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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)


„Sehn Sie dort drüben am Fuße des Gehänges, auf dem das Brandlgut liegt, die große Ackerbreiten? Die ist mein, ich hab’ dort Weizen stehen gehabt, der war geschnitten und lag zum Einführen da. Weil’s nun gestern Abend so aussah, als bekämen wir bald nasses Wetter, hab’ ich meinen Leuten ein Fässel Bier für die Extra-Arbeit versprochen, und so sind wir noch Nachts Alle hinüber und haben den Weizen hereingebracht, Gott sei’s gedankt, trocken und schön, daß es eine Freude ist. Wie wir den ersten Wagen vollgeladen hatten, sind ich und der Hans damit heimgefahren, wie wir aber gegen den Hügel kamen, wo’s aus dem Moor herausgeht, da haben wir’s in der Finsterniß versehen, der Wagen ist umgefallen und wir mußten mit den Pferden zurück, um Leute und einen andern Wagen zu holen. Bis wir das halbe Stündel zurückkamen, ging gerade das Läuten los beim Brandl, und meine Leute sind unter den Ersten gewesen, die gerade recht gekommen sind, die Thür zuzumachen, wie die Kuh aus dem Stall’ war.“

Der Beamte schwieg nachsinnend; der Gerichtsdiener aber drehte die Spitzen seines Schnurrbartes steif hinauf und grunzte wieder wie zuvor. „Das ist wahr,“ sagte er dann. „Ich bin gerade heimgeritten vom Dorfner Jahrmarkt, und dachte Wunder schon, was ich für einen Fang gemacht hätte, als ich sah und hörte, daß sich unten im Straßengraben ’was rühre. Da war’s die Frau Hubern mit ihrem Knecht, die sich vergebens abplagten, den umgestürzten Getreidewagen wieder in die Höhe zu bringen. Bin auch abgestiegen und habe mitgeholfen, aber unser Einer versteht das nicht.“

„Sonderbar! Sehr sonderbar!“ meinte der Assessor, immer nachdenklicher. „Es müssen Leute von großer Schlauheit sein oder sie stecken an einem Orte, wo es Niemand einfällt, sie zu suchen! Aber immerhin, auch diese Bösewichter wird die Hand der Gerechtigkeit noch ereilen: es ist nichts so fein gesponnen, es kommt an die Sonnen!“

Damit grüßte er und befahl, weiter zu fahren. Die Bäuerin grüßte entgegen und blieb nachblickend stehen, bis der Wagen mit seiner Begleitung hinter der nächsten Heckenreihe verschwunden war. Ueber dieselbe hinüber hob sich der rothe Gerichtsdiener noch einmal aus dem Sattel empor und grüßte und grunzte zurück so freundlich, als er es zu Stande brachte.

Schon bei der letzten Rede des Beamten war über das schöne Gesicht der Huberin eine Bewegung geflogen, die ihm einen stark höhnischen Ausdruck gab. Dieser wuchs noch, als Alles verschwunden war und sie im Umwenden dem stumpfen Lächeln ihres Mannes begegnete, der wieder brütend und hinstarrend wie zuvor auf der Bank saß. Rasch aber glitt ihr Blick auf den Knecht, der in der Thüre hinter ihm stand; er war noch bleicher als zuvor, bis in die Lippen hinein, und mußte sich, wie vom Schwindel befallen, am Thürgerüst anhalten.

Im Begriffe, in’s Haus zu treten, wendete sie sich nochmals um und rief ihrem Manne zu: „Es ist mir nun schon zu spät, um noch in die Kirche zu gehen! Ich will nach der Küche sehen, und Du kannst immer allein Dich auf den Weg machen …“

„Mag nicht allein“, sagte der Bauer, ohne sich von der Stelle zu regen und nach der Seite hin knurrend. „Will auch daheim bleiben.“

„Nein, Eines von uns muß in der Kirche sein,“ erwiderte die Bäuerin gebieterisch „Es ist der Leute wegen. Also zieh’ Deinen Rock an, nimm Deinen Hut und mach’ daß Du fort kommst.“

Der Bauer regte sich immer noch nicht und zeigte keine Lust, zu gehorchen. Da trat die Huberin hart vor ihn, richtete ihre schwarzen funkelnden Augen auf ihn und fragte halblaut: „Muß ich Dir noch einmal sagen, daß Du gehen sollst?“

Der Bauer wurde unruhig; er vermochte den gespannten Blick des Weibes nicht zu ertragen, den er auf sich lasten fühlte, wenn er ihm auch nicht mit dem Auge zu begegnen vermochte. Furchtsam und scheu erhob er sich dann und murrte: „Du siehst ja, ich geh’ schon, Urschi, Du brauchst mich nicht so anzufahren." Damit drückte er sich hastig an ihr vorüber in’s Haus hinein und verschwand in der Wohnstube.

Die Bäuerin ging ebenfalls in’s Haus und, ohne ein Wort zu sprechen, an dem jungen Knechte vorüber, der noch immer wie angemauert am Thürgerüst lehnte – aber im Vorbeigehen winkte sie ihm schnell und unmerklich mit den Augen. Dann stieg sie die Treppe zum obern Geschoß des Hauses hinauf.

Der Knecht blieb noch eine Weile wie nachdenkend stehen; dann wandte er sich hastig und eilte dem Nebengebäude zu, in welchem sich der Heuboden befand, das aber an die Rückseite des Wohnhauses angebaut war.

Einige Augenblicke nachher trat auch der Bauer aus dem Hause und eilte, ohne sich umzusehen, den Hügel hinunter dem Kirchwege zu.

(Fortsetzung folgt.)




Die neueste Nordpolfahrt des Capitain M’Clintock.

Die Reisen zur Aufsuchung einer nordwestlichen Durchfahrt, die von den seefahrenden und handeltreibenden Mächten schon nach der Entdeckung Amerika’s unternommen wurden, sind auch in späterer Zeit noch stets fortgesetzt worden, und je mehr man die Ueberzeugung gewann, daß eine solche Durchfahrt, die den atlantischen und stillen Ocean verbinde, existiren müsse, um so eifriger verfolgte man die auf die Entdeckung derselben zielenden Unternehmungen. Der Vortheil einer directen Verbindung mit Asien, wohin man von der alten Welt nur um Amerika herum gelangen konnte, war zu einleuchtend, als daß man den zwischen beiden Ländern in der Polargegend liegenden Weg nicht hätte aufsuchen sollen, und so sind zu diesem Zwecke die Erforschungsexpeditionen in der Neuzeit nicht weniger betrieben worden, als es vor Jahrhunderten der Fall gewesen, wo im Nordosten Amerika’s die Entdeckung der Hudsonsbai, Davisstraße, Baffinsbai, des Lancastersunds und Eismeeres des Nordpols erfolgte. Die Behauptung, daß letzteres in einer gewissen Zeit eisfrei sei, war Ursache, daß die englische Regierung den Plan der Auffindung jener Durchfahrt mit um so größerem Eifer verfolgte, und sie setzte, um Expeditionen hervorzurufen, für den Ersten, welcher auf dem nordwestlichen Wege in den großen Ocean gelangte, eine Belohnung von 20,000 Pfund Sterling aus. Dies war das Signal zu den Nordpolreisen.

Zwischen der ersten Nordpolreise, welche Parry, der ältere Roß und Buchan 1818 unternahmen, und der letzten, von der M’Clintock vor kurzem zurückgekehrt ist, liegt ein Zeitraum von mehr denn vierzig Jahren. Indem man während dieser Zeit von drei Richtungen her vordrang, zu Lande von den Ländern der Hudsonsbaigesellschaft gegen Norden, auf der pacifischen Seite durch die Behringsstraße gegen Osten, und auf unserer Seite durch den Lancaster-Sund gegen Westen, überzeugte man sich mehr und mehr, daß man einem Schatten nachjage, wenn man auf eine irgendwie benutzbare Durchfahrt rechne. Das wissenschaftliche Interesse blieb, namentlich seit die antarktischen Reisen die Vermuthung zu bestätigen schienen, daß an den beiden Polen unserer Erde eine völlig verschiedene Vertheilung von Land und Wasser stattfinden werde. Man suchte nun möglichst hohe Breiten zu erreichen, und noch 1827 hielt Parry ein Vordringen bis zum Nordpol selbst für möglich. Er versuchte es mit Schlitten, traf jedoch hinter dem glatten Eise, das sich nach seiner Meinung bis zum Pol erstreckte, auf lose, rauhe und oft dünne Massen, die von einer Menge offener Canäle durchschnitten wurden, und mußte unter 82° 45’ nördlicher Breite umkehren. Nach diesem Mißlingen trat er von den Nordpolreisen ganz zurück. Wie er am weitesten gegen Norden vorgedrungen ist, so hat er auch den Weg zu der Insel Melville gezeigt, welche die nördliche Küste der Banksstraße, oder mit andern Worten der nordwestlichen Durchfahrt, bildet.

Sir John Franklin wurde gleich bei den ersten Nordpolreisen beschäftigt. Er war 1818 ein junger Mann von zweiunddreißig Jahren, hatte aber seinen Namen bereits mit großen Ereignissen verbunden, mit der Beschießung von Kopenhagen, mit der Schlacht von Trafalgar und mit jenem ewig denkwürdigen Gefecht in der Straße von Malakka, in dem ein blos aus bewaffneten Kauffahrern bestehendes Geschwader der Engländer eine französische Kriegsflotte unter Admiral Linois in die Flucht schlug. Franklin hatte Cumberlandhouse zum Ausgangspunkte genommen und erreichte im Juli 1820 die arktische Küste des amerikanischen Festlandes. Seine Rückreise war die furchtbarste, die ein Entdecker in diesen Breiten bisher erlebt hatte. Die Kälte erreichte einen solchen Grad, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_004.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)