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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

der einst in Frankreich bei Todesstrafe verboten wurde, weil bei seinen Klängen die Soldaten der Schweizerregimenter, vom unendlichsten Heimweh befallen, massenweise desertirten und den Bergen zueilten, – der wirkliche echte „Chüereiha“ scheint nur in den Berner und Appenzeller Alpen bestanden zu haben; vollständig hört man ihn jetzt wenig mehr. Er ist, wie schon gesagt, das Eintreibelied, welches der Kuhhirt unter der Stallthüre singt und durch diese dem Vieh bekannten Töne dasselbe herbeilockt. Um sie folgsamer zu machen, gibt er ihnen aus dem „Läcktäschli“ ein wenig Salz. Der Text zum Appenzeller Kuhreihen lautet: „Wönd–d–er iha, Loba? (Kühe) Alsama mit Nama, die alta, die junga, alsama Loba, Loba, Lo – – – ba. Chönd (Kommet) alesama, alsama, Loba, Loba. Wenn–i–em Vech ha pfeffa (habe gepfiffen), ha pfeffa, ha pfeffa, so chönd alsama zuha schlicha, – schlicha, wol zuha, da zuha. Trib iha alsama, wol juha, bas zuha. Höpsch sönds ond frei, holdfälig dazue. Loba, Lo – – ba. Wääs wohl, wenn – er’s Singa vergod: wenn e Wiega i – der Stoba stod, wenn de Ma (Mann) mit Füsta dre schlod (Fäusten drein schlägt) ond der Loft (Wind) zue ala Löchera inablost. Loba, Loba, Lo – – ba! Trib iha, alsama, die Hinked, die Stinked, die B’bletzet, die G’schegget, die G’flecket, die B’blässet; die Schwanzert, Tanzert, Glinzeri, Blinzeri, d’Lehneri, d’Fehneri, d’Schmalzeri, d’Hasleri, s’Halböhrli, s’Möhrli, die erst’ Gähl ond die Alt, der Großbuch ond die Ruch; d’Langbeneri, d’Haglehneri, – trib iha, wol zuha, da zuha. Lo – – ba. Sit daß i g’wibet ha (seit ich geheirathet habe), ha – n – i ke Brod meh g’ha, sit daß i g’wibet ha, ha – n – i ke Glöck me g’ha, – Lo – – ba. – Wenn’s assa wohl god (wenn’s also wohl geht) ond niena still stod (und nirgends still steht), so iß jo g’rotha, Loba, Lo – – ba! ’s iß kena Lüta bas, as ösera Chüeha; si trinkid os – em Bach, ond mögid trüeha“ (es geht keinen Leuten besser als unseren Kühen, sie trinken aus dem Bach und werden dabei fetter). – So wenig poetisch das Ganze ist, ebenso wenig läßt sich die darin waltende Gemüthlichkeit leugnen, wenn der Hirt die Kühe fragt, ob sie herein wollen. –

Sennbub.   Senn im Festkleid bei der Auffahrt.   Gaumer oder Kuhhirt.

Der Eindruck, den solche Küher-Gesänge auf das Alpenvieh machen, ist unauslöschlich. Denn wenn Thiere von Alpenzucht aus dem Geburtslande entfernt werden und von ungefähr diesen Gesang hören, so scheinen alle Bilder ihres ehemaligen Zustandes plötzlich in ihrem Gehirn lebendig zu werden und eine Art Heimweh hervorzurufen. Sie werfen alsdann den Schwanz in die Höhe, schlagen mit den Füßen nach allen Seiten aus, fangen an zu laufen, durchbrechen die Zäune und gebehrden sich rasend und wild. Ueberhaupt äußert das Alpenvieh zu Anfang des Sommers ein eigentliches Heimweh nach den Alpweiden und sucht aus wirklich innerem Naturtriebe das Hochgebirge. Was Corrodi in seinen unvergleichlich schönen „Alpenbriefen aus dem Appenzell“ (Alpina, Scheitlin und Zollikofer in St. Gallen) sagt, ist vollkommen wahr: „Die Alpenkühe haben Intelligenz. Wenn Du bergan gehst über die Weiden, und die schönen Thiere erheben den Kopf so klug und fragend nach Dir, dann meinst Du, Du müssest ihnen den Paß vorzeigen! – Das sind keine Kühe, wie sie im Land unten vor alle möglichen Fuhrwerke gespannt und abgekarrt werden, daß man an den Beckenknochen den Hut aufhängen könnte, – das sind Honoratioren, bewußtvoll, sich fühlend, nicht Vieh mehr, sondern Thier. Da ist Race, Schnitt, Charakter. Glaubst Du, ein Thalkühlein würde Empfindung zeigen, wenn sie die große Glocke getragen und man sie ihr wieder abnähme? Nein. Geh’ aber und frag’, wie die Leitkuh traurig wird und nicht mehr fressen mag, wenn sie ihrer Glocke beraubt wird – sieh’, wie stolz sie vorgeht – da ist Intelligenz“ u. s. w. – Die Leitkuh oder „Heerkuh“ ist jene, von welcher Kuoni der Hirt in Schiller’s Wilhelm Tell sagt:

„Wie schön der Kuh das Band zum Halse steht!
„Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt,
„Und nähm’ ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.“ –

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_060.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)