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als sie den schönen Kopf der Prinzessin von Lamballe auf der Pike, als sie Vater, Mutter, Brüder auf’s Schaffot gehen sah, waren bittere Thränen, sie haben in ihren Augen ein Gift zurückgelassen, das sie früher oder später tödten muß. Und diese kranken Augen, die sich im Weinen geübt, haben in der Zeit der Noth Tage und Nächte lang, Jahre lang angestrengt auf der Hände Arbeit gesehen; sie müssen erliegen. Frau von Montercy steht noch in der Blüthe ihrer Jahre, als sich die ewige Nacht verhüllend, undurchdringlich, unzerreißbar und unbarmherzig auf sie herabsenkt. Sie erwacht eines Morgens und glaubt, es sei noch Nacht – es war Tag für alle Welt; für sie allein blieb die Nacht zurück; sie war auf beiden Augen erblindet.

So habe ich sie kennen gelernt. Da saß sie, wie das Bild der Sage. Ihr Auge war geschlossen für alle Dinge, die sie umgaben; aber ihr geistiger Blick war rückwärts gekehrt in die Vergangenheit, wie der Blick des „rückwärts gekehrten Propheten“, des Historikers. Stunden lang saß ich bei ihr, und sie erzählte und ich wurde nicht müde, ihr zuzuhören. Ihr Geist war bis in das späte Alter frisch geblieben, und die Vergangenheit wurde immer lebendiger in ihr, je mehr sie sich ihrem Ende näherte. Alles erlebte Leid konnte eine gewisse Heiterkeit, alles Drangsal eine hohe Klarheit ihres Geistes nicht verdunkeln. Die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts hatte sie gebildet und hatte sich im Laufe der langen Jahre, der langen Erfahrungen und mit den Fortschritten der Zeit selber größer und breiter in ihr ausgebildet. So kam es, daß diese Frau, die durch die Excesse einer Revolution so Unsägliches gelitten, doch den Segen der Freiheit zu würdigen verstand, und so habe ich noch das Wunderbarste aus dem Leben und Charakter dieser merkwürdigen Frau zu berichten: Sie war bis an den letzten Hauch eine Republikanerin! Ihre Aufopferung für die Vendéer wird dadurch nur noch erhabener; sie übte sie nicht, wie jene berühmten royalistischen Frauen der Chouans, aus Parteileidenschaft und politischer Ueberzeugung, sondern aus reinster liebevollster Menschlichkeit. Es waren die humanistischen, philanthropischen Grundsätze des achtzehnten Jahrhunderts, die sich in ihr zu solcher Menschlichkeit verklärten.

So ist es auch natürlich, daß sie die Ansichten und Vorurtheile ihrer Standesgenossen im Faubourg St. Germain nicht theilte. Die Welt, welche die große französische Revolution begraben, hielt sie für todt, und sie hoffte und wünschte ihre Auferstehung nicht. Niemand war beredter, als diese Tochter uralter Geschlechter, wenn sie die düstern Seiten der alten Zeit, die lichten der Gegenwart schilderte; wenn sie die Zukunft ausmalte, die sich noch immer aus den Grundsätzen von 1789 entwickeln könne. Von den blutigen Episoden der Revolution sprach sie mit derselben Einsicht, wie der Königsberger Philosoph, als von traurigen unglückseligen Einzelnheiten, die in der großen Weltgeschichte, im Angesicht der großen Triumphe der Gesellschaft, nichts zu bedeuten haben. War sie darum eine Verrätherin? Mußte sie darum ihre Freunde vergessen?

Sie starb am 13. Januar 1853, und ihre letzten Worte waren: „La pauvre princesse! la pauvre princesse!“ Die menschliche Klage über das traurige Schicksal der schönen Prinzessin Lamballe war der letzte Laut, der über die Lippen der edlen Dulderin, der guten und weisen Madame de Montercy ging. Ein solches Ende war ihrer würdig. Wir begruben sie an einem kalten Wintertage; ein kleines Häuflein meiner Freunde folgte ihrem Sarge, der auf dem Montmartre liegt. Kein Monument, kein Wappen schmückt die Grabstätte dieser letzten Tochter eines altberühmten Hauses.




Die einzige Eroberung des Königsteins.

Es war im Herbste des Jahres 1848, als ich die sächsische Schweiz und mit ihr auch den Königstein, jene interessante, 1400 Fuß hohe, im In- und Auslande allbekannte Felsenveste, besuchte. Mein Führer nannte mir die Unglücklichen, die hier gefangen gesessen, zum Theil auch ihr Leben verloren hatten, und eben standen wir an jener Stelle, wo der berüchtigte Alchymist Klettenberg die Schuld, einen Fürsten betrogen zu haben, mit dem Leben bezahlen mußte. – In tiefes Sinnen verloren, folgte ich meinem Begleiter. Jene Zeit, in der sich Aberglauben und Dummheit mit frecher Sittenlosigkeit paarte, stand lebhaft vor meiner Seele. Welche Finsterniß mag in den Köpfen geherrscht haben, als dieser freche Charlatan seinen König um einige Millionen Thaler ärmer machte! Welchen Dank verdienen nicht besonders die Männer, welche die Natur dem Volke verständlich zu –

„Und hier ist auch der Ort, wo im März dieses Jahres der Schornsteinfeger in die Festung eingestiegen ist.“

Mit diesen Worten weckte mich der Führer aus meinen Träumen auf. – Ich trat an die Brustwehr und schaute in die mehrere hundert Fuß messende Tiefe hinab.

„Wie ist das aber möglich? Wie kann ein Mensch an diesem steilen Felsen heraufklettern?“

„Ja, uns ist’s auch ganz unglaublich vorgekommen, und doch ist’s an dem. Sehen Sie, da in jener Felsspalte ist er heraufgestiegen, dort auf dem Vorsprunge außerhalb der Brustwehr hat er ausgeruht und dann ist er vollends hereingesprungen. Alles am hellen lichten Tage.“

Wieder sah ich in die Tiefe. Es durchrieselte mich eiskalt. – Die steile Felswand ist an dieser Stelle, es ist die dem Städtchen Königstein und der Elbe zugewendete Ostseite, gegen 400 Fuß hoch; mehrere Kirchthürme aufeinander gesetzt würden nicht heraufragen, und da ist ein Mensch herangekommen! –

Zehn Jahre später fuhr ich, von Prag kommend, mit dem Dampfschiffe der sächsischen Hauptstadt zu. Wieder sah ich den Königstein und gedachte seiner seltsamen Ersteigung. Ich trat an die Brüstung des Dampfbootes und maß mit den Augen die Höhe des Felsens. Fast wollte mir’s vorkommen, als habe ich ein Märchen erzählen hören. Neben mir stand ein junger Mann und schaute ebenfalls zur Festung hinauf. Zu ihm wandte ich mich:

„Halten Sie es für möglich, jenen Felsen zu ersteigen, ohne auf dem gewöhnlichen Wege hinaufzugelangen?“

„Warum nicht? Vor zehn Jahren habe ich den Versuch selbst gewagt.“

Erstaunt sah ich meinen Nachbar an. Seine Gestalt war klein, aber kräftig; er mochte etwa dreißig Jahre alt sein. Ich glaubte, er habe mich nicht recht verstanden, und erklärte ihm, daß ich den Königstein meine.

„Ganz recht, gerade von hier aus kann ich Ihnen die Spalte zeigen, in der ich hinaufgeklettert bin.“

„Sie sind also der Schornsteinfeger, der –“

„Ja wohl, der bin ich, und wenn Sie mich anhören wollen, so erzähle ich Ihnen die ganze Geschichte.“

Mit großem Danke nahm ich dies freundliche Entgegenkommen an. Wir rückten unsere Sessel zusammen, brannten frische Cigarren an und mein Nachbar begann:

„Ueber meine erste Lehrlings- und Gesellenzeit brauche ich Ihnen wohl nicht viel erzählen. Die Schornsteinfegerjungen sind alle wilde und verwegene Buben, ich aber war einer der wildesten und übertraf sie alle an tollkühnen Stückchen. Meine Meister konnten mich wohl gebrauchen, aber meine tollen Streiche gefielen ihnen weniger, und so war ich denn viel auf der Wanderschaft. So war’s denn auch im Jahre 1848. Die Eltern waren mir inzwischen gestorben; wollte ich nicht hungern, so mußte ich Arbeit suchen. Eben wurde die sächsisch-böhmische Eisenbahn gebaut, da wollte ich mit helfen und bekam auch hier im Städtchen Königstein Arbeit zugesichert. Gänzlich ohne Geld war ich Sonnabends angekommen, und erst künftigen Montag sollte das Verdienen beginnen. Wovon einstweilen leben? Mit vieler Mühe gelang es mir endlich, im Gasthofe ein Unterkommen zu finden und gegen Abgabe meines Passes etwas Essen zu erhalten. Mit schwerem Herzen schlief ich auf meiner Streu ein.

„Bei meinem Erwachen fand ich mich von meinen Schlafgenosscn verlassen. Es war ziemlich spät; die Glocken läuteten bereits in die Kirche. Ich hatte nichts zu versäumen und überlegte, wie ich den Sonntag verbringen wollte. In die Gaststube wagte ich mich nicht, weil ich nicht bezahlen konnte – leise schlich ich mich in das Freie, um mir die Gegend genauer anzusehen. Vor mir lag die Festung und erregte meine vollste Aufmerksamkeit. Ich stieg darauf los und fragte die mir begegnenden Leute, ob man in die Festung dürfe. Wer Bekannte oben habe, hieß es, oder 1 Thlr. 10 Ngr. zahle, der könne hinein. – Mir fehlte das Eine, wie das Andere; ich begnügte mich deshalb mit der äußeren Ansicht

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