Seite:Die Gartenlaube (1860) 093.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

welche die Häuser auf dem von mir entworfenen Bilde zum Theil verdecken. Vom Calvarienberge aus zeigen sich auch die Marienthal umschließenden Berge in ihrer ganzen Schönheit. Man hat da nicht allein eine volle Ansicht des im tiefsten Thale unendlich poetisch liegenden Klosters, sondern man sieht hinaus über die dunkle romantische Bergschlucht mit der sie durchströmenden Neiße, weit hinab in die flache Ebene, hin zu der im blauen Aether verschwimmenden Ferne.

Marienthal vervollständigt auf diesem mit den herrlichsten Bäumen bepflanzten Calvarienberge den Eindruck, den man auf der Fahrt dahin empfängt. Es bietet ein Bild des tiefsten heiligsten Friedens, einer Ruhe und Abgeschlossenheit, wie man sie vielleicht an wenig Orten der Erde in erhöhterem Maße finden kann – aber zugleich ein Bild so tiefer, so grenzenloser Melancholie, wie ich es noch in meinem Leben nicht durch die Natur ampfangen habe. – Es liegt dort in Allem die namenloseste Trauer, die unaussprechlichste Wehmuth, und das auf der Rheininsel so einsam liegende, von Fels und Berg umschlossene, von Wellen rings umrauschte Kloster Nonnenwerth, es scheint mir gegen Marienthal ein Sitz heiterer Freude, lachender Lust zu sein!

An dieser stillen, von der Welt abgeschiedenen Stätte begraben zu sein, ist der Wunsch der Gräfin Rossi gewesen – und er ist erfüllt!

Sie ruht in der Gruft der Kreuzkapelle, die klein und etwas düster ist. Das Hauptlicht dringt durch die außerordentlich schön gearbeitete Eingangsthüre von Gußeisen ein, die sich zur linken Seite der Kapelle zeigt. Die an der rechten Wand der Kapelle befindliche Thüre, wie auch die Fenster, sind dem Lichte und der Luft unzugänglich. Im Innern der Kapelle befindet sich an dieser rechten Seite ein Altar. Ueber ihm erhebt sich ein mächtiges, von großer goldener Sonne umgebenes Kreuz. Zu beiden Seiten tiefe Nischen mit lebensgroßen Statuen. Die Eine, in Nonnentracht, schaut mit selig verklärtem Antlitz zum Himmel auf, die Andere, in weltlichem Gewande, ringt mit Gebehrden der Trauer und Verzweiflung die Hände. Beide Statuen geben auf vortreffliche Weise ihren innern Seelenzustand zu erkennen, und es ist, als erzählten sie dem Beschauer in gedrängter Kürze ihre friedlichen und stürmischen Lebensschicksale.

Dem Altar gegenüber ist der Eingang in die Kapelle vom Kloster aus. Er führt in die Sakristei, und dort sah es wüst und schauerlich aus. Ueber der Sakristei ist eine vergitterte Loge, die wiederum mit den obern Räumen des Klosters in Verbindung steht. Von dieser Loge aus hat die Nonne Juliane, einstmalige Nina Sontag, die Beisetzung ihrer Schwester in die Gruft mit ansehen dürfen. Die Beisetzung hat am 4. Mai 1855 stattgefunden, nachdem es endlich den Freunden des Grafen Rossi in Mexiko gelungen, den Sarg mit der Leiche einer an der Cholera Verstorbenen an Bord eines Schiffes zu schmuggeln.

Welche Schwierigkeiten es gemacht, des Grafen Rossi Wunsch zu erfüllen, die irdischen Ueberreste seiner Frau in deutscher Erde begraben zu sehen, – das mag man wohl ermessen, wenn man bedenkt, wie abergläubisch alle Schiffer sind, wie sie nie eine Leiche an Bord haben mögen, die, wie sie fürchten, Verderben auf sie herabzieht. Nun noch gar die Leiche einer an der Cholera Gestorbenen, vor welcher Krankheit man jenseits des Meeres eine noch größere Furcht empfindet, als in Europa! Die Schwierigkeiten wurden endlich überwunden. Im stillen Kloster fand Henriette Sontag die letzte Ruhestatt, und im Beisein der ihr theuersten Personen auf Erden verschwand der Sarg, der ihre sterbliche Hülle barg, in dem Dunkel des Propstgewölbes von Marienthal.

Der Sarg von Henriette Sontag, welcher den Bleisarg umschließt, in den sie nach ihrem Ableben in Mexiko gebettet worden, – ist außerordentlich schön. Auf dem Deckel liegt zu Häupten ein Kreuz mit der Gestalt des Erlösers, tiefer unten über einer Tafel mit Inschrift ein goldener Lorbeerkranz.

Die Inschrift lautet:

Hier ruhet in Gott

Henriette Sontag.
Vermählte Gräfin Rossi.
geboren zu Coblenz, den 3. Januar 1806.
gestorben zu Mexiko, den 17. Juni 1854.

R. I. P.

Dir war das reinste Erdenglück beschieden,
Kunst, Anmuth, Liebe wanden Dir den Kranz.
Nun ruhest Du in Gottes heil’gem Frieden
Umstrahlet von des Paradieses Glanz.
Für Deine Lieben hast Du Dich dem Tod geweiht.
Des Lebens Kron’ ist Dein, Dein ew’ge Seligkeit.

Zu Füßen des Sarges ist am Deckel in erhabener Arbeit das gräflich Rossi’sche Wappen angebracht und unter demselben, etwas tiefer, eine goldene, von Lorbeerzweigen umgebene Lyra. Der Sarg selbst trägt außer den christlichen und auf den Tod bezüglichen Emblemen noch einige auf der Künstlerin Ruhm, dann eine Inschrift, welche auf das liebenswürdige, engelhafte Wesen, das in ihm ruht, wohl nicht leicht besser hätte gewählt werden können. Sie lautet:

„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der
Liebe nicht, so wär’ ich ein tönend Erz. Die Liebe hört nimmer auf.“


Den goldenen Lorbeerkranz, den der Großherzog Georg von Mecklenburg-Strelitz auf das Grab von Henriette Sontag gesandt, haben die Worte begleitet:

Der besten Gattin und Mutter.
Der treuesten Freundin.
Der schönsten und liebenswürdigsten Frau.
Der größten Sängerin.


Mit einem seltsamen Gefühle schaut man auf diese einsame Ruhestätte jener von Tausenden so hoch gefeierten Künstlerin, die von frühester Jugend auf das bewegteste Leben geführt, Städte und Länder durchzogen und zuletzt jenseits des Meeres im fernen, fremden Lande starb, nachdem noch einmal die wundersamen Laute ihrer Stimme in zwei Welten erklungen waren, sie noch einmal im Tempel des Ruhmes sich unvervelkliche Lorbeeren gepflückt hatte.

Ein günstiges Geschick hat sie immer begleitet, ein seltenes Geschick ist ihr dadurch im Leben und Tode zu Theil geworden, daß sie stets ein geliebtes, theures Wesen zur Seite hatte. In ihrer frühesten Jugend war das sie schützende und leitende Wesen ihre Mutter, dann wandelte sie weiter an der Hand der Liebe und Treue, starb selbst im Arm des Gatten und im Tode ruht sie nun unter dem sie bewachenden Auge der einzigen Schwester, die vermöge ihres Gelübdes nie die stille Friedensstatt des Marienthaler Klosters verläßt.

Eine poetischere, friedlichere Grabstätte, in Bezug zur Lage des Ortes, kann man schwerlich finden. Des Klosters Lage läßt nichts zu wünschen übrig, – der Begräbnißplatz von Henriette Sontag – nach meinem Gefühle – Vieles! Ich kann nicht sagen, daß mir die Gruft in der Kreuzkapelle einen angenehmen oder wohlthuenden Eindruck gemacht hätte. Der Ort hat etwas zu Düsteres – nichts feierlich Erhebendes. Vielleicht muß man, um dieses Gefühl dort zu empfinden, Katholikin sein oder eine Vorliebe für Beisetzung in Grabgewölben haben. Ich bin nicht Katholikin, und eine Todtengruft ist mir etwas Entsetzliches! – Auf mich machte also die hölzerne, mit Eisengriffen versehene Doppelthüre am Fußboden der Kreuzkapelle einen unangenehmen Eindruck. Das verlassene, verödete Aussehen der Kapelle, die bestäubten Betstühle, die verblichenen Altardecken, die welken Blumen, vor Allem die Luft, der Mangel an Licht erhöhten diesen Eindruck.

Wie schön ist dagegen ein grüner Rasenhügel unter Gottes freiem Himmel, den die frische Luft umweht, die Sonne bescheint und auf den Mond und Sterne herableuchten!

Während ich, die Grabstätte von Henriette Sontag zeichnend, auf dem Klosterhofe saß, Sonnenschein Berge, Bäume, Rasen und Häuser umleuchtete, und ich die reine Herbstluft einathmete: da erschien mir die düstere Todtengruft doppelt schauerlich, doppelt unangenehm. – Immer mußte ich denken, warum man Henriette Sontag, die so froh und heiter gewesen, die so leicht und glücklich durch’s dunkle Leben gegangen, nicht ein Grab unter Gottes freiem Himmel gegeben! – Ihre Erscheinung soll licht und sonnig, wie der junge Tag gewesen sein, – ihre Stimme den schmelzend weichen Klang der Nachtigall mit dem klaren reinen Jubellaut der Lerche auf wunderbar schöne Weise vereinigt haben! – Warum begrub man sie also wohl nicht, wo der erste Lichtstrahl des Tages ihr Grab küssen konnte, wo Nachtigall und Lerche, denen sie Klang und Ton abgelauscht hatte, über ihrem Grabe ihr Lied erschallen lassen konnten? – – –

Meine Fragen müssen verstummen, wenn ich daran denke, daß

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_093.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)