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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Jene pikante Veröffentlichung Wit von Dörring’s über die vorgeblich drastische Rencontre unseres Componisten mit der Prinzessin von Dänemark erklärte Böhner für eine unverschämte Erfindung und Bambocciade des berüchtigten zweideutigen Demagogen. Was seine Originalschaft zu E. T. A. Hoffmanns Johannes Kreisler betrifft, so gab er an: während seines fünfjährigen Aufenthaltes in Nürnberg (1810–1815) öfter und periodenweise in Bamberg zugebracht und mit Hoffmann, dem genialen und lebenslustigen Kunstgenossen, der von 1808 bis 1813 in der alten fränkischen Bischofsstadt lebte, frohe Tage genossen zu haben. Sie hätten da viel tolles Zeug zusammen getrieben und sich des Lebens auf ihre Weise gefreut. Nun ist bekannt genug, wie Hoffmann sich des Lebens zu freuen liebte, und es ist in Thüringen auch kein Geheimniß, daß Böhner die Lebenskunst ebenso genial auszuführen verstand, wie die musikalische. Hoffmann, elf Jahre älter als Böhner, nannte diesen Sohn und wird ihm wohl guten Unterricht und väterliche Anleitung gegeben haben. Böhner fing zu jener Zeit an seine Capriolen zu machen, die die Linie des gesunden Menschenverstandes bald übersprangen, und so ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß sein phantastisches Lebensbild später von Hoffmann zu dem tollen Kapellmeister benutzt wurde.

In Bamberg versicherte man mich, E. T. A. Hoffmann habe allerdings bei der Schöpfung des Kapellmeisters Kreisler Böhnern vor Augen gehabt. Hoffmann schrieb den Kater Murr auf der Altenburg in einem der alten Thürmchen der Festungsmauer, das zu einem Zimmer eingerichtet ist. Zur Abwechslung warf er die Scenen, die er eben erfunden und beschrieben oder beschreiben wollte, mit Bleistift an die weiße Wand. Das waren denn die herrlichsten Karikaturen, geniale Schöpfungen seines übersprudelnden tollen Humors. Zuletzt waren alle Wände voll, lauter „Kreisleriana“. Und in diesen kecken Bildern soll Kreisler stets Böhners Züge getragen haben.

Das Machtgebot eines Schlaukopfs, deren die Welt leider mehr hat, als ihr zuträglich ist, hat diese Bilder als „dummes Zeug“ mit Tünche überziehen lassen. Ohne diese Barbarei würde das Mauerthürmchen höchst wahrscheinlich der Wallfahrtsort vieler genialer Menschen und ein Anziehungspunkt der schönen Altenburg mehr geworden sein.

In Bezug auf die angebliche Benutzung seiner Ideen durch K. M. von Weber im Freischütz antwortete Böhner ausweichend: es fänden sich wohl dergleichen Reminiscenzen in der berühmten Oper; das könne aber den schöpferischsten Geistern begegnen und sei weiter kein Plagiat. So wenig wie er selbst sich mit fremden Federn schmücke, eben so wenig könne er glauben, daß es ein so berühmter Componist, wie Weber, thue. Diese Aeußerung zeugt wenigstens von Böhner’s nobler Gesinnung, die er mir auch sonst in aller Weise bethätigte.

Johann Ludwig Böhner, geb. den 8. Januar 1787 zu Töttelstedt, einem großen gothaischen Dorfe zwischen Gotha, Erfurt und Langensalza, Sohn des dortigen Organisten, spätern Cantors, der aus Dietharg, einem der ältesten und schönsten unserer Walddörfer gebürtig war (daraus erklärt Böhner seine poetische Vorliebe für das Gebirg), erlernte schon als Knabe unter den Augen des Vaters gleichsam spielend Musik. Die große prächtige Orgel seines Geburtsortes spielte er bald mit Lust und Geschick, außerdem Klavier und Violine; auch sang er Sopran, und bildete sein hohes musikalisches Talent rasch und frühzeitig aus. Ohne Unterricht im Harmonie- und Instrumentalsatz gehabt zu haben, componirte er vom 10. bis zum 14. Lebensjahre mehrere Kirchenstücke und Schiller’s Lied an die Freude, jeden Vers besonders, mit Recitativen, Arien, Chören etc. als Hymnus. Diese seine ersten Versuche wurden in der Umgegend hie und da aufgeführt und fanden Beifall. Sein Vater besaß die Werke von Händel, Bach, Telemann, Graun, Bando, Haydn, Mozart und Beethoven, und diese wurden, da er sie fleißig spielte, Böhner's eigentliche Lehrer.

Vom 13. Jahre an besuchte Böhner das Gymnasium zu Erfurt, wo er oft Gelegenheit hatte, den großen Orgelspieler Joh. Christian Kittel, den letzten Schüler Seb. Bach’s, zu hören, und von dessen Schüler J. M. G. Fischer in Harmonie- und Fugensatz, so wie vom Organisten Kluge im Klavierspiel und Generalbaß Unterricht erhielt. Des kunstreichen Concertmeisters Fischer Concerte mit Dahlberg’s Kapelle regten ihn ungemein an. Böhner zeichnete sich hier als Orgelspieler und Sopransänger schon so aus, daß er davon Veranlassung nahm, sich ganz der Musik zu widmen. Darauf nahm er, 18 Jahre alt, seinen Aufenthalt in Gotha, wo Louis Spohr, nur drei Jahre älter als er, eben herzoglicher Concertmeister geworden war (1805). Bis 1808 Privatlehrer, hörte er Spohr oft in den Hofconcerten, ebenso Dussek[WS 1], Ebert, Himmel, wurde vom Erstern begünstigt und aufgemuntert und gab selbst unter dessen Direction ein Concert mit freier Phantasie bei Hofe.

Eine Aussicht, sich in Jena besser zu stehen, zog ihn 1808 dorthin, wo er anderthalb glückliche Jahre verlebte. Er gab hier viel Unterricht, componirte einige seiner ausgezeichnetern Werke, namentlich das Pianofortconcert in E, wozu ihm die liebenswürdige Louise Marezoll das Papier liniirte, und das er mit dem größten Beifall öffentlich vortrug.

Interessant ist, daß er im Hause des Buchhändlers Frommann der Lehrer jener durch Goethe’s „Wahlverwandtschaften“ unsterblich gewordenen Minna Herzlieb, Frommann’s Pflegetochter, der Ottilie in dem genannten Romane, wurde, zu der sich der alternde Zeus so wunderbar poetisch hingezogen fühlte, und von der er, die er als Kind schon geliebt, mit dem ganzen Zauber einer tiefen Frauenseele wieder geliebt wurde. Böhner kam so recht mitten in diesen Roman hinein, er lernte Goethe bei Frommann kennen und sah ihn auch in den Cirkeln einer in Jena lebenden reichen Engländerin, Frau Hemburg, wo er spielte und sich des Dichterfürsten Beifall erwarb. Hätte damals Goethe Böhner’s Originalität in ihrer tiefsten und eigenthümlichsten Bedeutung und in ihrer musikalisch-lyrischen Beziehung zu Minna näher kennen gelernt, ich bin überzeugt, unser Spielmann würde eine Stelle in jenem hohen Meisterwerke der tragischen Dichtkunst gefunden haben, wie der Lehrer und der Architekt.

Von Jena aus dem Herzog August von Gotha nachdrücklich empfohlen, erhielt Böhner von diesem das Reisegeld zu einer Kunstreise. Seine Absicht war, zu seiner weiteren Ausbildung nach Wien zu gehen. Bevor er diese Reise antrat, componirte er im elterlichen Hause zu Töttelstedt mehrere größere Werke, darunter die Ouvertüre in C zu seiner Oper „der Dreiherrnstein“ und das Pianoforteconcert in C, opus 10.

Weder er noch sonst Jemand dachte daran, daß sein Reisepaß nach Oesterreich mit dem Visa des österreichischen Gesandten in Dresden versehen sein müßte. Er ging über Suhl, Meiningen, Hildburghausen und Coburg, gab in allen diesen Städten Concerte und fand warme Unterstützung und Verehrung seines Genius, dessen Fittich sich damals in voller Kraft und Schönheit entfaltete. In Nürnberg rief seine öffentliche Production einen wahren Enthusiasmus und die ehrenvollste Anerkennung wach. Durch Franken und Bayern kam er bis nach Linz, wo er wegen ungenügender Reiselegitimation umkehren mußte. Ueber Regensburg gelangte er nach Nürnberg zurück und zwar mit gänzlich erschöpfter Casse. Da zeigte sich's, wie viel wahre Freunde sich der geniale junge Tonkünstler und Virtuos in der geistesregen kunstsinnigen Stadt erworben hatte. Von allen Seiten gewährte man ihm Hülfe und drang in ihn zu bleiben. Vorzüglich waren es der ebenso geniale wie liebenswürdige Guhr, der, fast ein Jahr jünger als Böhner, schon seit drei Jahren Musikdirector in Nürnberg war, dann ein Herr von Harsdorf und der Stadtgerichtsarzt Dr. Karl Prau, die sich um Böhner verdient machten. Und so blieb er denn in der reichen Handelsstadt und lebte ganze fünf Jahre in Dr. Prau’s Hause sorgenfrei und in glücklicher Muße. In dieser Zeit hat er seine vorzüglichsten Werke geschaffen, so auch die Oper „der Dreiherrnstein“, die allerdings kein dramatisches Leben, aber an Fülle lyrischer Schönheit nicht ihres Gleichen hat.

(Schluß folgt.)



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jan Ladislav Dusík (Johann Ludwig Dussek, Johann Ladislaus Dussek, Jean Louis Dussek), böhmischer Pianist und Komponist (1760–1812) (Quelle: Wikipedia)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_015.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)