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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

ihm gleichgültig. Er wollte nur, daß Georg demüthig wieder kommen, und reuig um die jetzt verschmähte Hand seiner Tochter bitten solle.

Seit Jahr und Tag schon harrte damals eine Kindesmörderin ihres Urtheils. Es war ein blutjunges, armes Mädchen von seltener Schönheit, schlank und voll, blendend weiß von Teint, mit üppigem, rabenschwarzem Haar. Ihr Vertheidiger, der eine schwer zu bekämpfende Neigung in seinem Herzen für die schöne Klientin sich regen fühlte, bot Alles auf, der Unglücklichen wenigstens das Leben zu retten. Das arme, fast zurechnungslose Geschöpf hing mit schwer zu begreifender Zähigkeit am Leben. Sie wollte nichts vom Tode hören, und mehr denn einmal war sie ihrem Vertheidiger zu Füßen gefallen, hatte seine Kniee mit zarten Armen umschlungen, und mit leidenschaftlichen Worten ihn angefleht, er solle sie doch nur vom Tode erretten. Allein alle Vertheidigungskünste prallten ab an der ehernen Brust der Richter, die, weil neuerdings das Verbrechen des Kindermords sich mehrmals wiederholt hatte, an der Ueberführten, der That Geständigen, ein Beispiel statuiren wollten. Die Beklagenswerthe ward zum Tode durch das Schwert verurtheilt, und das Urtheil vom Landesherrn bestätigt.

Schon einige Wochen vor diesem richterlichen Erkenntnisse sagte Zipser seiner nächsten Umgebung, wie auch Solchen, die zu ihm kamen, um seine Hülfe in Anspruch zu nehmen, daß er alsbald ein Todesurtheil zu vollstrecken haben werde. Forschte Jemand weiter, so sprach er geheimnißvoll: „Angezeigt ist mir noch nichts, aber ich weiß es. Das Schwert hat sich gerührt!“

Er deutete dann mit respektvoller Scheu auf das breite Richtschwert, das in rothsammetner Scheide auf einem Haken an der Wand seines Kabinettes hing. Dies Sichrühren des Schwertes war nach des alten Mannes Behauptung ein untrügliches Zeichen, daß es nächstens gebraucht werden solle.

Als nun die Kunde von der Verurtheilung der erwähnten Kindesmörderin auch Zipser erreichte, zweifelte er keinen Augenblick, daß ihm schon in den nächsten Tagen von obrigkeitswegen Anzeige davon gemacht werden würde. Zu seinem größten Erstaunen geschah dies aber nicht. Der Nachrichter der Nachbarschaft, der ehemalige Verlobte seiner Tochter, Georg, erhielt den Auftrag, die Verurtheilte hinzurichten.

Zipser lächelte und schüttelte sein weißes Lockenhaupt.

„Georg!“ sprach er zu sich selbst, „Georg soll dem jungen Blut den Kopf abschlagen? Und mit meinem Schwert? – Das müßte mit Kräutern zugehen! Mein Schwert soll richten, denn es hat geklungen, ich aber gebe mein Schwert nicht aus der Hand.“

Er ließ sich gegen Niemand aus über sein Glauben und Wähnen, im Stillen nur zog er Erkundigungen ein. Was er hörte, bestätigte, daß Georg zur Vollziehung des Urtheils bestimmt worden sei. Der junge Nachrichter sollte sein Meisterstück machen. Zipser wiegte nachdenklich sein Haupt und ein schadenfrohes Lächeln spielte um die fest geschlossenen Lippen.

Drei Wochen noch hatte Georg Zeit sich vorzubereiten auf die schwere Pflicht, die ihm von obrigkeitswegen auferlegt ward. Zipser behauptete, die Obrigkeit handele in diesem Falle ungesetzlich, willkürlich. Die Verbrecherin gehöre in den Bezirk der Stadt, in welcher er selbst als Nachrichter angestellt sei, und deshalb gebühre ihm die Vollstreckung des Urtheiles, Einspruch thun aber wolle er nicht, da es sich hier um die Einführung eines Neulings handele; dennoch bezweifle er, daß Georg Muth und Kaltblütigkeit genug haben werde, um den Befehl der Obrigkeit auch wirklich vollziehen zu können.

Der greise Mann stieg jetzt wieder zu Pferde, was er längere Zeit unterlassen hatte, und in seinen auffallenden Mantel gehüllt, ritt er hinaus auf die Richtstätte, wo bereits Vorbereitungen getroffen wurden. Diesen Ritt wiederholte er regelmäßig alle Tage, umkreiste in ziemlicher Entfernung den Richtplatz regelmäßig drei Mal und sprengte alle Mal, wenn es zwölf Uhr Mittags schlug, im wildesten Galopp zurück nach seiner Wohnung.

Wozu sollten diese nutzlosen Ritte dienen? Keiner konnte sich dies erklären, Jedermann aber sprach davon, und ehe noch acht Tage vergangen waren, raunte Einer dem Andern zu, der alte Zipser habe die Richtstätte in den Bann gethan, weil man ihm sein Recht nicht geben wolle, sondern einen Andern, einen jungen Laffen ihm vorziehe. Er selbst schwieg, nach andern acht Tagen aber sahen Einige mit wahrem Entsetzen, daß auch die drei Raben ihrem geheimnißvollen Herrn bei seinen Besuchen des Richtplatzes folgten und jedes Mal, wenn er seinem Rappen die Zügel schießen lasse, mit lautem Gekrächze hinter ihm herflögen.

Diese Ritte des alten Mannes und sein unerklärliches Treiben während derselben konnte Georg nicht verborgen bleiben. Zwar ließ er sich nichts merken, wohl aber ward ihm nicht dabei. Unwillkürlich gedachte er Zipser’s drohenden Worten und der vielen Gerüchte, die über ihn umgingen. Wenn er nun wirklich im Besitz von Geheimmitteln war, die Andere nicht kannten, wenn er einen Gebrauch von verborgenen Naturkräften machte, deren Wirkung nur er selbst vorauszuberechnen verstand: konnte er dann ihn nicht mit heimlich gelegten Schlingen umgarnen und sein ganzes zukünftiges Glück tückisch zerstören?

Einige Tage vor der Urtheilsvollstreckung trieb Georg die Angst nach der Richtstätte. Gern wäre er am hellen Tage dahin gegangen, aber er fürchtete dem unheimlichen Greise zu begegnen, und ein Zusammentreffen mit diesem seinen Feinde wollte er um jeden Preis vermeiden. Er wartete deshalb die Dunkelheit ab, wo er in so verrufener Gegend Niemand zu treffen besorgen durfte.

Die Stätte, wo das Hochgericht stand – ein hohes, halbrundes Gemäuer, aus dessen mit Nesseln und Ginster verwachsenem Innern eine steinerne Treppe nach einer nur wenige Fuß breiten Plattform führte – war öde genug. Hüben und drüben breitete sich unbebautes, dürres Wiesenland aus, wo in der guten Jahreszeit große Heerden weideten, weshalb der fast eine Quadratmeile haltende Distrikt gewöhnlich nur die Viehweide genannt wurde. Eine Menge theils großer, theils kleinerer Vertiefungen – die Ueberbleibsel alter Lehmgruben, bildeten jetzt trübe Tümpel voll rauschenden Schilfes, die von zahllosen Unken bevölkert waren. Der melancholische Ruf dieser Thiere verstummte weder Tag noch Nacht, klang aber im falben Zwielicht der Dämmerung schauerlich und jagte jeden Wanderer rasch über das unwirthliche, von Allen gemiedene Land.

Georg ging absichtlich recht langsam durch die schmalen, wenig betretenen Pfade, welche sich schlangenartig um die rauschenden Tümpel wanden, in deren Tiefe die Unken stöhnten. Er achtete genau auf jeden Gegenstand. Das Unbedeutendste entging seiner Aufmerksamkeit nicht, auf jedes Geräusch horchte sein Ohr, das scharfe Auge durchdrang weithin das farblose Dunkel. Es begegnete ihm jedoch nichts Auffallendes oder gar Störendes. Selbst im Mauerrund des alten Richtsteines raschelten nur ein paar Blindschleichen im Ginster. Festen Schrittes erstieg der junge Mann die Treppe und trat hinaus auf den steinernen, umfriedeten Rand. Da stand der Stuhl, welcher die Verurtheilte aufnehmen sollte. Georg befühlte das Holz, umschritt es, trat an die Umfriedigung und blickte nach der Stadt, deren Thürme aus nebligem Dunst schwarz und finster emporragten. Der Schein eines einzigen Lichtes glimmerte über der braunen Heidefläche. Georg kannte die Gegend genau, er wußte, wo jenes Licht brannte, und ungestümer fühlte er sein Herz pochen.

(Schluß folgt.)




Ludwig Devrient und Hoffmann.

„Sie sind der Teufel, oder Ludwig Devrient – gestern Abend – Shylock – Sie werden mich wieder in’s Theater ziehen, das mich bis jetzt mit seinen Spielereien anekelte. Sie werden Geld kosten – viel Geld – denn Sie sind ein Künstler, den man viel sehen muß! Spott und Verachtung allen Künsteleien, – aber wer dem heiligen Berufe so mit allen Körper- und Geisteskräften lebt wie Sie, daß bei der höchsten Spannung der Seele auch der Körper angestrengt wird, daß zuletzt, und so wird’s bei Ihnen kommen, mit dem vollen Ausströmen der Akkorde auch der Geist mit ausgehaucht wird – der ist mein Mann. – Reichen Sie mir die Hand, ich bin Hoffmann.“ –

So redete der berühmte Dichter der „Nachtstücke,“ „der Serapionsbrüder“ etc., T. A. Hoffmann, in der ihm eigenthümlichen raschen herausgestoßenen Weise seinen gleich berühmten Zeitgenossen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_664.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2019)