Seite:Die Gartenlaube (1860) 010.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

die Vaterstadt der beiden Damen, erinnerten. Ich erinnere mich nur noch sehr deutlich, daß der unsichtbare Schriftsteller einmal „Mättchen“ statt „Mädchen" schrieb. Was den Inhalt seiner Mittheilungen betraf, so brachte er nur wenig Wissenswürdiges, überhaupt nichts, was nicht auch durch menschliche Wissenschaft, durch fleißiges Umherlaufen in der Stadt und einiges Talent zum Ausfragen und Klatschen zu sammeln und zu ergründen gewesen wäre. Meine Neugierde nahm ab, und ich begriff nun wohl, daß ich mich geirrt, und der Tänzer andere triftigere Gründe haben müsse, das Haus der Schwestern stets so fröhlich zu verlassen. Sehr artig dankte ich den Damen für ihre gütigen Operationen und bat nur noch, die unsichtbare psychographische Kraft auf die Probe stellen zu dürfen. Als die Damen Erlaubniß ertheilt hatten, that ich nichts weiter, als daß ich die Tabelle des Alphabetes verkehrt vor das Medium legte, indem ich auseinandersetzte, daß für den unsichtbaren Beantworter unserer Fragen es weder ein Oben, noch Unten, weder ein Rechts, noch Links geben könne. Sehr verstimmt ging das Medium wieder an die Arbeit, allein auch ich hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Oben und Unten waren dem Unsichtbaren keinesweges gleichgültig. Anfangs ging die Schreiberei sehr langsam, Irrthümer kamen vor, einzelne Buchstaben wurden ausgelassen; endlich trat eine gänzliche Stockung ein. Die Damen behaupteten, ich gehöre zu den abscheulichen Ungläubigen, und in Gegenwart solcher bösartigen Menschen weigere sich der Psychograph entweder weiterzuschreiben, oder werde ganz kleinlaut und schwach. Ich räumte daher das Feld, und ging nach Hause. Bald darauf sagten sich aber auch die beiden Schönen von dem dämonischen Instrumente los und verheiratheten sich an zwei reiche Kaufleute. Ich fragte die Wittwe Braut an ihrem Polterabende, ob sie sich noch mit dem Psychographen beschäftige, und erfuhr, daß er ihre Verlobung richtig vorausgesagt habe, ihr von jetzt aber unnöthig geworden sei, da sie zu viel mit der Gegenwart zu thun habe, um an die Zukunft denken zu können.

Bald darauf machte ich eine Visite bei einer mir befreundeten Familie aus Paris und fand die Frau vom Hause mit ihrem Gemahle und einigen courmachenden Freunden eben im Begriff, eine Excursion nach einer benachbarten Wohnung von Bekannten zu machen, wo ein kräftiger Psychograph spielen sollte. Ich wollte mich verabschieden, allein die reizende Frau, welche nie Begleiter und Dienstfertige genug um sich haben konnte, befahl mir gebieterisch, sie zu begleiten. Als wir zu den Leuten kamen, war das betreffende Medium eben ausgegangen, und die Mutter desselben bedauerte, daß ihr selber die Natur die nothwendige Wunderanlage versagt habe. Zu der That sah die alte Frau vollständig mediatisirt aus. Eine junge Pariserin weiß indessen allen Hindernissen zu begegnen; meine Beschützerin entschloß sich unverzüglich selbst den Versuch zu machen, ob sie unter die Media gehöre. Sie hatte sich nicht sobald an den Psychographen gesetzt und die Hände auf das Gestell gelegt, als das galante Instrument anhub, die niedlichen Texte zu den Chansons zu schreiben, mit denen uns die kleine Sirene so oft nach dem Thee unterhalten hatte. Nun wurden von den Herren allerlei scherzhafte Fragen aufgeworfen, und der Psychograph beantwortete sie in französischer Sprache mit einer Eleganz des Witzes, der mir den größten Respect vor dem Esprit des Vitalismus einflößte. Offenbar war diese Naturkraft höchst vielseitig. Hatte sie in meiner Nachbarschaft unter den Händen der beiden Schwestern geantwortet, wie ein biederer Frankfurter a. M., so trat sie hier als höchst gewitzte Saloncreatur der Vorstadt Montmartre auf. Allmählich nahmen wir Alle Theil an der psychographischen Unterhaltung und machten demnächst, erheitert durch den glänzenden Muthwillen des Geistes, eine Spazierfahrt nach Charlottenburg.

In dieselbe Zeit fällt auch die erste öffentliche Vorlesung, welche über den Psychographen gehalten wurde. Veranstalter derselben zu einem wohlthätigen Zwecke war der Obristlieutenant von Forstner, ein würdiger alter Herr, der noch heute zu den Strenggläubigen der Psychographie gehört und in den Mittheilungen über die esoterischen Zusammenkünfte stets als Zeuge genannt wird. Im Saale des englischen Hauses, für gewöhnlich dem Schauplatze von Festessen und billigeren Concerten, war ein Katheder aufgestellt, um das sich eine zahlreiche Gesellschaft geschaart hatte. Wahrscheinlich war sie in Erwartung von Versuchen gekommen. Herr von Forstner begnügte sich indessen nur mit einem erläuternden Vortrage, stellte jedem Einzelnen beliebige Privatversuche anheim und endete mit einer Vorlesung verschiedener durch den Psychographen angefertigter Gedichte, deren Schlechtigkeit aber nicht übernatürliche Hülfe und Inspiration annehmen ließ. Nach einer Stunde trennte man sich sehr unzufrieden. Hier und da besprach ein Blatt die melancholische Vorlesung; dann verschwand die Psychographie fast ganz aus der öffentlichen Beachtung. Desto mehr griff sie in gewissen Kreisen im Stillen um sich. Gewiß lag für scharfsinnige, psychographisch strebsame Personen der Gedanke nahe, daß nicht das Instrument selber, sondern gewisse Geister Antwort ertheilten; man stellte sofort die nöthigen Recherchen an, und siehe da! wirklich waren es Geister, eine neue Berliner Magie war erfunden. der magere, an den Tisch geschraubte Storchschnabel, den Jeder für drittehalb Thaler per Post von dem Rendanten Herrn D. Hornung beziehen konnte, wurde ein Schlüssel zu Himmel und Hölle, und für eine Anzahl alter Herren, welche der Sorge für Erwerb und Angehörige enthoben sind, fand sich eine dankenswerthe Beschäftigung. Der Psychograph war aus einem müßigen Schwätzer und boshaften Stadtklätscher ein Geisterbeschwörer geworden; was war das Punctirbuch, die Rhabdomantie, die Wahrsagerkarte gegen ihn? mittelst einiger trockenen Spähne und Buchstaben citirte man mit Leichtigkeit den ersten besten Geist.

Die erste Nachricht von modernen Beschwörungen erhielt ich auf einer Kaffeegesellschaft, die leider in meiner eigenen Wohnung gegeben wurde. Eine alte, sehr fromme Dame erzählte, daß ihre Nichte, ein junges Mädchen von vierzig Jahren, bei ihren psychographischen Uebungen neuerdings von mehreren Geistern besucht werde, deren Angaben ihnen viel zu denken gäben. Wie es in solchen Cirkeln zu gehen pflegt, entspann sich gleich eine etwa achtstimmige fugirte Debatte darüber, und da keine Stimme durchdringen konnte, ging man in den beliebten Schlußchor über, der von Moden und Dienstmädchen handelt. Ich für mein Theil nahm die alte Dame bei Seite und verwickelte sie in ein Gespräch über die Aufschlüsse der Geister. Sie theilte mir mit, daß ein Großvater der Nichte, ein alter Herr aus dem siebenjährigen Kriege, nicht allein Vieles wisse, sondern auch nicht im Mindesten zurückhaltend in der Verbreitung seiner Kenntnisse sei. Nachdem sich einige absichtlich aufgeworfene leichte Zweifel hatte widerlegen lassen, bekannte ich, daß mir viel daran liege, über das Ende meines jüngsten Bruders, der nach Amerika ausgewandert und auf der Rückkehr durch die Prairie zwischen St. Louis am Mississippi und Milwaukee jämmerlich umgekommen sei, etwas Näheres zu wissen. Möglicher Weise sei der Herr Großvater nicht abgeneigt, sich mit dem Geiste meines armen Bruders in Verbindung zu setzen und mich dann des Näheren zu belehren. Zugleich bat ich die ganze Sache mit äußerster Verschwiegenheit zu behandeln, und lehnte bestimmt ab, bei dem Versuche der Citation anwesend zu sein, da ich für die physische Beschaffenheit der verehrlichen Media nichts Förderliches, sondern eher etwas Störendes in mir trage. Bitte und Ablehnung der Zeugenschaft waren Wasser auf die Mühle des alten Frauenzimmers. Sie versprach, ihre Nichte in Kenntniß zu sehen und mir später Nachricht von dem erzielten Resultat zu geben. Nach einer Woche lud mich die gute Mama ein, sie zu besuchen. Nicht so bald war ich eingetreten, als die Nichte, sonst ein gar gutes Wesen, mit freudestrahlenden Blicken mir entgegenflog und mir erzählte, daß die Stimme des Großvaters ihr verkündet habe, mein jüngster Bruder sei an dem Bisse einer Klapperschlange gestorben, habe übrigens einen leichten Tod gehabt und gehöre zu den seligen Geistern. Dann tranken wir gemeinsam Kaffee, sprachen Manches über die Abenteuersucht der armen jungen Leute und trennten uns gerührt. Nun muß ich aber, auf die Gefahr hin von allen Psychogräphlern für den verworfensten Schurken gehalten zu werden, bekennen, daß ich den lieben Weiblein eine abscheuliche Falle gestellt hatte. Mein Bruder, der Auswanderer, lebte noch in voller Blüthe der Gesundheit, hatte den kühnen Marsch durch die Prairie glücklich vollendet, war dann, amerikasatt, wieder nach Europa heimgekehrt und leistete augenblicklich seiner Militairpflicht in Danzig bei dem ersten Artillerie-Regimente als Bombardier Genüge, eine Thatsache, an der kein Geist Zweifel erheben konnte, zumal ich die Postscheine über die von mir monatlich an ihn geschickten Unterstützungsgelder sorgfältig aufbewahrte. Weil aber die alte Dame inzwischen gestorben ist, glaube ich nicht länger verpflichtet zu sein, dieses Intermezzo zu verschweigen.

Meine Neigung, die Psychographie zu studiren, war begreiflicherweise durch die gründliche Auskunft des Großvaters der Nichte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_010.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)