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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 1. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Vorwärts.

Jeder lebt sein eig’nes Leben,
Jedem schlägt sein eigen Herz;
Wie die Stunden drin es weben,
Wird es seine Lust, sein Schmerz.

Vorwärts! Vorwärts! Es bestehet
Nur was in sich selbst bewährt.
Was im Leben untergehet,
Ist des Lebens nicht mehr werth.

Vorwärts! Vorwärts! Denn verloren
Ist die Thräne, die ihm fällt:
Alles, was aus Gott geboren,
Ueberwindet auch die Welt.

Frisch an’s Werk und reg’ die Hände,
Schaffe rüstig für und für;
Wahrlich! Wahrlich! und am Ende
Liegt die Welt zu Füßen Dir.




Die Huberbäuerin.
Aus dem bairischen Gebirge. Von H. Schmid.
1.

„Gib mein’ lieben Mutterl und allen christglaubigen Seelen die ewige Ruh’, und das ewige Licht leuchte ihnen – Herr, laß sie ruhen im Frieden – Amen!“ so schloß ein hübsches, aber sehr bleich aussehendes Bauermädchen sein Nachtgebet, indem sie Stirne, Mund und Brust andächtig mit dem Kreuze bezeichnete. Gleichzeitig erhob sie sich, schob den hölzernen Stuhl, vor dem sie gekniet hatte, bei Seite, setzte den Wachsstock auf den nebenan stehenden Schrank und wollte eben das alte Gebetbuch schließen. Da fielen die Blätter etwas über, und zwischen den großbedruckten gebräunten Seiten wurde ein dürres Kleeblatt sichtbar.

Das Mädchen hielt einen Augenblick inne und betrachtete das Blatt, während über ihr vom kleinen Wachslicht schwach beleuchtetes Gesicht etwas gleich einer wehmüthigen Bewegung glitt. „Was thust Du noch da?“ fragte sie halblaut vor sich hin. „Hab’ gemeint, der Wind hätt’ Dich schon lang mitgenommen und verweht, wie dieselbe Zeit, wo Du grün gewesen bist! – Flieg ihr nach nun … Du gehörst nicht recht herein mehr unter die frommen Sprüche und Gebeter …“ Damit blies sie das Wachslicht aus, trat an das kleine niedrige Fenster und ließ das Kleeblatt in die Sommernacht hinaus fallen, die schwarz und lautlos über der Gegend lag.

Eine geraume Zeit starrte sie in das Dunkel hinaus, und ließ sich die Nachtluft um Stirne und Hals wehen. Sie kam kühl aus den Tiefen herauf, vom Moore her, das unten sich so schwarz hinstreckte, daß es trotz der Nacht zu erkennen war. Drüber hinaus stiegen Hügelreihen auf, mit finsteren Tannenwäldern und hie und da einem Gehöfte besetzt, dessen weiße Wände weithin leuchteten. Nirgends aber war eine Spur von Leben wahrzunehmen, und wenn manchmal ein Laut hörbar wurde, war es das Rauschen vom fernen Mühldamme, das manchmal ein Windstoß herüber trug. „Es ist doch recht einsam da heroben in der Einöde,“ flüsterte Rosel „und man könnt’ sich fast fürchten … Aber ich will machen, daß ich auch in’s Bett komme, es muß bald Mitternacht sein …“ Leise schloß sie das Fenster und trat an’s Bett, um sich niederzulegen, hielt aber plötzlich inne.

„Ich bin doch ein dummes, fürchtiges Ding,“ lachte sie dann halblaut vor sich hin, „jetzt wäre es mir in meiner Einbildung fast vorgekommen, als wenn ich was hätte krachen hören im Hause …“

Sie hatte kaum ausgesprochen, als sich das wahrgenommene Geräusch wieder hören ließ und zwar so bestimmt, daß von einer Einbildung oder Täuschung nicht mehr die Rede sein konnte. Deutlich vernahm man das Krachen von Holzpfosten, dazwischen schwere dumpfauffallende Schläge, verworrenes Geräusch roher Männerstimmen, mitunter auch den kreischenden Hülferuf einer Weiberstimme.

„Heilige Mutter von Oetting,“ schrie Rosel entsetzt, „das ist die Stimm’ von der alten Bäurin … da gibt’s ein Unglück! Das sind Schelmenleut’, die im Hof’ eingebrochen sind.“

Halb entkleidet wie sie war, sprang sie zur Kammerthüre hin, riß sie auf und taumelte betroffen zurück, denn vom Hausgange her und die Treppe herauf loderte ihr die Helle von Kienfackeln entgegen. Beim Scheine derselben sah sie einen großen Mann in bäurischer Kleidung stehen, der in der einen Hand die Fackel empor hielt, mit der andern sich auf eine große Holzaxt stützte. Er schien als Wache an die Stiege gestellt zu sein, und wie er, durch das Knarren der Thüre aufmerksam gemacht, das heraustretende Mädchen bemerkte, sprang er mit hochgeschwungenem Beile auf sie zu.

„Rühr’ Dich nicht, oder Du bist hin,“ rief er ihr zu, und Rosel gehorchte wider Willen, denn vor Schrecken war ihr die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_001.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2021)