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mit dem Verkauf seiner Compositionen auch gute Geschäfte machte. Ein Jahr später sehen wir ihn auf einer neuen Kunstreise in Frankfurt a. M., Darmstadt, Mannheim und Heidelberg als vielbewunderten Virtuosen auf Orgel und Flügel in einträglichen Concerten auftreten, so daß er sich fast ein Jahr in den genannten Rheinstädten aufhielt, doch periodisch gestört von der unheimlichen Heimsuchung seines bösen Dämons. Ebenso in Kassel, wohin er 1817 ging, wo Guhr unterdessen (1813) Musikdirector des Hoftheaters geworden war. Im freundschaftlichen Umgange mit dem edlen Kunst- und Altersgenossen scheint Böhner’s Geist wieder erstarkt zu sein; denn 1818 konnte er, mit guten Empfehlungen, namentlich von Frankfurt aus, versehen, nach Hamburg gehen, wo er sich über ein halbes Jahr aufhielt.

Sein Name war nun ein in ganz Europa von allen musikalischen Capacitäten gefeierter, und er wurde in der reichen Handelsstadt mit Auszeichnung aufgenommen. Besonders machten sich die Logen, an die er empfohlen war, um ihn verdient. Der brasilianische Minister und Gesandte, von Carno, nahm ihn gastfreundlich auf, und sein Concert auf der herrlichen Orgel der Katharinenkirche brachte ihm Gold und Beifall in Menge ein.

Schier noch glänzender war seine Aufnahme in Oldenburg, besonders am großherzoglichen Hofe, und die liebenswürdigen Prinzessinnen gaben ihm Thema’s zum Phantasiren. Die Damen der höhern Gesellschaft schwärmten für ihn, namentlich ein Paar Französinnen, die ein Haus machten, wo er öfter spielte. Auch scheint hier die Liebe zuerst sein Herz gerührt zu haben, doch hat er darüber in seinen autobiographischen Notizen nur die kurze trockne Bemerkung gemacht: „Ein gebildetes Frauenzimmer, N. aus B., machte sich in Oldenburg besonders um meine Wenigkeit verdient.“ Mit den beiden Fürstenau, Vater und Sohn, die zu derselben Zeit in Oldenburg wohnten und bliesen, verlebte er schöne Tage.

Seine Weiterreise führte ihn über Emden und Leer an die Ufer der Nordsee, dann zurück und über Hamburg und Lübeck auf der Ostsee nach Kopenhagen, wo er im Mai 1819 eintraf. Durch Kuhlau, der ihn mit offnen Armen aufnahm, bei Hofe vorgestellt, wurde er bald von der musikalisch hochgebildeten Prinzessin und einer Hofdame sehr favoritisirt und spielte oft in ihren Apartements im Lustschlosse Friedrichsburg. Hier nun soll die von Wit v. Dörring erzählte extravagante Scene vorgefallen sein, die Böhner als Erfindung des nordischen Demagogen bezeichnet.

Böhner’s viermonatlicher Aufenthalt in der dänischen Königsstadt ist der Silberblick seines Lebens. Als Löwe von der hohen Aristokratie gehätschelt, mit Geld reichlich versehen, in einem angenehmen Herzensverhältniß, eine prächtige Wohnung mit Flügel im großen Hotel de Lyon inne habend, mit fröhlichen Freunden Ausflüge in der Insel Seeland machend, bedurfte es nichts weiter, als das Glück so lange als möglich festzuhalten. Und auch dazu wurde ihm die Hand geboten, ja aufgedrungen. Er sollte in Kopenhagen bleiben, vor der Hand als Musiklehrer der vornehmen Welt, bis sich eine feste Anstellung für ihn fände. Alle einflußreichen Personen interessirten sich für ihn und wollten behülflich sein – das böse Gespenst, das sich in ihm festgesetzt, die Klarheit seines Geistes trübend, seine Gedanken verwirrend und ihn zu Excentricitäten treibend, verhinderte Alles, verdarb ihm seine ganze Lebenszukunft. Es riß ihn aus schönen Verhältnissen, trieb ihn fort von der Stätte seines Glücks. Er scheint gegen Ende des Sommers heftiger von der Krankheit befallen worden zu sein, als je. Wie der unglückliche Hölderin, mit dem Böhner überhaupt Aehnlichkeit hat, eilte er fort, von Dobberan, wo er die Bekanntschaft der Catalani machte, zu Fuß Tag und Nacht laufend, wie ein von Furien gejagter Orestes. Auf dem Wege nach Hamburg verirrte er sich Nachts im Walde und gerieth in einen Sumpf, wo er fast das Leben eingebüßt hätte. In gleicher Weise rannte er, ein armer unglücklicher Geisteskranker, über Hannover, Osterode und Sondershausen bis nach Gotha. Sein mit Kleidern, Manuskripten und andern werthvollen Effecten und Geld reich ausgestatteter Koffer ging ihm verloren. Er wollte ihn in Kopenhagen nach Hamburg zur Post gegeben haben; er sollte auch abgegangen sein – Böhner hat ihn nie wieder gesehen. Ein anderer ebenfalls (besonders durch die Manuscripte) werthvoller Koffer, den er in Nürnberg gelassen, ging ihm ebenfalls verloren aus gleichem Grunde. Auch sonstige schwere Verluste hat ihm seine Krankheit zugefügt, und er ist, weil er kein wachsames Auge auf sein Eigenthum haben konnte, um Alles gekommen, was er erworben, und um Vieles, was sein reicher Geist geschaffen.

In Gotha erregte seine Ankunft unter so traurigen Umständen Aufsehen. Der Herzog August nahm sich sogleich seiner wieder an, und brachte ihn in der angesehenen Familie eines Kunstgenossen unter. Doch man konnte nicht mit ihm fertig werden, und der Tod seines fürstlichen Gönners (22. Mai 1822) machte allen fernern Maßnahmen zu Böhner’s Bestem ein Ende. Schon vorher hatte ihn sein Geburtsort als Heimathstätte aufgenommen, und dort wohnt er nun seit fast vierzig Jahren, wenn man einen solchen Aufenthalt überhaupt wohnen nennen kann, in armseligen, beklagenswerthen Verhältnissen. Seit jener Zeit hat er seine Wanderungen im südlichen und westlichen Thüringen mit kleinem Musikalienhandel begonnen und setzt sie bis heute rüstig und wohlgemuth fort. Es ist ihm in dieser langen Zeit kümmerlich genug gegangen. Vor fünfundzwanzig Jahren schrieb er mir: „Ich muß ziemlich beschränkt und dürftig leben, Hunger und Kälte in elender Wohnung bei Armen ertragen und alle geistigen und körperlichen Genüsse entbehren.“

Es ist von den Leuten seiner Umgebung, welche mit den Mitteln und der Stellung die Pflicht hatten, für die sorgenfreie Existenz eines so bedeutenden Genius und eines so edlen und guten Menschen wie Böhner zu sorgen, nicht recht, daß sie ihn in solchem Elende haben schmachten lassen. Einen der reichbegabtesten Tonsetzer und Virtuosen ließ man, dürftig bekleidet, in Kälte und Regen im Lande herumlaufen, um sich durch den Verkauf einiger von ihm componirten Tänze vor dem Hungertode zu schützen. Und der Mann war geisteskrank. Es hat lange gedauert, eh’ er von der Krankheit befreit wurde. Aber die stete Bewegung in der freien Luft, besonders des Gebirgs, wo er jedes Jahr Monate lang verweilt, die Unregelmäßigkeit und Frugalität seiner Lebensweise haben ihn von seinem Dämon befreit, und er ist jetzt als fast 73jähriger Greis gesund und kräftig. Ja, wenn irgend ein Mann befähigt ist, seinen hundertjährigen Geburtstag selbst zu feiern, so ist’s Louis Böhner.

Zum Schluß dieser Skizze mögen ein paar Erlebnisse, die ich mit ihm hatte, den eigenthümlichen Charakter seiner Krankheit andeuten.

Im Sommer 1822 hielt ich mich einige Tage im Hause des Justizamtmanns Knauer in Ichtershausen (zwischen Erfurt und Arnstadt) auf. Eines Abends wurde der Hausvater hinausgerufen. Mit getrübter Miene kehrte er in’s Zimmer zurück, und seine Worte: „Ach Gott, der arme Böhner ist draußen!“ zogen mich mit den Andern ebenfalls auf den Vorsaal. In bejammernswerther armseliger Kleidung, bot er in einem kleinen Henkelkorbe einige geschriebene Tänze zum Verkauf aus. Das Geld nahm er mit Hast, die Einladung, sich im Familienzimmer zu erfrischen, schlug er mit scheuem Wesen aus und entfernte sich eiligst.

Nach ohngefähr zehn Minuten vernahmen wir seltsame Klagetöne auf dem Vorsaal. Hinausgeeilt, sahen wir Böhner mit verzweiflungsvollen Gebehrden diese Töne ausstoßen. Er habe das Geld verloren, sein Feind habe ihn gejagt, er sei immer hinter ihm, der Schreckliche. Er meinte den Teufel, dessen von seiner irrenden Phantasie erzeugtes Phantom ihn zuweilen verfolgte und ängstigte. – Das Geld fand sich auf dem Treppenpfeiler, wohin er es gelegt und vergessen hatte. Sichtlich getröstet, ging er wieder. Das Phantom war verschwunden.

Ein russischer Hofherr, Graf Engelhardt, der mit der zweiten Gemahlin des Herzogs Ernst I. von Coburg-Gotha nach Gotha gekommen war und viel Geld ausgab, ließ seiner Tochter von Böhner musikalischen Unterricht geben und zahlte ihm für jede Stunde einen Ducaten baar aus. Sobald Böhner Geld hatte, wurde er übermüthig, wie er denn überhaupt nicht mit Geld umzugehen verstand. Mit jedem Ducaten Mehreinnahme schwoll ihm der Kamm stärker. Man erzählte allerlei drollige Geschichten seines wachsenden Uebermuths. So hatte er in dem ersten Gasthofe der Stadt, dem Mohren, eines Abends die ganze Reihe Zimmer der Bel-Etage, die nur gewichtige Fremde zu bewohnen pflegen, gemiethet und jedes Zimmer reich erleuchten lassen. Nun war er in der ganzen Zimmerflucht mit dem Ausdrucke stolzen Selbstbewußtseins spazieren gegangen, hatte gut gespeist und sich dann am Flügel niedergelassen, um zu phantasiren, und nur einen Wunsch hatte er gegen die zuhörende Dienerschaft laut werden lassen, daß eine gleichgestimmte musikalische Freundin mit ihm vierhändig seine Sonaten spielen möchte. Der Wunsch mußte freilich unerfüllt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_025.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)