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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

lag ein, wie es schien, wohlgepflegter Küchengarten, der sich nach allen Seiten hin bis an die Grenzen des etwa acht Fuß hohen Zaunes ausdehnte und eine Reihe theils einstöckiger, theils zweistöckiger Gebäude umgab. Das Ganze machte den Eindruck eines einfachen Landhauses mit einigen Wirthschaftsgebäuden. Eine friedliche Stille lag über dem ganzen Raume ausgebreitet, durch nichts als durch das Brüllen einer Kuh unterbrochen; Alles machte den Eindruck von großer Ordnung, Wirthschaftlichkeit und Sauberkeit. „Wenn der hohe Zaun nicht wäre,“ sagte ich zu meinem Begleiter, „glaubte ich mich in das Landhaus eines meiner Freunde versetzt, den ich einmal in der Nähe von London besuchte. Ich lernte ihn auf einer meiner italienischen Reisen in Venedig kennen.“

Ich hatte kaum ausgesprochen, so trat eine große Frauengestalt aus dem Hause. Sie war noch jung, noch nicht über die Mitte der Dreißig hinaus, ihre Gesichtszüge verriethen viel Intelligenz und Gutmüthigkeit, ihre schönen braunen Augen hatten einen seelischen Ausdruck. Ich mußte sie schon einmal irgendwo gesehen haben, in anderen Verhältnissen, in anderer Umgebung, vor zehn, fünfzehn Jahren, vergebens rieth ich hin und her, ich konnte den Platz für diese Gestalt in meinen Erinnerungen nicht wieder finden. Meine Gedanken irrten hin und her, immer blieben sie an der Schwelle eines glänzend erleuchteten Ballsaales stehen. Aber es war nicht möglich! Die Frau war ganz in Schwarz gekleidet, ein schmaler, weißer Streif umschloß ihren Hals, ihr Kopf war mit einer weißen, kleinen, enganliegenden Haube bedeckt. „Ich bin die Oberin dieses Hauses,“ redete sie uns an, „die Herren wünschten mich zu sprechen?“

Der Geheimerath stellte sich und mich der Dame vor, und sprach ihr unsern Wunsch aus, das Stift und seine Bewohnerinnen zu sehen.

„Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen, den Wunsch der Herren zu erfüllen,“ erwiderte die Frau, „wollen Sie erst in meine Wohnung kommen, damit ich Ihnen einige nähere Aufschlüsse gebe!“

Wir stiegen eine Treppe hinauf. Die eine Thür des Treppenflurs führte in die Wohnung der Oberin. Es waren zwei einfache Zimmer, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. An das Schlafzimmer stieß ein zweites Schlafzimmer. Es standen drei einfach, aber sehr reinlich bezogene Betten darin. „Hier schlafen drei junge Mädchen aus diesem Hause,“ sagte die Oberin, „die ich ganz in meiner Nähe habe, da sie erst seit Kurzem hier verweilen und den Weg zur Besserung erst kürzlich betreten haben.“ Das Wohnzimmer war sehr einfach eingerichtet, ohne jeden Luxus; aber doch sah man an der Ordnung, Zierlichkeit und an einem gewissen Comfort, der sogar in dieser Einfachheit wieder zu erkennen war, daß hier eine Dame von Stande wohnte, welche ehemals in der Welt in ganz anderen Verhältnissen gelebt hatte. Ich dachte wiederholentlich an den Ballsaal, ohne sie doch darin in einer bestimmten Gestalt wieder erkennen zu können. An der Wand hing ein gekreuzigter Christus, gegenüber über dem Sopha ein Kupferstich, ein Bild der Magdalena als Büßerin, nach der das Haus seinen Namen führte. „Wollen die Herren nicht Platz nehmen?“ sagte die Oberin und setzte sich mit dem Anstande einer Dame von Welt auf das Sopha. Der Geheimerath und ich ließen uns auf zwei am Tische stehende Rohrsessel nieder. „Ich werde Ihnen nun Einiges von diesem Hause und den hier befindlichen Mädchen erzählen,“ fuhr die Oberin fort.

„Das Haus ist von Ihrer Majestät der Königin gegründet worden, und steht auch noch heute unter ihrer besonderen Protection, sowie unter Protection der Frau Prinzessin von Preußen. Die meisten Mittel erhält die Anstalt aus Staatsfonds, welche der König dazu anweist. Die Beiträge, welche uns aus der Stadt zufließen, sind leider nicht von Bedeutung. Der Erwerb des Hauses für Wäsche und Handarbeiten, welche uns aus der Stadt zugeschickt und hier besorgt werden, beträgt durchschnittlich jährlich wenig über dreihundert Thaler. Für einige von den Mädchen, welche im Hause sind, werden von Freunden, Verwandten oder wohlthätigen Herzen Kostgelder bezahlt. Das Kostgeld beträgt sechzig Thaler jährlich. Jedoch übersteigt die Summe der Kostgelder auch kaum dreihundert Thaler alle Jahre. Der Ertrag der mit dem Hause verbundenen Feld- und Viehwirthschaft wird zur Ernährung der Mädchen verwandt und liefert zur Unterhaltung des Hauses bedeutende Beiträge. Unsere Einnahmen betragen an 4000 Thaler, unsere Ausgaben einige hundert Thaler weniger. Die Zahl der hier befindlichen Mädchen beträgt durchschnittlich 33–36, und die Unterhaltungskosten für jedes Mädchen schlagen wir jährlich zu 83 Thaler an. Sie sehen, meine Herren,“ schloß die Oberin lächelnd ihren kurzen Finanzbericht, „unsere Einnahmen übersteigen immer noch unsere Ausgaben, und der Fond, den wir haben, hat sich von fünfhundert schon auf anderthalbtausend Thaler erhöht. Leider erlauben uns unsere nicht bedeutenden Mittel nicht, soviel Plätze einzurichten, wie wir wohl einrichten möchten. Die Zahl der unglücklichen Mädchen, welche hier Aufnahme erbitten, oder für welche Andere dieselbe suchen, ist so groß, daß mindestens drei bis vier neue Asyle eingerichtet werden müßten.“

„Wie ist denn nun die Einrichtung dieses Hauses, Frau Oberin?“ fragte der Geheimerath. „Sie können doch unmöglich dieser großen Einrichtung allein vorstehen?“

„Nein, das wäre nicht möglich,“ erwiderte die Oberin des Magdalenenstiftes. „Ich werde in meinem Wirken von einem hier angestellten Prediger und vier Mithelferinnen unterstützt. Das Erbarmen mit einzelnen Unglücklichen, die uns nahe traten, und das Verlangen, dieselben zu retten, hat unser Magdalenenstift hervorgerufen, und auf dem Grunde dieses Erbarmens hat es sich weiter ausgebreitet. Es bietet gefallenen und sittlich verderbten Mädchen, die den Weg des Lasters verlassen wollen, eine Zuflucht. Die Mädchen werden hier fleißig zur Religion, zur Arbeit und Ordnung angehalten, so daß sie nach etwa ein bis zwei Jahren als brauchbare Dienstboten entlassen werden können. Wie ich Ihnen schon mittheilte, ist ein Prediger an der Stiftung angestellt, der außer dem sonntäglichen Gottesdienste im Betsaal des Hauses alle Tage Morgen- und Abendandacht hält. Ich selbst leite die ganze Oekonomie, die Beschäftigung und Erziehung der Mädchen und die Krankenpflege. Die Fürsorge für die Gesundheit hat ein hiesiger Arzt freiwillig übernommen. Die Mädchen werden durch die sechs Mithelferinnen, von denen Eine die Wirthschaft und eine Andere die Küche besorgt, fortwährend beaufsichtigt und zur Arbeit angewiesen. Die Arbeiten bestehen in Nähen, Waschen, Stricken, in Haus-, Garten- und Feldarbeiten. Um die Mädchen auch durch schwerere Arbeiten zu kräftigen, ist nämlich außer dem geräumigen Garten noch ein Stück Landes in der Nähe des Hauses gemiethet, welches unter Anleitung des Gärtners der Anstalt von ihnen bearbeitet wird. Dadurch wird zugleich der Bedarf an Gemüse und Kartoffeln, sowie die Erhaltung des kleinen Viehstandes der Anstalt bedeutend billiger erlangt. Da die meisten Mädchen bei ihrem Eintritt körperlich, wie geistig verkommen sind und nichts ordentlich verstehen, ist der baare Ertrag der Arbeiten verhaltnißmäßig ziemlich unbedeutend. Das Meiste wird noch durch Nähen erworben, worin Manche eine ziemliche Geschicklichkeit erlangen. Für geistige Förderung und Unterhaltung ist eine kleine Bibliothek guter christlicher Volksschriften vorhanden, woraus die Aufseherinnen bisweilen bei der Arbeit vorlesen und womit sich die Mädchen an Sonntagen und Festtagen, an welchen sie sich auch im Schreiben üben, beschäftigen. Auch wird der Gesang fleißig getrieben und in zwei Stunden wöchentlich darin besonderer Unterricht ertheilt. Im Sommer wird um fünf Uhr, im Winter um sechs Uhr aufgestanden, alsdann wird ein Spruch aus der heiligen Schrift vorgelesen und die aufgegebenen Schriftstellen oder Liederverse gelernt; darnach werden häusliche Arbeiten besorgt, und im Sommer um sechs, im Winter um sieben Uhr gefrühstückt; eine Viertelstunde nachher versammeln sich Alle zur gemeinsamen Morgenandacht. Nach der Andacht beginnt der Unterricht, und nach diesem die Arbeit, die bis zwölf Uhr dauert. Alsdann findet das Mittagessen statt, worauf um ein Uhr wiederum die Arbeit beginnt, die um vier Uhr durch den Kaffee eine Viertelstunde unterbrochen wird, dann bis zum Abendessen um acht Uhr fortdauert und nach diesem noch bis neun Uhr fortgesetzt wird, worauf um halb zehn Uhr mit einer Abendandacht geschlossen wird. Nicht wahr, Herr Geheimerath, nun haben Sie auch ein Bild von unserer Hausordnung?“

„Ich habe neulich von einer anderen Hausordnung gelesen, Frau Oberin, auch in einem Zufluchts- und Besserungshause – es ist in Berlin am Alexanderplatz; aller Schmutz der Menschenseelen und der Armuth wird dort aufeinander geworfen, wie ein großer Kehrichthaufen, um für einige Zeit von der Straße zu verschwinden und dann in anderer Weise wieder zu erscheinen. Diese Anstalt könnte sich Ihre Hausordnung als Muster nehmen.“

„Alle, die in der Anstalt aufgenommen werden,“ fuhr die Oberin fort, „müssen sich derselben Ordnung unterwerfen und die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_088.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)