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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und noch in vollem Glanz sich gegen Abend wendend, am tropischen Himmel Amerika’s entschwand. Henriette Sontag, Gräfin Rossi, die unvergeßliche große Künstlerin, die anspruchslose liebenswürdige Frau, die, wo sie sich nur zeigte, Alles durch den Zauber der Kunst und ihrer Persönlichkeit beherrschte, schläft den tiefen Schlaf des Todes. Mexiko, der letzte Schauplatz ihrer Triumphe, ward ihr Grab. Uns fehlen die Worte, die Bestürzung, den Schmerz und die tiefe Trauer zu schildern, welche die ganze Bevölkerung ohne Ausnahme an den Tag gelegt; in allen Familien fließen Thränen, als ob jede eine ihr theure Verwandte verloren. Wo zwei Welten trauern, scheint uns jeder Trost unmöglich, kleinlich, ja verletzend. Wie eine Heilige haben wir die würdigste aller Priesterinnen der Kunst verehrt, so wollen wir auch ihr Andenken wahren und ehren wie das einer Heiligen.“

Die deutsche Liedertafel in Mexiko übernahm die Anordnung des Begräbnisses. Den Zug eröffnete der mit vier Pferden bespannte Trauerwagen. Ihm folgte der Musikverein der Franzosen, dann die Mitglieder der deutschen Liedertafel, welche den mit Blumen geschmückten Sarg trugen. Der vom Sarge ausgehende Trauerflor wurde von vier Künstlern der Oper gehalten. Im unabsehbaren Zuge folgten die übrigen Leidtragenden, das ganze Opernpersonal, sämmtliche Mitglieder des deutschen Clubs, viele angesehene Fremde und die Mexikaner. Mehrere hundert Equipagen beschlossen den Zug, wie er so zahlreich noch nie in Mexiko vertreten gewesen, noch nimmer so feierlich gesehen worden. In der Kirche San Fernando ist der Sarg von der anwesenden Geistlichkeit und dem Opernorchester empfangen worden. Nach dem abgehaltenen Todtenamt stimmte die deutsche Liedertafel das Lied „O Sanctissima“ an, und unter diesen Klängen wurde die Leiche in der Kapelle beigesetzt, wo sie so lange bleiben sollte, bis sich ein Schiff fand, das den Transport nach Europa übenehmen wollte.

Einen seltsamen Contrast zu diesem prachtvollen Leichenbegängniß in Amerika bildet die auf deutschem Boden im Marienthaler Kloster veranstaltete kleine Feierlichkeit bei der Beisetzung Gräfin Rossi’s.

An einem klaren, sonnenhellen Maimorgen wurde der mit Kreuz und Lorbeerkranz geschmückte Sarg über den stillen einsamen Klosterhof in die Kapelle getragen und in die dunkle Gruft nieder gelassen! – – Anstatt jener Tausende von Fremden, anstatt alles Luxus und Glanzes, anstatt der ganzen mexikanischen Geistlichkeit in der prachtvollen Kirche zu San Fernando, eine kleine düstere Kapelle eines abgelegenen Klosters, am verwitterten Altare ein das Todtenamt verrichtender Geistlicher, in den dunklen Betstühlen aber eine Mutter, der Gatte, die Kinder und Brüder der Verstorbenen, und über dieser kleinen Welt von unnennbarem Weh und unsagbarem Schmerze, hinter den vergitterten Fenstern einer Loge in der Höhe der Kapelle, die einzige Schwester im Nonnenschleier! –

Welches Begräbniß ergreifender gewesen, wo die Trauer erschütternder – ich glaube nicht nöthig zu haben, es anzudeuten.

Die Sängerin, die Künstlerin wurde in Mexiko, – die Frau, Tochter, Mutter, Schwester in Marienthal begraben! – Ob sie nun auch in dunkler Gruft eines entlegenen Klosters den ewigen Schlaf des Todes schläft, – gestorben ist sie darum nicht, denn Henriette Sontag lebt in all den Herzen, die sie gekannt haben, und als leuchtender Stern wird ihr Name für ewig am Horizonte der Kunst strahlen.




Blätter und Blüthen.


Ein „echter Bürger“. In das kleine Stückchen Weimarische Erde, wo im Tode vereint der große Karl August, Schiller und Goethe ruhen, dicht neben seinem fürstlichen Herrn und Freunde, ist vor Kurzem ein Mann eingesenkt worden, der es wohl verdient, daß wir einen Kranz auf sein enges Bett legen. War er auch nur ein einfacher Mann, dessen Verdienste kein Geschichtsbuch einst aufzählen wird, – die „Gartenlaube“ richtet ja nicht nach Orden, die eine Brust bedecken, sondern nach den Thaten, die von dem Menschen und seinem Herzen Zeugniß geben.

Als wir vor einigen Monaten das Schillerfest feierten und mit Sorgsamkeit alle Personen und Schriftstücke aufsuchten, die uns ein Bild jener großen Zeit des kleinen Weimars geben konnten, fanden sich nur Wenige noch, die aus eigner Anschauung von dem geistigen Glanze jener Epoche erzählen konnten. Der alte Hoffmann, wie man in Weimar allgemein den Besitzer der Hofbuchhandlung nannte, war einer der Letzten, die jene Glanzperiode fast von Anfang an bis zu Ende mit durchlebt und in ihr thätig mitgewirkt hatten. Bereits 1802 an der Spitze seines Geschäfts, das er nur auf ausdrücklichen Wunsch des Herzogs Karl August und dessen Mutter, der bekannten Herzogin Amalia, übernahm, war er mit allen Herren der damaligen Zeit: Schiller, Goethe, Wieland, Schopenhauer, Kanzler Müller, Bertuch, Einsiedel, St. Schütze etc., theils befreundet, theils in täglicher geschäftllicher Verbindung. Sein Fürst, der große Karl August, beehrte ihn mit einem so unbedingten Vertrauen, daß er ausdrücklich den Befehl erließ: „den Hoffmann unangemeldet in sein Arbeitscabinet eintreten zu lassen,“ eine Erlaubniß, von der dieser fünfundzwanzig Jahre bis zum Tode des Großherzogs Gebrauch machte, und zwar, wie er mit Stolz hinzusetzte: „nicht in Frack und Schuhen, sondern im langen Rock und Stiefeln“ – In den Jahren 1806 bis 1812 benutzte der deutschgesinnte Fürst, der fortwährend gegen Napoleon conspirirte, den gewissenhaften Mann oft zur Besorgung der geheimsten, aber auch gefährlichsten Correspondenzen und Aufträge, deren Entdeckung demselben unbedingt das Schicksal seines Collegen Palm bereitet haben würde. Wir kennen einige Episoden aus jener Zeit, die ein so herzerquickendes und seltenes Bild eines schönen Verhältnisses zwischen Fürst und Unterthan abgeben, daß uns nur Rücksichten der Pietät veranlassen können, sie nicht zu veröffentlichen. Die Liebe zu diesem großen Fürsten war lange nach dessen Tode in dem zweiundachtzigjährigen Greise noch so lebendig, daß er keine größere Freude kannte, als von dem „alten Herrn“ zu erzählen, mit dem er so viele schöne Stunden verlebt hatte. Und diese Liebe trug sich auch in der Folge auf den genialen Sohn des alten Herrn über, den noch jetzt lebenden Herzog Bernhard von Weimar, mit dem er in späteren Jahren oft bis tief in die Nacht zusammen auf den Holzstühlen seinen Geschäfts saß und von alten vergangenen Zeiten plauderte, die für Beide eine reiche Quelle schöner Erinnerungen boten. Karl August belohnte seine Anhänglichkeit mit dem Rathstitel und der goldenen Verdienst-Medaille.

Was er als Buchhändler leistete, gehört nicht hierher, obwohl seine Firma lange Zeit zu den hervorragendsten den deutschen Buchhandels gehörte. Die „Reise des Herzogs Bernhard von Weimar nach Amerika“, Kotzebue’s literarisches Wochenblatt (jetzt Blätter für literarische Unterhaltung), Kotzebue’s Reisen um die Welt, Herder’s Briefe über das Studium der Theologie, mehrere Predigten desselben Verfassers, des bekannten Rationalisten Röhr Schriften und noch viele andere verdienstliche Werke gingen aus seinem Verlage hervor. In den zwanziger Jahren hatte er in Verbindung mit den Gebrüdern Hahn in Hannover den Ankauf der Goethe’schen Gesammtwerke für 100,000 Thaler contrahirt, welches Abkommen indeß durch die Machinationen eines bekannten Weimarischen Herrn wieder vereitelt wurde. Interessant ist, daß sein Geschäft bereits seit 1725, mithin jetzt 135 Jahre in den Händen der Hoffmann’schen Familie ist, die dasselbe stets in demselben Locale, dem Hause des Malers Lucas Kranach, dessen Arbeitsstübchen jetzt noch zu sehen ist, betrieben hat. Bereits 1852 feierte der „alte Hoffmann“ sein fünfzigjähriges Jubiläum als Chef seiner Handlung.

Wir haben es indeß hier weniger mit dem Buchhändler, sondern mehr mit dem Menschen und Bürger zu thun. Der alte Hoffmann war einer jener Männer, die in dem Munde des Volkes sehr bezeichnend als „echte Bürger“ leben und gelobt werden. Witzig, derb und stets schlagfertig, wenn es galt, seine Meinung zu vertheidigen oder im Rathe der Gemeinde sein Votum abzugeben, verbarg er unter der Maske des Humors und des Scherzes ein so warmes Herz für die Leiden seiner Mitmenschen, daß er keine Gelegenheit vorübergehen ließ, wo es Noth that, mit Rath und That beizuspringen. Ein rastloser Helfer der Bedrängten, ein treuer Freund der Armen, wie und wo er sie fand, gab er oft mehr, als seine Mittel erlaubten, und Schreiber dieser Zeilen kennt manchen Bauer, dessen abgebrannte Ställe und Scheuer mit der Unterstützung dieses Ehrenmannes aufgebaut sind. Als im Jahre 1810 eine Pulverexplosion einen großen Theil von Eisenach zerstörte, war es der alte Hoffmann, der, mit der Büchse in der Hand, allein an 6000 Thaler für die Beschädigten sammelte und ihnen außerdem noch Kleider, Brod und Betten sandte. Das war damals, wo es keine Zeitungen gab, oder das einzige dort existirende Blättchen doch nur in 120–150 Exemplaren gelesen ward, nicht so leicht, als jetzt, wo durch einen warm geschriebenen Aufruf einer vielgelesenen Zeitung mit Leichtigkeit und ohne persönliche Bemühungen Tausende gesammelt werden. Die „grüne Büchse“ des alten Hoffmann, wenn sie bei Gelegenheit einer Wassers- oder Feuersnoth in der Stadt umherging, oder in der Buchhandlung aufgestellt war, war bekannt im ganzen Lande, und von allen Seiten flossen ihr reichliche Gaben zu. So gelang es dem einzelnen Manne, in dem Jahre 1814 bedeutende Summen für die Familien der Kämpfer des Vaterlandes zu sammeln; er war es, der zuerst in Weimar einen „Weihnachtsbaum für arme Kinder“ anzündete, und an ihn wendeten sich die Gemeinden, die von Feuer oder Wasser heimgesucht waren und ihrer Noth kein Ende wußten. So oft auch seine Hülfe in Anspruch genommen wurde, er ward nicht müde und ließ nicht nach im Betteln für die Armen und Bedrängten und legte schließlich selbst aus eigenen Mitteln bei, so viel oder so wenig er eben entbehren konnte, wenn die Sammlung zur Deckung der vielen Ansprüche nicht ausreichen wollte. Wie viele Thränen verschämter Armen er getrocknet, wissen nur die, welche ihm ganz nahe standen.

Als vor einigen Wochen der 82jahrige Greis in den Armen seines einzigen geliebten Sohnes starb, waren es die Thränen der Armen, die seinen Sarg benetzten, und ein Leidtragender hatte sehr Recht, als er weinend sagte:

„Er war einer von den Bravsten der Braven und hinterläßt keinen Feind! Wir haben ihn nie in der Kirche gesehen, aber er war ein Mensch in der schönsten und edelsten Bedeutung des Wortes!“



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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_095.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)