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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

1714 mit einer Tochter des großen Kurfürsten von Brandenburg, Elisabeth Sophie, anderweitig vermählte.

Diese Fürstin war schon zwei Mal Wittwe, erst vom Herzog Friedrich Kasimir von Kurland und dann vom Markgrafen Christian Ernst von Brandenburg-Kulmbach (Bayreuth), und sie wurde es 1724 zum dritten Male vom Herzog Ernst Ludwig von Sachsen-Meiningen. Als die Prinzessin Louise Dorothee ihren Vater verlor, zählte sie erst vierzehn Lebensjahre, und wie ihre Erziehung schon seit zehn Jahren von ihrer Stiefmutter geleitet worden war, so hatte die beklagenswerthe Vater- und Mutterwaise sich auch ferner dem Willen dieser Dame zu fügen.

Was das für eine Erziehung gewesen sein muß, geht am besten aus der drastischen und pikanten Charakterschilderung der verwittweten Herzogin von Meiningen hervor, welche die geistreiche Markgräfin Friederike Sophie Wilhelmine von Bayreuth[1] von dieser Fürstin, ihrer Großtante, in ihren Memoiren entworfen hat.

Die Bildung fürstlicher Kinder war im vorigen Jahrhundert ausschließlich eine sogenannte französische, d. h. enge, kümmerliche und pedantische. Lehrer und Gouvernante, in der Regel geborene Franzosen von ungenügendem Wissen, verstanden nur das Eine gut, ihre Oberflächlichkeit durch steife Förmlichkeit und künstlichen Schliff zu verdecken. Auch die Herzogin von Meiningen kannte nichts Höheres und war drauf und dran, ihre Stieftochter in der herkömmlichen Weise abrichten zu lassen. Aber ein Glücksstern stand zu Häupten der Prinzessin und eine ungemein günstige Fügung des Geschickes führte ihr trotz aller Verkehrtheiten ihrer Stiefmutter eine gesunde Geistes- und Herzensnahrung zu und machte sie frühzeitig mit den echten Perlen und Edelsteinen des Schatzes der französischen Literatur bekannt.

Ihre Stiefmutter war auf ihre Abstammung vom großen Kurfürsten und auf ihre nahe Verwandtschaft mit dem mächtig aufstrebenden preußischen Königshause stolz und überragte an Bildung die meisten fürstlichen Frauen der kleineren Häuser, aber sie ließ auch Beides im persönlichen Umgange mit ihrem Schauspieltalente fühlen. Sodann gehörte die verwittwete Herzogin, wie das ganze brandenburgische Fürstenhaus, der reformirten Kirche an; die sächsisch-ernestinischen Häuser hielten aber um so strenger am reinen lutherischen Glauben, als ihr Ahnherr, der Kürfürst Johann Friedrich der Großmüthige zum Märthyrer desselben geworden war, und die albertinische Linie in ihren vornehmsten Gliedern sich wieder zur katholischen Kirche bekehrt hatte. Seit den verunglückten Versuchen des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen, die beiden protestantischen Kirchen zu vereinigen, war die Entfremdung zwischen ihren Bekennern nur noch stärker geworden. Besonders zeigt sich die orthodoxen Lutheraner als die abgesagtesten Gegner der Calvinisten, und der Spruch: „lieber türkisch, als calvinistisch!“ galt als ihr Grundsatz. Es war natürlich, daß die Calvinisten ihnen einen gleichen Trotz entgegensetzten. An mehr als einem thüringischen Hofe hatte sich der fromme lutherische Glaubenseifer zum hallischen Pietismus niedergeschlagen, aber die Spener-Franke’sche Lehre von der innerlichen Gnadenwirkung war in diesen Fürstenconventikeln zum verschwommenen, hochmüthig weinerlichen Separatismus ausgeartet, welchem der demüthig stolze, oberflächliche, innerlich hohle und geistesarme Bekehrungseifer des damals noch jungen Grafen Zinzendorf sehr willkommen kam. Noch nicht Gegner seiner Lehrer, der Hallenser, sang und betete er in den Nachbarstädten Saalfeld, Rudolstadt und Jena mit höchsten und hohen, mit niederen und niedrigsten Personen. Eigentlich hatte er aber doch schon an dem Kunststück zu laboriren begonnen, wie er die ihrem innersten Wesen nach demokratische Christuslehre mit ihren einfach erhabenen Gestalten, welche die Reformation von ungebührlichem Prunke befreit und auf ihre ursprünglich einfache, sittliche Größe zurückgeführt hatte, in eine aristokratische Puppenstube verwandele.

In Gotha donnerte Cyprian als strenger Orthodox, wie in Leipzig Carpzov, in Dresden Löscher, in Hamburg Neumeister, eben so gegen den Calvinismus, wie gegen den Pietismus. – Der alten Herzogin von Meiningen war dagegen der Dogmatismus ebenso ein Gräuel, wie der Pietismus; sie verachtete die Privatandächtelei und den Gnadendurchbruch an den einen Höfen nicht minder, wie die gelehrte, auf die symbolischen Bücher fundirte Theologie an den anderen. Dafür wurde sie, die den strengsten Calvinismus zur Schau trug, der aber in Wahrheit das Bayreuther Silberservice, mit guten Speisen gefüllt, lieber war, als alle Religion, in demselben Grade, wenn nicht noch mehr, von ihren pietistischen und symbolgläubigen thüringischen Verwandten gehaßt und angefeindet. Es war also natürlich, daß man sie möglichst vermied, zumal sie als Wittwe eines kleinen Fürsten, dem sie nicht einmal Kinder geboren, in den Familienangelegenheiten nicht befragt wurde. Ihr beleidigter Stolz zog sich in eine abgeschlossene Stellung zurück, und ihre junge Stieftochter theilte selbstverständlich das Schicksal der Vereinsamung mit ihr.

Endlich lebte das meininger Herzogshaus schon seit Jahren in den verdrießlichsten Erbschaftsstreitigkeiten mit den übrigen von Herzog Ernst dem Frommen von Gotha und Altenburg abgezweigten Dynastien, und diese Streitigkeiten verzogen sich bis zu Louise Dorothee’s Mündigkeit.

Solche verschiedenartige Antipathien herrschten zwischen zahlreichen, hundertfach verwandten thüringischen Höfen.

Unter so deprimirenden Einflüssen verlebte Louise ihre stille Jugend in der kleinen, damals noch häßlichen Stadt Coburg. Aber diese abgeschlossenen und beschränkten Verhältnisse begünstigten die Ausbildung ihres reichen Geistes und Herzens und hielten jede schädliche Einwirkung wie eine schützende Mauer von ihr fern. Keine ungesunde Hoflust verdarb entfaltende köstliche Blüthe. Und diese Jugend war nicht freudenlos. Ihrem Genius hatte sich ein zweiter zugesellt, welcher ihm die höchsten und reinsten Schätze bot, die der hingebenden Liebe und aufopfernden Freundschaft. Kurz vor dem Tode ihres Vaters kam vom herzoglich würtembergischen Hofe zu Stuttgart ein jähriges Fräulein calvinistischen Glaubens als Hofdame der alten Herzogin von Meiningen nach Coburg, ein in jeder Hinsicht ausgezeichnetes und liebenswürdiges Wesen.

Juliane Franziska Freiin von Neuenstein war die älteste Tochter des Freiherrn Philipp Jakob von Neuenstein aus dem Kanton Ortenau im Elsaß und der einem altfranzösischen Adelsgeschlecht entsprungenen Dame Jeanne Marguerite de Moysen de la Rochelogerie und wurde 1707 zu Paris geboren, wo ihr Vater Oberjägermeister des Herzogs von Bouillon, ihre Mutter Hofdame von Herzogin Charlotte Elisabeth von Orleans, Gemahlin des Philipp I. von Orleans und Mutter des nachherigen Regenten von Frankreich, war. Aber schon in ihrem vierten Jahre zog Franziska von Neuenstein mit ihren Eltern, welchen als Hugenotten durch die Glaubensverfolgungen des von Jesuiten und Maintenon gemißbrauchten alten und schwachsinnig gewordenen Königs Ludwig XIV. der Aufenthalt in Paris verleidet war, nach Stuttgart, wo der Vater Oberjägermeister des Herzogs Eberhard Ludwig von Würtemberg wurde. Die hochgebildete Mutter wurde die Lehrerin der Tochter, die sich auf überraschende Weise entfaltete. Franziska hatte von ihrem Vater die deutsche Gründlichkeit, von ihrer Mutter den französischen Enthusiasmus. Zu einer Zeit, wo in Deutschland die Kenntnisse des schönen Geschlechts der höheren Stände, selbst an den Höfen, selten über Gebetbuch und Katechismus hinausgingen, war Fräulein von Neuenstein in ihrem sechzehnten Jahre in allen schönen Wissenschaften bewandert. Und dabei besaß sie ein Herz, welches mit Recht ein Juwel genannt werden durfte.

Die jugendliche Prinzessin von Meiningen hatte gerade die rechte Empfängniß für ein Wesen, wie Franziska. Welch’ ein Leben begann nun für diese beiden keuschen, hochbegabten Seelen im einsamen coburger Schlosse! Wie ergänzten sie sich in einander und fluthend und flammend! Was kümmerte sie die widrige Sittenverderbniß an den meisten deutschen Höfen? Was die ärgerlichen Glaubenszänkereien? Sie lebten nur sich, der Kunst, der Poesie, der Natur. Es waren fünf selige Jahre, welche die beiden Freundinnen auf diese Weise genossen; es war das Paradies ihrer Jugend, und gerade die Abhängigkeit, in welcher sie von der dicken, stets im hohen Styl sprechenden Herzogin standen, erhöhte den Reiz ihres Lebens und wurde ihnen zur unerschöpflichen Quelle von Heiterkeit und Genuß.

Im Sommer 1729 wurde Louise Dorothee die Gemahlin des Erbprinzen Friedrich von Gotha und Altenburg, ihres Geschwisterkindsvetters.[2] Ihr Herz war bei dieser Wahl nicht befragt

  1. Siehe Gartenlaube 1856. Nr. 28.
  2. Es bat sich die Sage erhalten, die holde und geniale Prinzessin von Meiningen sei von ihrer Stiefmutter dem Großneffen derselben, dem Kronprinzen Friedrich von Preußen, zur Gemahlin bestimmt gewesen; die Partie habe sich aber an der Abneigung des Königs oder der Königin gegen eine solche Verbindung zerschlagen. Man kann sich des Gedankens nicht entschlagen: was würde aus Friedrich dem Einzigen geworden sein, wenn Louise Dorothee seine Gemahlin und die Mutter seiner Kinder geworden wäre! Und wie weit großartiger würde sich der preußische Staat, würde sich Deutschland entwickelt haben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_586.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)