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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und doch auch wieder in der alten Markigkeit seines Charakters zeigt, finden wir in den Sterbetagen seiner dreizehnjährigen Tochter Magdalena.

Das schwerkranke Kind lag im Sterben. Still weinend warf sich der Vater neben das Bette des frommen Kindes auf die Kniee und betete, mit Liebe und Schmerz ringend, um die Auflösung der Kranken. „Ich habe sie so sehr lieb,“ rief er, „aber lieber Gott dort oben, wenn es Dein Wille ist, so will ich sie gern bei Dir wissen!“ Darauf beugte er sich über das Bett des leidenden Kindes und indem er ihre Wangen strich, fragte er leise: „Magdalenichen, mein Töchterlein, bliebest Du gerne hie bei Deinem Vater, oder ziehest auch gern zu jenem Vater?“

„Ja, herziger Vater,“ antwortete das Kind und schlang die matten Arme um seinen Hals, „wie Gott will!“ – Da brach sein Schmerz in helle Thränen aus, er wandte sich ab, um dem Kinde seine Bewegung zu verbergen, und schluchzte: „O Herr, wie habe ich sie so sehr lieb! Und dennoch, wir leben oder sterben, so sind wir dein! –“

Als nun das letzte Stündlein des Kindes gekommen – es war am 20. September 1542, – seine Gattin, die liebe Käthe, in einer Ecke des Zimmers saß und das mit Thränen überfluthete Antlitz in den Händen verbarg, weil sie den Jammer nicht mit ansehen konnte, da warf der gebeugte Vater sich wieder vor das Bett auf die Kniee und betete, daß Gott es wolle erlösen – bald, recht bald! Dann umfaßte er das Töchterlein mit beiden Armen und legte seine Wangen an die ihren und suchte ihr den letzten Kampf zu erleichtern, obwohl ihm fast das Herz dabei brach. Ihr letzter Blick galt dem Vater!

Zwei Tage später lag die Todte, von Blumen überdeckt, im Sarge, in einem Gewölbe des Unterhauses. Als die Leichenträger und Leidtragenden kamen und dem armen Vater ihr Beileid bezeigen wollten, ergriff er die Hand des Einen und sagte in seiner milden Weise: „Ihr solltet nicht klagen, denn ich habe eine Heilige gen Himmel geschickt! O hätten wir Alle einen solchen Tod!“

Dann begab er sich still und allein hinunter in den kleinen Raum, wo jetzt sein Töchterlein die letzten Augenblicke im elterlichen Hause verschlief, öffnete den Sarg wieder und weidete sich zum letzten Male an dem Anblick des lieben Kindes, das nicht mehr, wie sonst, ihm sein „herziger Vater“ zurufen konnte. Für seinen Schmerz gab es keine Worte! „Du liebes Lenichen, wie wohl ist Dir geschehen!“ sagte er nur leise weinend, küßte noch einmal den kalten Mund und beugte dann seine Kniee zu einem Gebet um Trost und Kraft in seinen Leiden.[1] Gestärkt erhob er sich und schloß dann für immer das kleine Haus seines Lieblings. Als er wieder hinauf zu den Seinen kam, tröstete er sie und sagte: „Mein Kind ist nun wohlbeschicket, sowohl an Leib, als an Seele!“ Seiner Frau, der weinenden Kathi, sagte er tröstend: „Ein wunderbares Ding, zu wissen, daß sie in Frieden und ihr wohl ist und daß wir doch so traurig sind.“

Dann gab er ruhig Befehl sein Töchterlein hinauszutragen auf den stillen Friedhof.




Der alte wandernde Spielmann.
Von Ludwig Storch.

Der regierende Herzog von Coburg-Gotha[WS 1] nimmt bekanntlich eine ehrenvolle Stelle unter den Tondichtern der Gegenwart ein. Eine brillante Oper um die andere geht aus seiner musikalischen Schöpfungskraft hervor; seine Hofkapelle und sein Hoftheater sind reich an tüchtigen Talenten. Es ist natürlich, daß musikalische Capacitäten aller Art in den Wintermonaten nach Gotha, in der übrigen Zeit nach Coburg strömen, wo eben Kapelle und Theater wirken, und entweder vom Herzog eingeladen, oder sich ihm offerirend ihr Licht vor ihm und dem Publicum leuchten lassen, oder wenigstens den Versuch dazu machen.

Es fehlt in den beiden Residenzen zur angegebenen Zeit selten an tüchtigen herzugewanderten musikalischen Kräften; denn die Musik, namentlich der Gesang liebt es ja, auf die Wanderschaft zu gehen. Die Virtuosen gleichen den Zugvögeln, nur daß sie nicht so naiv und harmlos sind wie diese, und sich gern von einem fürstlichen Liebhaber einfangen lassen.

Schwerlich nimmt irgend ein Glied dieses wandernden Virtuosenthums, das jährlich in den beiden thüringischen Städten einkehrt, Kenntniß von einem eingebornen musikalischen Genie, das auch vom Virtuosenwandertrieb beseelt, demselben in ganz anderer Weise als sie und in sehr origineller genügt. Und doch wäre dieser Mann, jetzt ein dreiundsiebzigjähriger Greis, werth, daß sie ihn beachteten und ehrten, ja sie könnten sogar noch viel, sehr viel von ihm lernen, was ihnen in Bezug auf ihre Kunst zum Nutzen und – wenn sie wirkliche echte Talente sind – zur künstlerischen Erhebung dienen könnte. Denn der alte wandernde Spielmann ist ein Träger jenes regenbogenfarbigen warmen Lichtstrahls, der harmonisch tönend aus dem Feuerrohr des Prometheus hervorzuckte, er ist ein echter musikalischer Genius, und die von ihm geschaffnen Tonstücke haben Millionen zartfühlender Seelen entzückt; sein Name ging weit über die Grenzen Deutschlands hinaus; er war ein in der ganzen civilisirten Welt gefeierter.

Es sind Jahre her, ich weiß nicht wie viel, als die auf dem Hoftheater in Gotha mit großem Beifall aufgetretene bekannte Sängerin S. mich aufsuchte. Ich machte einige Ausflüge mit ihr in die reizende Gebirgslandschaft. Auf einem derselben sah ich einen Mann mit einem kleinen Papierpäckchen unter dem Arme in ärmlicher Kleidung auf der Straße vor dem Wagen in derselben Richtung gehen. Ich erkannte ihn von weitem von hinten. Sie ist ja nicht zu verkennen, die eigenthümliche Gestalt, und ich glaube, im südwestlichen Thüringen kennt sie jedes Kind eine Viertelstunde weit von allen Seiten. Ich würde sie an ihrem Schatten erkennen; denn sie ist mir zum unentbehrlichen Bestandtheil der vaterländischen Gegend geworden, gleichsam zur nothwendigen Staffage der Landschaft. Und gewiß mir nicht allein. Mehr oder minder mag es allen thüringischen Landsleuten jener Gegend so ergehen. Diese Gestalt ist uns Allen eine liebe Gewohnheit, eine autotypische Erscheinung, wie Berg und Fels, Kirchthurm und Wirthshaus.

Ich flüsterte meinem Gaste schnell zu: „Sehen Sie sich den Mann, der vor uns geht, recht an. Er verdient Ihre Aufmerksamkeit im höchsten Grade.“

Wir holten ihn schnell ein; ich ließ halten. Das alte, liebe gutmüthige Gesicht mit den feinen scharfgeschnittenen Zügen, mit den blauen, träumerischen Augen lächelte uns einen freundlichen Gruß zu. Ein etwas gebückter Mann von mittler Größe, salop gekleidet, wie immer, mit einem schönen Kopfe, ausdrucksvollen Zügen, hoher gewölbter Stirn, von weichen blonden Locken umflogen. Er redete mich mit weicher sonorer Stimme an. Ich bot ihm einen Platz im Wagen an; er schlug ihn aus, er wollte sich im nächsten Dorfe verweilen. Das Papierpäckchen belehrte mich, was er dort zu verrichten hatte. Doch versprach er mich auf dem Heimwege zu besuchen.

Als wir weiter fuhren, fragte meine Dame: „Wer ist dieser Mann? Sein Habitus, namentlich sein Kopf und seine Züge haben mir imponirt. Das ist kein gewöhnlicher Mensch, und gerade seine ärmliche Kleidung bestätigt meine Vermuthung.“

„Meinen Sie?“ versetzte ich lachend. „Nun, er ist ein wandernder Musikalienhändler. In dem Päckchen trägt er neue Noten, geschriebene, gedruckte. Er besucht den Pfarrer, den Schullehrer, den Schulzen, vielleicht auch noch andere Dorfhonoratioren. Die kaufen ihm etwas ab. Er ist überall gern gesehen. Die Hausfrau behält ihn zum Frühstück, zum Mittagsbrod, der Hausherr trinkt ihm freundlich zu. Dann geht er weiter, schlicht, genügsam, heiter. In den Gasthöfen wird ihm die Zeche klein gemacht; oft gibt ihm der Wirth statt der Rechnung die Hand und wünscht ihm glückliche Reise und gute Geschäfte. So wandert er durch das Land.“


  1. Diese Scene ist es, die unser Künstler zur Darstellung gebracht hat. Die wunderbar erschütternde Wirkung des Bildes beruht hauptsächlich in seiner Einfachheit und tiefen Wahrheit. Wir haben dasselbe mit ausdrücklicher Genehmigung des Künstlers (Gust. König) und des Verlegers (Rud. Besser) in vergrößertem Maßstab einer der vielen vortrefflichen Illustrationen des unter dem Titel: „Luther, der Reformator" erschienenen Prachtwerks nachgebildet. Das schön ausgestattete Buch enthält 48 Stahlstiche, sämmtlich nach Zeichnungen von G. König.  Die Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha (1818–1893) (Quelle: Wikipedia)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_013.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)