eben beschriebene Reichel’sche Garten besteht noch wesentlich in seinen beiden Hauptgebäuden wie früher, wenn auch zwischen dieselben sich die Dorotheenstraße mit ihren reizenden Vorgärten gedrängt hat, die Elster- und Centralstraße sich rechts abzweigen, und links die Erdmannsstraße ausläuft, dort wo früher Erdbeeren- und Stachelbeerbüsche standen, an schönen Abenden Nachtigallen schlugen und Männerquartette sich hören ließen unter Weinlaub beim Biere. – Freilich sind auch Sicilien und Rhodus und alle Inseln sammt und sonders untergegangen. Die Säulen sind verschwunden, aber die schmale Colonnadenstraße mit ihren um ein Stockwerk gewachsenen Häuschen ist geblieben.

Neben dem Reichel’schen Garten, der Nonnenmühle zu, befand sich ein zweiter Garten, der Rudolph’sche genannt, ein berühmter Jubilate-Meßsonntagsgarten im altfränkischen Geschmack mit Buchsbaumhecken, versteckten Nischen, ehrwürdigen Alleen, Gewächshäusern, Orange- und Myrthenbäumen verziert, woran sich nasse Wiesen schlossen mit Bäumen bis an die angrenzenden Gewässer der Pleiße unterhalb der Nonnenmühle und bis zum Kuhstrangswehre.

Ueber die Pleiße, das Küchen- und Kuhstrangswehr hinaus, verlor sich der Blick und verliert sich noch heute in die Schatten des Schwägrichen’schen und des botanischen Gartens und weiter in die sumpfigen Wiesenflächen der Universität, des sogenannten Schimmel’schen Gutes, und der Sauweide – –.

Die Wiesen aber am Pleißen-Thomas-Mühlgraben und der meßehrwürdige Rudolph’sche Garten, wo noch zu guter Letzt der berüchtigte Berliner Weinwirth Louis Drucker seine nicht allzu zarten Späße vorbrachte, sind überwachsen von zwei schönen palastreichen Straßen, von der West- und Rudolphsstraße. Zwischen ihnen erhebt sich die von Heidelof’s Meisterhand erbaute katholische Kirche. Die Rudolphsstraße hat sich mit der Erdmanns- durch die Moritz- und Zimmerstraße in Verbindung gesetzt. Die Weststraße aber, nach Nordwesten sich wendend, geht in herrlicher Breite geradeaus weiter. Sie stürzte die Kirschallee und füllte die niedrigen Gärten und Wiesen, so wie den Wassergraben, vor dem unser Fremder verdutzt stehen blieb, circa 7 Fuß hoch auf, sprang dann mit einer schönen Brücke über die Elster und überdämmte das Wiesenthal bis zur Frankfurter Straße. Auf diese Weise legt die schöne Weststraße in schnurgerader Richtung eine Strecke von mehr als 2000 Ellen zurück. Sie ist es, von der wir eine Abbildung geben. Sie verbindet sich rechts mit der Moritz-, Erdmanns-, Colonnaden- und Alexanderstraße und durch die Promenaden- mit der Elsterstraße, auch rechts mit der Wiesenstraße, jenem Conzertsaal der Frösche und Unken vor funfzehn Jahren!

Diese Schöpfung mittelbar und unmittelbar ist nun das Werk eines Mannes, in Folge seiner Anregung, seines Einflusses, seiner Unterstützung und seines Beispiels durch eigene entschlossene That.

Sie ist hervorgegangen und wirkt schöpferisch fort auf Unternehmungen von noch viel größerer Bedeutung und von weitgreifender Wichtigkeit nicht allein für Leipzig, sondern für ganz Sachsen und Thüringen.

Der Mann, den wir meinen, ist Dr. Ernst Carl Erdmann Heine, geb. 1819 in Leipzig, Sohn des verstorbenen Gutsbesitzers Johann Carl Friedrich Heine in Neu-Scherbitz unweit Schkeuditz und dessen noch lebenden Ehefrau Christiane Dorothea geb. Reichel. Heine besuchte die Thomasschule und die Universität Leipzig, studirte Rechtswissenschaft, Staats- und Volkswirthschaft, trieb Mathematik und Feldmessen unter Hohlfeld, verheirathete sich 1843 mit Fräulein Trinius, wurde in demselben Jahre Doctor juris an der Universität Leipzig, und bald darauf Advokat. Schon in seiner frühesten Jugend zeigte sich in ihm eine besondere Neigung für Land- und Wasserbauangelegenheiten. Auf einem quellenreichen Wiesengrundstücke seines Vaters legte er – als Knabe spielend – Wehre an, baute Kanäle und trieb durch deren Wasser kleine Mühlräder. In seinem siebzehnten Jahre entwässerte er mit Hülfe unterirdischer Röhrenlegung eine Wiese und einen Teich mit dem besten Erfolg.

In seinem zweiundzwanzigsten Jahre (1841) entwarf Heine seinen Plan zur Trockenlegung und Bebauung der Riedel’- und Reichel’schen Gärten, der Förster’- und Nebe’schen und der Neubert’schen Wiesen und zur Bebauung der Gerhard’schen, Lehmann’schen Gärten, so wie der Thomasmühle, und ließ die betreffenden Aufnahmen und Berechnungen von dem Architekten Brendel besorgen. Seine desfalsigen, den verschiedenen Grundbesitzern gemachten Vorschläge fanden inzwischen kein Gehör! Man erachtete seine Pläne zu weit ausgreifend und zu wenig im Gleise bleibend. Heine kaufte daher, wie wir gehört zu haben glauben, im Jahre 1841 die Förster’schen und Nebe’schen Wiesen, hauptsächlich letztere, um über die Elster bis auf die Frankfurter Straße (Lindenauer Chaussee) zu gelangen. Denn die rasche und planmäßige Bebauung der Strecke zwischen der Pleiße und Elster konnte nur dann gehofft werden, wenn dieselbe nicht nur durch eine Brücke über den Pleißenmühlgraben gegen die Promenade zu geöffnet, sondern auch durch Ueberbrückung der Elster und durch einen Fahrdamm mit der Lindenauer Chaussee in Verbindung gesetzt wurde. Die Pleißenbrücke wurde demnach 1844 gebaut, der Platz hinter derselben behufs der Erbauung der katholischen Kirche und eines Schulhauses für einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_628.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)