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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

wie sie sonst die angenehmen Boten des Abends zu sein pflegen. Die Luft flimmerte und schimmerte im Sonnenglanz, und wer es vermochte, flüchtete aus der Helle und Schwüle an irgend ein Plätzchen, wo Schatten und Kühle frei aufzuathmen gestatteten.

Ein solches Plätzchen war ein an der Erdingerstraße gelegener Sommerbierkeller, der von einer heitern Anhöhe unter großen Linden und Kastanienbäumen die Gegend beherrschte und darum ein gewöhnlicher Zielpunkt für Sonntags-Spaziergänger aller Art war. Dahin strömte das Landvolk der nähern und fernern Umgebung, und auch die Bürger und Honoratioren des Städtchens ließen sich’s nicht verdrießen, die anderthalb Stündchen auf der sonnigen Landstraße dahin zu marschiren. War man doch reichlich entschädigt durch einen Platz auf der offenen schattigen Terrasse, vor einem Kruge des trefflichsten erfrischenden Bieres, bei dessen Genuß sich die weite, nicht reizlose Landschaft doppelt behaglich übersehen ließ.

Heute war der Besuch besonders zahlreich, denn in den meisten der umliegenden Fluren war die Getreideernte beendigt, was jährlich mit einer besondern Lustbarkeit gefeiert wurde. Deshalb waren alle Plätze unter den breiten Kastanien und Linden von munterem Landvolk besetzt, und in der anstoßenden kühlen Fässerhalle ward trotz des rauhen Fußbodens zum Tanze hergerichtet. In einer Ecke waren ein paar Fässer zusammengestellt, von denen herab Baßgeige, Clarinette und Trompete, das unerläßliche Dreiblatt, die muthwilligsten Ländler ertönen ließen. Die Bursche und Mädchen ließen sich auch nicht lange vergebens locken, und bald dröhnte die Halle von dem Schleifen, Stampfen und Jauchzen der Tanzenden wieder.

Draußen vor der Halle waren ebenfalls einige Sitze neben der Einfahrt angebracht. Hier konnte man die ganze vorbeiziehende Straße nach beiden Seiten übersehen und Niemand konnte vorübergehen, ohne von den dort Sitzenden bemerkt zu werden.

Diese waren eine Schaar junger kräftiger Bauernbursche voll des trotzigen und etwas rohen Uebermuths, der die Landleute der dortigen Gegend kennzeichnet. Die halb bäurische, halb städtische Tracht verrieth die vielfache Berührung, in welche sie durch reichen Getreideverkehr mit Stadt und Städtern gekommen; dennoch hatten sie noch etwas von der ursprünglichen ländlichen Einfachheit behalten, das sich in der Liebe zum Gesang und in dem steten, freilich etwas grobkörnigen Witze kund gab. Die meisten trugen hohe, bis an’s Knie reichende Stiefeln, in denen die weiten Lederbeinkleider steckten, dann den schwarzen Sammtspenser mit blanken Silberzwanzigern oder Halbgulden als Knöpfe, und den niedern breitkrempigen Hut, um welchen eine echt goldene Schnur sich mehrfach schlang und in stattlichen Quasten herunter hing.

Die lustige Schaar bestand aus einigen reichen Bauerssöhnen und vier bis fünf Knechten vom Huberhofe, lauter Gesichtern, die sich wohl darum wußten, daß sie auf einem der ersten Güter der Gegend dienten, und von Vielen wegen des großen Lohnes, der dort üblich war, beneidet wurden. Sie hatten die Taschen voll Geld und wußten es wohl zu zeigen, denn der Krug, aus dem Alle gemeinschaftlich tranken, ward so oft in der Runde geleert, daß die Kellnerin fast nicht von dem Tische weg kam und die übermüthig hingeworfenen Münzen nur so herumsprangen. Dazwischen riß der Gesang nicht einen Augenblick ab, der jedoch den Sängern mehr Vergnügen gewähren mochte, als den Hörern, denn die nicht sehr abwechselnden Melodieen wurden von Allen einstimmig und in widerlich hoher Tonlage abgeleiert.

Der Schweigsamste war Hans und ein ganz junges Bürschlein von kaum siebzehn Jahren, das erst vor wenigen Wochen auf dem Huberhofe in Dienst getreten war.

„Nun, was ist Dir über’s Leberl gelaufen, Pauli?“ rief Einer während einer augenblicklichen Pause den jungen Menschen an. „Du schaust ja d’rein, als wenn Dir der Hund das Brod genommen hätt’, und auch der Hans macht ein Gesicht, als wenn er nicht fünfe zählen könnt’!“

„Das kann ich Dir schon sagen,“ lachte ein Zweiter, „sie sind alle zwei verliebt und Jeder lamentirt um sein’ Schatz, der Pauli, weil er ihn nicht kriegen kann, und der Hans, weil er ihn angebracht hat!“

„Du wirst viel wissen von unsere Schätz’, Hies,“ sagte Hans kalt und ein bischen verächtlich. „Ich mein’, Du bist noch nie botenweis’ gegangen für mich!“

„Das braucht’s nicht,“ rief der Andere wieder, „deßwegen hab’ ich doch die Spatzen auf’m Dach pfeifen hören! Kennst Du etwa die Blumhuber-Rosel gar nimmer, weil Du sie hast sitzenlassen? Oder reut’s Dich, weil sie sich heut’ Nacht so tapfer gehalten hat?“

„Was meinst Du damit?“ fragte Hans verwundert. „Ich weiß von nichts.“

„Stell Dich nicht so unschuldig,“ war die Antwort, „man redt ja schon überall davon. Sie ist Unterdirn auf dem Brandlgut, und ist heut Nacht die Einzige gewesen, der die Schelmen nicht Herr geworden sind. Sie hat mit dem rothen Hannickel gerauft, wie ein Mannsbild, und hat sich losgemacht und auf dem Dach das Freßglöckl geläut’t. Der Hütbub hat sich unterm Holz verkrochen gehabt und hat Alles mit ang’schaut!“

Hans ward einen Augenblick roth, als ob ihm Blut in’s Gesicht geschüttet worden; im nächsten aber war er wieder bleich, wie zuvor, und stand ganz ruhig auf. „Ich hab’ davon gehört,“ sagte er, „aber nicht gewußt, daß das die Rosel war … Mich wundert’s aber nicht, sie war alleweil’ eine kreuzbrave Person …“ Damit ging er dem Tanzboden zu und lehnte sich in einen Winkel, mehr um ungestört zu sein, als um den Tanzenden zuzuschauen.

Die Bursche draußen lachten ihm nach. „Es ist schon so, Hies,“ riefen sie, „Du hast schon den rechten Fleck bei ihm getroffen! Wollen sehn, ob Du beim Pauli auch so geschickt bist!“

„Ja, bei dem ist’s schon schwerer,“ spöttelte Hies, „der fallt ganz vom Fleisch; das kommt aber blos daher, weil er mit dem Löffel den Weg in’s Maul nimmer findet, so oft er beim Essen seine schöne Dienstbäuerin ansieht …“

Die Flammenröthe des jungen Menschen verrieth, daß der Spötter auch hier sehr wohl zu zielen verstanden hatte. Zornig sprang er auf, schlug herausfordernd mit der Faust auf den Tisch und rief: „Wer untersteht sich, der Huberin was nachzureden?“

Allgemeines Gelächter scholl ihm entgegen. „Wer redet davon?“ schrieen sie durcheinander. „Wir wissen schon, daß sie von Dir nichts will, aber das wissen wir auch, das Du verschossen bist in die schöne Huberin!“

Der Bursche faßte den zunächst Stehenden am Kragen, dieser griff ihm dagegen an die Kehle, und alle andern Bursche drängten sich im Nu in einen Knäuel um die Streitenden, bereit, für und gegen Partei zu nehmen. Das Haupt-Sonntagsvergnügen, die Rauferei, hätte sofort begonnen, wenn nicht die Bräuerin begütigend in’s Mittel getreten wäre.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Schweizerische Schlagfertigkeit. Der Professor St…, welcher vergangenen Sommer im Auftrage der russischen Regierung Deutschland, und unter andern auch die Schweiz bereiste, erzählte mir einen Zug des eidgenössischen Präsidenten im Kanton Bern, den ich seines derben Humors halber hier wiedergebe: Eine schon seit längerer Zeit schwebende Agrarfrage war in einer längeren Sitzung endlich entschieden worden. Es gibt natürlich bei derartigen Sachen stets Zufriedene und Unzufriedene, und unter diesen letzteren befand sich denn auch ein alter wegen seines steten Murrens über die Herren in der Stadt bekannter Bauer, der den Präsidenten, nachdem das Urtheil vorgelesen war, folgendermaßen haranguirte:

„Herr Präsident, Sie mögen zwar ein ganz kluger und gescheidter Mann sein und Ihr Geschäft aus dem Fundament verstehen, aber dessenungeachtet wissen Sie doch von solchen Sachen, die den Ackerbau angehen, verdammt wenig, und können da von einem gewöhnlichen Bauer, wie mir, viel lernen. Sie sitzen in der Stadt an Ihrem Arbeitstisch und wissen den Teufel was auf dem Lande vorgeht, also sollten Sie künftighin solche Sachen uns überlassen, die wir den ganzen Tag hinter dem Pfluge hergehen, und wir werden dann wohl das Richtige zu finden wissen.“

Alles war natürlich über diese derbe Keckheit, selbst im freien Schweizerlande, erstaunt, der Präsident jedoch erhob sich freundlich lächelnd und antwortete:

„Ja lieber Mann, da mögt Ihr wohl Recht haben, ich könnte von Ihm wohl noch viel lernen um immer das Rechte zu finden und zum Beweise dafür habe ich doch schon von Ihm so viel gelernt, daß, wenn ich eines Tages wegen eines großen Maules in Verlegenheit bin, ich doch wenigstens gewiß weiß, wo ich es zu suchen habe.“ Der Präsident hatte natürlich alle Lacher auf seiner Seite, und der alte Bauer ging fluchend und die Herren aus der Stadt zu allen Teufeln wünschend ab.




Wieder ein Fortschritt. Das Meininger Ministerium hat einen Erlaß der Humanität veröffentlicht, den wir dringend zur Nachahmung anempfehlen. „Das Begräbniß der Selbstmörder soll nicht mehr wie ehedem ein unehrliches, aber es soll auch kein prunkendes und Aufsehen erregendes sein. Es können die Selbstmörder auf dem Kirchhofe und in der Reihe beerdigt werden, und ist der Mitgang des Geistlichen wünschenswerth. Da wo Seelenstörung und Unzurechnungsfähigkeit vorliegt, empfiehlt sich eine Grabrede, in anderen Fällen jedoch nur Mahnung und Gebet, bei welchem, eingedenk des Wortes: „Richtet nicht“, alle Härte und Lieblosigkeit zu vermeiden ist.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_032.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)