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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

an bemächtigte sich meiner eine klägliche und doch unbezwingliche Furcht, irgend ein Nichts könnte sich meinem Glücke entgegenstellen. Nicht ihr Reichthum allein, auch ihre Erscheinung übt eine magische Gewalt auf mich aus und läßt mich leidenschaftlich nach ihrem Besitz trachten. Da hast Du den Schlüssel zu meinem Benehmen, das Du Falschheit nennst – wenigstens zu Dir bin ich aufrichtig gewesen.“

„Ich muß es glauben,“ entgegnete Bruno, einer bestimmten Erklärung ausweichend. „Sicher bist Du nicht mehr jener Clemens –“

„Der in Alcala von Dir Abschied nahm,“ parodirte der Graf mit leichtem Scherz und froh aufathmend, als sei diese so gefährliche und so lang gefürchtete Unterredung nun doch glücklich in das breite Meer der Alltäglichkeit gelenkt worden. „Nein, ich bin es, ach! nicht mehr! Allein bedenke, Freund, fünf Jahre, schwere sorgenvolle Jahre, im Ringen um eine Stellung, um ein stolzes, launenhaftes und unbegreifliches Weib verbracht! Darüber verliert sich der Schmelz und der Duft der Jugend. Sind wir doch Beide verwandelt, was willst Du schelten, daß ich selbstsüchtiger und berechnender geworden?“

„Ich schelte ja nicht; Phaethon muß steigen und stürzen, eben weil er Phaethon ist.“

„Eine düstere Prophezeihung! Aber was ist’s denn so Großes, sich immer wie Du im engsten Thal zu beschränken und gewaltsam die Flügel seines Willens zu brechen? Heißt leben nichts als dem Leben fortwährend entsagen? Doch ich hätte Dich darin und in allen Deinen Sonderlichkeiten besser kennen sollen,“ fuhr er fort, nun schon ganz ruhig und vertraulich geworden, „und Dich gestern nicht, wie ich that, in der Hauptstadt, sondern auf dem alten Kampfplatz erwarten. Den gestrigen Tag haben wir verloren, ich hoffe, Du schenkst mir dafür diesen Abend.“

„Vergib, ich kann nicht, ich will morgen wieder abreisen.“

„Und willst Niemand von den alten Freunden und Bekannten in der Stadt aufsuchen? Ich sprach noch vor wenigen Tagen Deinetwegen mit dem Minister. Eine Stelle in der philosophischen Facultät der Landesuniversität steht schon seit Jahren leer. Wer hätte mehr Anspruch darauf als Du? Jedermann rühmt Deine Kenntnisse, Deine gelehrten Werke. Willst Du das Glück so von Dir weisen und, wie Du gekommen, wieder verschwinden, spurlos beinahe?“

„Spurlos, Du triffst das richtige Wort für meine Absicht. Ich bin zum Wandern und zur Unabhängigkeit geboren; mein kleines Vermögen sichert meine Freiheit und reicht für meine Bedürfnisse für ein, zwei Jahre noch aus. Morgen, was ist denn morgen? Laß mich nur ziehen, es ist das Beste.“

So gut er sich auch zu beherrschen wußte, ganz vermochte Clemens die freudige Aufregung nicht zu verbergen, in die ihn Bruno’s Entschluß versetzte; sein Auge funkelte, seine Gestalt hob sich, das Unbehagliche und Heimliche, das bisher wie ein Schatten sein edles Gesicht bedeckt und entstellt hatte, verschwand vor dem strahlenden Glanze, der sich plötzlich darüber ausbreitete.

„Bei alledem, dieser Abend gehört mir und ich werde ihn keinem Andern mit gutem Willen lassen.“

„Dieser Abend – und immer dieser Abend! Er ist nicht mehr mein; hat sie – hat die Gräfin Dir nicht gesagt –“

„Was denn?“

„Es ist kein Geheimniß; ich erzählte ihr gestern meine Geschichte, sie will mir heute die ihrige erzählen.“

„Und Du?“

„Ich werde sie hören.“

„Nimmermehr!“

Bei diesem Aufschrei des Grafen kam auch in Bruno ein wildes Leben. „Es ist also doch noch ein dunkles Etwas hinter all’ Deinen Worten verborgen! Ich aber will länger weder Dein noch ihr Narr sein!“

„Du liebst sie!“

Stolz richtete sich Bruno vor ihm auf: „Du beurtheilst Alle nach Dir und denkst vielleicht in diesem Augenblick an Adele. Sei ruhig; ob ich sie liebe, ob nicht, was kümmert es Dich, wenn dies Geständniß in meiner Seele bleibt?“

Und ohne weiter an den entsetzten und erstarrten Clemens ein Wort zu richten, nahm er einen leichten schwarzen Mantel um und schritt zur Thür.

„Du gehst?“ brach der Graf noch einmal aus.

„Ich muß.“

„Gut,“ entgegnete Clemens beklemmt, „Du schlägst meine Begleitung nicht aus.“

Diese letzten Worte verklangen im Oeffnen der Thür. In den Gesichtern Beider brannte der Zorn, Clemens hatte die Hände geballt, als sie aus dem Hause traten. Heftig wies er den Diener zurück, der ihnen erst besorgt mit den Augen folgte und dann in steigender Angst um seinen Herrn in einiger Entfernung nachging.

Wie in Uebereinstimmung schlugen Beide nicht den großen Laubgang von Kastanien ein, der vom Dorfe bis zum Schlosse in breiter Anlage emporstieg, sondern wandten sich seitwärts nach einer waldumbuschten Schlucht, durch die ein verborgener und einsamer Pfad bis hart an das Gitter des Gartens führte. Es ging gegen den Abend und der Wind trieb geschäftig der untergehenden Sonne dunkle Regenwolken entgegen, die, von ihrem Glanze angehaucht, an den äußersten Rändern eine röthliche und goldbraune Färbung annahmen. In dem Tannendickicht der Schlucht glänzten nur die schlanken Baumkronen noch im rosigen Licht, an einzelnen Stämmen glitt es matt verglühend bis zu dem niedrigeren Gebüsch hinab, sonst aber herrschte die Dämmerung in dem lauschigen Grunde. Diese Heimlichkeit vermehrte noch das Rauschen eines durch die Schlucht strömenden Baches, der weiterhin aus der Felsenge hervortretend die Wiesen des Dorfes tränkte. An manchen Stellen verbargen ihn die Weidengebüsche des Ufers fast ganz den Blicken der Wanderer, an andern schlug seine rasche Welle stürmisch an das nackte, steinige Ufer. So schmal war der vielfach gewundene Steg, daß sie oft nur hinter einander auf ihm gehen konnten, Bruno voran, Clemens folgte, an den Bäumen entlang schreitend, wie ein Schatten.

Ueber die Mitte des Grundes hinaus waren sie so schweigend gewandert, jetzt führte der Weg einen Felsen steil hinan und senkte sich jäh und abschüssig auf der andern Seite zum Bache nieder, über den hier eine kleine Holzbrücke geschlagen war. Oben auf der Spitze der Höhe sah man die im Sonnenuntergang dunkelroth glühenden Fenster des Schlosses herüberschimmern – ihnen, die aus der Dämmerung emporklommen, war es wie eine märchenhafte Erscheinung.

„Ja,“ rief Bruno von dem Anblick überrascht, „Du hast Recht, dort scheint nur eine Zauberin wohnen zu können.“

„Und Du, der mich noch eben Phaethon schalt, willst Dich dennoch von ihr verblenden und betrügen lassen?“

„Clemens, es ist gestern ein Tropfen auf mein Haupt gefallen, der mich zu verwirren, mein Blut zu vergiften anfängt. Fiel er aus der Schale des Zorns oder aus der des Glücks? Laß mich die Erkenntniß suchen, die bei ihr allein ist.“

„Verstelle und überrede Dich selbst mit klugen Sprüchen – Du liebst sie. Bin ich doch demselben Zauber erlegen – und sie ist nicht einmal schön, nicht halb so schön wie Adele! Wie verwünsche ich jetzt meine Thorheit, Dir nicht Alles früher gestanden zu haben! Du hättest sie entweder nie oder nur als meine Gattin sehen sollen. Ich bitte Dich, Bruno, geh nicht hinüber. Was Du erfährst, es vermehrt Dein Glück nicht, es raubt Dir auf immer Deine Ruhe. Du wirst nicht glücklich werden können mit dem Vorwurf in Deiner Seele, daß Du mir dies Glück nahmst. Wenn nicht mehr die Göttin der Freundschaft selber, so wandelt doch noch ihr Schatten um uns, dem bringe dieses Opfer.“

Er hatte warm und innig geredet, mit jenem leise verschleierten Ton, der vor Jahren Bruno’s Herz in Rührung besänftigt und gewonnen, diesmal wuchs nur die schwere Falte auf dessen Stirn. „Opfern – immer opfern, dazu bin ich Dir gut! Du umspinnst mich mit Geheimnissen, und an jedem Faden, den ich entwirre, hängt, ich sag’s offen, eine Falschheit, ein Verrath von Dir!“

„Verrath?“ sagte stolz der Graf und ergriff Bruno hart an der Schulter. „Wahre Dich!“

„So sagt’ ich. Das Alles würde den Argwohn auch des Arglosesten wecken, in mir erweckt es noch ein anderes, bitteres Gedächtniß, und es braucht keiner Unbekannten mehr –“

Sie standen dicht am Rande des Abhangs. Wie gelähmt sank die Hand des Grafen von Bruno’s Schulter. Erdfahl geworden, starrten sich Beide an – einmal und noch einmal schlug Bruno wild an seine Stirn und rief im verzweifelnden Schmerz: „Sie ist’s! Sie ist’s, Isolde Schönfeld!“

„Zu Ende!“ stahl es sich über Clemens’ Lippen, aber er ermannte sich sogleich und stieß, seine ganze Kraft zusammennehmend, den Freund von der gefährlichen Höhe.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_035.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)