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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 8. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Guntershausen.
Von Claire von Glümer.
(Fortsetzung.)
IV.

Frau von Hersenbrook hatte gerade im Hauptgebäude die Arbeiten der Bauleute in Augenschein genommen, als der Wagen der Aebtissin am Verwalterhause vorgefahren war. Auf die Meldung des Dieners war die Generalin hinübergeeilt, ihren Gast zu empfangen, und war auf halbem Wege mit Hedwig zusammengetroffen, die nach flüchtiger Begrüßung weiter ging, um sich, wie sie sagte, nach Eva umzusehen. Die Generalin war selbst so erregt, daß sie die Unruhe des jungen Mädchens übersehen hatte. Auch war es ihr im höchsten Grade erwünscht, mit der Aebtissin allein zu sein, und mit einer ihr sonst fremden Hast trat sie wenige Augenblicke später in das Gemach, das sie nothdürftig zum Empfangszimmer eingerichtet hatte. Ernestine von Guntershausen hatte sich in einen Sessel am Fenster niedergelassen. Beim Eintritt der Generalin stand sie auf. Es war eine mittelgroße, etwas hagere Gestalt, die sich trotz sechszig Jahre vollkommen aufrecht hielt und in ihrer schwarzen Ordenstracht mit der feingefalteten Haube, der breiten Halskrause und dem goldenen Kreuz an der linken Schulter beinahe aussah, als wäre sie aus einem der alten Rahmen im Ahnensaale zu Guntershausen niedergestiegen. Auch das scharfgeschnittene, wachsbleiche Gesicht der Dame hatte etwas von der Starrheit eines Bildes. Der strenge, eigensinnige Zug um die schmalen, blassen Lippen, die tiefe Falte zwischen den Augenbrauen, selbst die hochmüthige Haltung des Kopfes blieben sich immer gleich. Nur in den großen, runden, hellgrauen Augen mit den schwarzen Wimpern und Brauen war Leben und wechselnder Ausdruck. Aber mochten sie Haß oder Liebe, Gleichgültigkeit oder Zorn, Spott oder Beifall verrathen, unheimlich waren sie immer und übten fast auf Jeden, der von ihrem scharfen Blick getroffen wurde, eine beängstigende oder doch erkältende Wirkung.

Auch die Generalin empfand diesen Einfluß, besonders wenn sie, wie heute, nach langer Abwesenheit oder zur Besprechung wichtiger Fragen mit der Aebtissin zusammenkam. Der sonst so gewandten Frau stand jetzt kaum ein Wort zu Gebote, um den Dank für die schnelle Erfüllung ihrer Bitten auszusprechen. Ernestine schnitt ihre Rede durch eine abwehrende Handbewegung ab.

„Lassen wir das, Frau Schwägerin,“ sagte sie in ihrem harten Tone, indem sie sich wieder setzte und die Generalin bedeutete, ihr gegenüber Platz zu nehmen. „Sie haben mir nicht zu danken und werden sich nicht mehr freuen, wenn Sie hören, warum ich hier bin. – Umschweife und Redensarten,“ fuhr sie fort, ohne den höflichen Einwendungen der Generalin die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, „Umschweife und Redensarten sind einmal nicht meine Sache. Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, will ich Ihnen darum gleich von vorn herein erklären, daß ich mit Ihrer Ansicht der Verhältnisse nicht harmonire. Ich bin mit Lothars Wahl zufrieden und werde dem jungen Paare mit tausend Freuden meinen Segen geben.“

„Sie sind gütig!“ erwiderte die Generalin mit dem ihr eigenen feinen, vielsagenden Lächeln. „Ich muß aber gestehen, daß ich weniger um Lothars Glück in Sorge war, als um das meines Kindes.“

„Glück!“ wiederholte die Aebtissin, deren Augen spöttisch aufleuchteten. „Ich weiß nicht, Liebste, was Sie darunter verstehen. Was man gewöhnlich so nennt, gehört für mich unter die Popanze der Kinderstube. Ich weiß freilich, meine liebe Hersenbrook, daß es Leute in Menge gibt, die nur danach streben, ihr Leben mit Amüsements und Thorheiten aller Art zu füllen, aber ich habe dazu niemals Zeit gehabt und danke Gott dafür.“

„Ich weiß, Sie haben sich immer für Andere geopfert,“ schaltete die Generalin sarkastisch ein.

„Da sind Sie wieder im Irrthum, Frau Schwägerin!“ rief die alte Dame. „Geopfert habe ich mich nie; Sentimentalität und was dahin gehört, ist mir in den Tod zuwider. Ich habe einfach meine Augen aufgemacht, habe gefragt: was thut Noth – was kann ich ausrichten? – und wenn ich das einmal wußte, bin ich auf mein Ziel losgegangen, ohne erst zu fragen, ob der Weg auch hübsch bequem für Atlasschuhe und Florkleider eingerichtet wäre. Das, meine Liebe, verlange ich auch von Andern – das verlange ich z. B. jetzt von Ihrer Eva.“

Die Generalin hatte wieder ihre kindliche Miene angenommen. „Sie schildern das so schön, es klingt so leicht, so einfach!“ seufzte sie. „Und doch können wir niemals wissen, ob wir auch wirklich auf rechtem Wege sind, dem rechten Ziele nachstreben. Schon vor Jahren sollte meiner Tochter dieselbe Aufgabe beschieden sein, die Sie ihr jetzt wieder zuweisen – plötzlich wurde eine Andere an ihrer Statt berufen – wer sollte da den alten Glauben, die alte Ueberzeugung festhalten? Wenn Eva nun nicht mehr frei wäre?“

„Ich verstehe, Sie wollen mir den Vorwurf der Inconsequenz machen,“ fiel die Aebtissin ein. Ihr Ton blieb unverändert – kalt wie ihre Miene, aber das Sprühen der weit geöffneten grauen Augen verrieth, daß sie zornig erregt war. „Sie irren sich,“ fuhr sie fort, „ich will heute noch, was ich vor zehn Jahren wollte – es ist dasselbe, was ich seit vierzig Jahren unter allen Verhältnissen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_113.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)