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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

bestimmtes Licht auf den Ausspruch des Lord Burleigh werfen: „England wird nicht untergehen, wenn nicht durch sein Parlament.“ Der konfuse Haufen von beinahe 40,000 parlamentsfabrizirten Gesetzen, unter denen das alte Recht und die Freiheit Englands erstickt, vermehrt sich während jeder Session um etwa ein halbes Tausend von Machwerken der liederlichsten, verschwindeltesten Oglo- und Plutokratie, so daß schon Niemand mehr weiß, was Recht und Gesetz ist. Diese Ungewißheit des Gesetzes hat längst die größte Gleichgültigkeit gegen Recht und Gesetz hervorgerufen, so daß man sprüchwörtlich sagt: Recht hat der, der so lange bezahlen kann, bis er’s hat.

Wir sehen, daß die üblichen Ansichten vom englischen Parlamente nichts als eine alte, fortgeerbte Krankheit von Traditionen und Täuschungen sind. England war bisher trotz seines Parlaments etwas frei und stark. Es hat aber neuerdings lebensgefährliche Stöße bekommen durch’s Parlament.




Blätter und Blüthen.




Der Löwe in der Falle. Auf einer unserer Jagdparthien, erzählt Kapitain Reid in seinem Buschknaben, hatte unser Begleiter, der Buschmann Swartboy, einen Löwen leicht mit einem Pfeile verwundet und dieser, der keine Lust zu weiterem Kampfe zu haben schien, drehte sich um und trabte langsam in die geöffnete Thür eines einsam stehenden verlassenen Häuschen hinein. Es lag etwas Sonderbares darin, daß ein Löwe an einem so ungewöhnlichen Orte Schutz suchte, aber er bewies eben dadurch seine Klugheit. Es war in bequemer Entfernung kein anderer Schlupfwinkel zu finden, und ein Gebüsch zu erreichen, welches ihm ein Versteck gewährt hätte, würde sehr schwierig gewesen sein. Die berittenen Jäger hätten ihn leicht einholen können, wenn er versucht hätte, zu entrinnen. Er wußte, daß das Haus unbewohnt war. Er war die ganze Nacht um dasselbe herumgeschlichen – vielleicht auch schon darin gewesen, und wußte daher, was für ein Platz es war.

Der Instinkt des Thieres war ganz richtig. Die Mauern des Hauses schützten ihn vor den Kugeln seiner Feinde, so lange sie sich ihm fern hielten, und kamen sie näher, so war dies sein Vortheil und ihre Gefahr.

Als der Löwe in das Haus eindrang, ereignete sich ein seltsamer Vorfall. An dem einen Ende des Hauses befand sich ein großes Fenster. Natürlich war es nicht verglast und war es nie gewesen. Ein Glasfenster ist in jenen Gegenden eine Seltenheit. Es ward mit einem starken hölzernen Laden verschlossen. Dieser hing noch in seinen Angeln, bei dem schnellen Fortziehen aber war das Fenster offen stehen geblieben. Die Thür hatte ebenfalls angelehnt gestanden. So wie der Löwe zu derselben hineinsprang, kamen eine Reihe kleiner, wolfsähnlicher Thiere durch das erstere heraus und rannten, so schnell sie konnten, querfeldein. Es waren Schakals.

Wie sich später zeigte, war einer der Ochsen entweder von Löwen oder von Hyänen in das Haus hineingetrieben und hier zerrissen worden. Die größeren Fleischfresser hatten sich nicht lange mit seinem Kadaver beschäftigt und die schlauen Schakals ruhig an ihm gefrühstückt, als sie auf so plötzliche Weise gestört wurden. Der Eintritt ihres Königs in so grimmiger Laune zur Thür herein bewog die Fuchswölfe, sich schleunigst durch das Fenster zu flüchten, und das Erscheinen der Reiter draußen hatte diese feigen Thiere noch mehr erschreckt, so daß sie mit der größten Schnelligkeit aus dem Hause davoneilten, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Die drei Jäger konnten sich des Lachens nicht enthalten, bis sie plötzlich durch ein anderes Ereigniß in Anspruch genommen wurden, daß fast in demselben Augenblicke stattfand.

Van Bloom, unser Begleiter, hatte seine beiden schönen Hunde mitgebracht, damit sie ihm die Rinder mit nach dem Lager treiben helfen sollten.

Während des kurzen Haltes, den die Reiter an der Quelle gemacht, hatten die Hunde an einem schon halb verzehrten Kadaver hinter den Mauern geschmaus’t und waren, da sie sehr viel Hunger hatten, dabei geblieben, selbst als die Reiter sich wieder auf den Rückweg machten. Keiner der beiden Hunde hatte den Löwen gesehen, bis zu dem Augenblicke, wo das wilde Thier hervorbrach und nach dem Hause rannte. Die Schüsse, das Brüllen des Löwen und das laute Flügelklatschen der Geier, welche erschrocken davonflogen, verriethen den Hunden, daß etwas vorgehe, wobei sie eigentlich zugegen sein sollten, und ihr angenehmes Mahl verlassend, kamen sie Beide über die Mauern gesprungen.

Sie erreichten den offenen Raum gerade, als der Löwe zur Thür hineinsprang, und ohne zu zögern, stürzten die beiden muthigen Thiere ihm nach und folgten ihm in das Haus hinein.

Einige Augenblicke lang hörte man ein verworrenes Getöse – das Bellen und Balgen der Hunde, das Grunzen und Brüllen des Löwen. Dann folgte ein dumpfer Ton, als ob ein schwerer Gegenstand an die Mauer geschmettert würde. Dann vernahm man ein klägliches Geheul – ein zweites, ein drittes – dann ein Geräusch, als ob Knochen zerbrochen würden – das Schnurren des großen Thieren mit seinem lauten, rauhen Basse, und dann ein tiefes Schweigen. Der Kampf war vorüber. Dies ging daraus hervor, daß die Hunde nichts mehr von sich hören ließen. Höchst wahrscheinlich waren sie getödtet.

Die Jäger machten Halt und bewachten die Thür mit der größten Spannung und Unruhe. Das Gelächter war auf ihren Lippen erstorben, während sie diesen gräßlichen Klängen, den Zeichen des furchtbaren Kampfes, lauschten. Sie riefen ihre Hunde beim Namen. Sie hofften, sie, wenn auch verwundet, herauskommen zu sehen. Aber sie kamen nicht heraus – sie kamen nie wieder heraus – sie waren todt.

Ein langdauerndes Schweigen folgte auf das Getöse des Kampfes. Van Bloom konnte nicht daran zweifeln, daß seine so werth gehaltenen und einzigen Hunde getödtet waren. Durch dieses neue Mißgeschick noch mehr aufgeregt, setzte er fast die Klugheit aus den Augen. Er stand schon im Begriff, sich der Thür zu nähern, um so nahe als möglich auf den verhaßten Feind zu feuern, als Swartboy plötzlich etwas einfiel und er ausrief: „Baas, Baas! Wir wollen ihn einschließen! Wir wollen den Schuft einsperren!“

Es lag etwan sehr Kluges und Plausibles in diesem Vorschlage. Van Bloom sah es ein und von seiner ersten Absicht zurücktretend, beschloß er, auf Swartboy’s Idee einzugehen.

Aber wie sollte diese ausgeführt werden? Die Thür hing noch in den Angeln, eben so wie der Fensterladen. Konnten sie diese erfassen und zuschlagen, so hatten sie den Löwen allerdings sicher und konnten ihm mit Muße den Garaus machen.

Aber wie sollte man ohne Gefahr Thür und Fenster schließen? Das war die Schwierigkeit, die sich jetzt zeigte. Näherten sie sich der Thür oder dem Fenster, so ließ sich erwarten, daß der Löwe sie von innen sehen würde, und ganz gewiß hätte er sich in seiner Wuth sofort auf sie gestürzt. Auch wenn sie sich zu Pferde näherten, um ihre Absicht auszuführen, waren sie nicht viel sicherer. Die Pferde würden nicht ruhig gestanden haben, während die Reiter die Hände ausgestreckt hätten, um die Klinke oder den Griff zu fassen. Sämmtliche drei Thiere tanzten und bäumten schon vor wilder Erregung. Sie wußten, daß der Löwe im Hause war. Ein gelegentliches Grunzen verkündete seine Gegenwart – es ließ sich nicht erwarten, daß sie sich der Thür oder dem Fenster mit hinreichender Kaltblütigkeit nähern würden, und ihr Stampfen und Schnauben würde weiter nichts genützt haben, als daß sie das wüthende Thier sich aus den Haus gelockt hätten.

Es war sonach klar, daß das Schließen der Thür oder des Fensters eine sehr gefährliche Operation sein würde. So lange die Reiter im Freien und in einiger Entfernung von dem Löwen waren, hatten sie keinen Grund, etwas zu fürchten. Näherten sie sich jedoch und geriethen sie in die Mauern hinein, so war es höchst wahrscheinlich, daß Einer von ihnen dem blutdürstigen Thiere zum Opfer fallen würde.

So gering auch der Maßstab sein mag, den man an die Intelligenz eines Buschmannes zu legen hat, so gibt es doch eine ihm eigenthümliche Gattung, in welcher er wirklich zu excelliren scheint. In Allem, was Jagdlist betrifft, ist seine Intelligenz, oder man könnte es fast seinen Instinkt nennen, dem höher entwickelten Geiste des Kaukasiers vollkommen gewachsen. Es hat dies ohne Zweifel seinen Grund in der öfteren Ausübung dieser besonderen Fähigkeiten, von deren erfolgreicher Anwendung sehr oft sein Leben abhängig ist. In dem großen, unförmlichen Kopfe, den Swartboy auf seinen Schultern trug, stak eine nicht unansehnliche Masse Gehirn und ein Leben voll Mühen und Gefahren, obschon es keinen anderen Zweck hatte, als seinen Magen zu füllen, hatte ihn gelehrt, dieses Gehirn zu üben und zu gebrauchen, und in dem gegenwärtigen Augenblicke leistete es ihm und seinen Begleitern abermals wesentliche Dienste.

„Baas!“ sagte er, indem er sich bemühte, die Ungeduld seines Herrn zu zügeln, „wartet ein wenig, Baas. Ueberlaßt es dem alten Buschmanne, die Thür zuzumachen – er wird es besorgen.“

„Aber wie denn?“ fragte sein Herr.

„Wartet nur – sollt es gleich sehen.“

Alle drei waren miteinander so nahe an das Haus herangeritten, daß sie nicht mehr ganz hundert Schritte davon entfernt waren. Van Bloom und Hendrik verhielten sich schweigend und warteten, was der Buschmann beginnen würde.

Dieser Letztere zog einen Knäuel Bindfaden aus der Tasche, wickelte ihn sorgfältig auf und knüpfte das eine Ende an einen Pfeil. Dann ritt er bis auf dreißig Schritte an das Haus heran und stieg ab – dem Eingange nicht gerade gegenüber, sondern ein wenig auf der Seite – so daß die Fläche der hölzernen Thür, welche glücklicher Weise nur drei Viertel offen stand, sich gerade vor ihm befand. Den Zügel seines Pferdes über den Arm werfend, spannte er nun seinen Bogen und schoß den Pfeil in das Holzwerk der Thür. Nicht weit vom Rande, dicht unter der Klinke, blieb er stecken. Sobald als Swartboy den Pfeil abgeschossen hatte, sprang er wieder in den Sattel, um zum schleunigsten Rückzüge bereit zu sein, im Fall der Löwe einen Ausfall machte. Dabei aber hielt er immer noch den Bindfaden fest, dessen eines Ende an dem Pfeile befestigt war.

Das Anschlagen des Pfeils, als derselbe in die Thür hineinfuhr, hatte die Aufmerksamkeit des Löwen erweckt. Natürlich sah ihn keiner der Reiter, sein zorniges Grollen aber verrieth ihnen, daß dem so war. Er zeigte sich indessen nicht und verstummte wieder.

Nun zog Swartboy die Schnur an – anfangs vorsichtig, um sich vom Festhalten zu überzeugen, und dann that er einen stärkeren Ruck damit und warf die Thür zu. Die Klinke schnappte ein und die Thür blieb zu, selbst nachdem die Schnur nicht mehr angespannt war.

Um die Thür wieder zu öffnen, hätte der Löwe so viel Verstand haben müssen, daß er die Klinke gehoben hätte, oder es wäre nichts übrig geblieben, als durch die dicken, starken Planken hindurchzubrechen, und davon stand weder das Eine noch das Andere zu befürchten.

Nun aber war noch das Fenster offen, und durch dieses hätte der Löwe mit leichter Mühe herausspringen können. Swartboy faßte natürlich den Entschluß, es auf dieselbe Weise zu schließen wie die Thür. Dabei aber stellte sich eine eigenthümliche Gefahr heraus. Er hatte nur ein einziges Stück Schnur. Dieses war noch an dem Pfeile befestigt, der

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