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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ein Gang nach und durch Melbourne.

Es war mitten im südaustralischen Sommer, d. h. nach unserm Kalender im Februar, als ich von dem felsigen Vorsprunge Liardet’s Jetty in die Hobson-Bucht hinausathmete, um gegen die brennende, auf Bretern und Balken Blasen ziehende Sonne etwas Luft und Kühlung zu erhaschen. Alles schien zu verbrennen, zu knistern und zu spalten unter den Brandstrahlen dieser entsetzlichen Sonne. Alle Schiffe, Maste, Takelagen, Boote krochen gleichsam zusammen vor brennendem Schmerz, wie Schafe unter einem deutschen Juli, und schnappten, ohne sich weiter zu rühren.

Aber plötzlich wird’s lebendig, wenigstens auf einem Schiffe drüben in der Hobson-Bucht. Eine Flagge steigt bis an die äußerste Mastspitze, ein Signal für die Wasserpolizei, wie mein Begleiter sofort erkennt. Die Matrosen auf dem Schiffe schreien und toben, der Capitain schlägt, stößt und haut wild unter ihnen umher und steht mit einem Revolver über dem Boote, in welchem die Matrosen ihre Flucht vorbereitet hatten. Inzwischen schießt das Polizeiboot blitzschnell heran. Der Capitain wirft ihm ein Tau zu, und die Constabler klettern hinauf wie Katzen und balgen sich auf dem Verdeck umher wie Wahnsinnige. Aber der Kampf ist bald zu Ende. Die Haupthelden der aufrührerischen Matrosen gehen still mit eisengefesselten Händen auf dem Rücken auf und ab, die Andern staunen und starren halb wüthend, halb ehrfurchtsvoll auf die Constabler, die nun ganz kaltblütig auf dem Deck umhersitzen und ihre Pfeifen rauchen. Inspector und Capitain rauchen als Auszeichnung Cigarren. Die physisch und moralisch geduckten Matrosen thun ihre Schuldigkeit, da sie alle Commandos des Capitains pünktlich ausführen. So kommt das Schiff bald auf den Seeweg und verschwindet allmählich aus unsern Augen. Das Polizeiboot kehrte nach einigen Stunden zurück; es hatte eine seiner ziemlich alltäglichen Hafenpflichten gethan und Matrosen, die in der Betrunkenheit gemiethet, aufs Schiff geschleppt, nüchtern und rebellisch geworden waren, zur Ordnung, das Schiff ordentlich auf Oceanwasser gebracht und dann dem Capitain und der Gewalt des offenen Salzwassers das Uebrige anheimgegeben. Matrosen rebelliren nicht auf offenem Meere, sondern nur verführt von dem Anblick der Sirene: Land.

Melbourne.
Nach einer Abbildung der Melbourner deutschen Zeitung.

Vom Hafendamme her kommt uns ein armseliges Skelett von Jungen entgegen, der mit dünner Stimme vertrocknete, melancholische kleine Torten von einem armseligen Blech anbietet. Er sieht so hoffnungslos und körperlich wie geistig verkommen aus, daß ich mitleidig einen seiner „puffs“ kaufe und ein menschliches Wort fallen lasse. Dieser Ton der Humanität rührt ihn sofort zu Thränen. Eines Arztes Sohn in England, seit zwei Monaten hier mit den besten Empfehlungen und hübschen goldenen Pfunden – Alles verloren, in Lumpen, handelt er auf Straßen umher, schläft, wo er müde ist und nicht weiter kann. „O, wenn mich meine Mutter so sähe!“ – Alltägliche Geschichte von Hunderten, die mit rosigen Hoffnungen fast täglich aus der alten Welt herbeiströmen und in gelber Verzweiflung enden. – Da wächst ja eben wieder eine schwimmende Stadt voll Einwanderer heran! Die frisch gestrichenen Planken und Maste, neu getheerte Takelage und weißen Segel glänzen und glitzern unter der wolkenlosen Sonne. Eine rothe Flagge flappt von der Mastspitze. Alles, auch die auf dem Vorderdeck gedrängten Passagiere, trägt Festtagsputz. Segel auf Segel wird eingezogen, bis die vollschwellende Takelage zum Gerippe einschrumpft. Die Ankerkette knattert wie eine Salve durch das Hawse-Loch, bis der Anker unten festen Fuß faßt und das lange auf den Wogen geschleuderte Schiff lammfromm still steht. Beamte rudern heran, klettern auf, untersuchen und inspicircn, wie in dem polizeireichsten Hafen der alten Welt, und lassen erst nach vollendeter Arbeit die lauernden Lösch- und Passagierboote anlegen. Auch ein Dampfboot ist da mit flammingofarbigem Capitain auf der Räderbrücke. Passagiere und Gepäck stürzen sich ungeduldig auf dasselbe, auch verkleidete Matrosen als Deserteurs in der Menge, sodaß es bald triumphirend stromaufwärts davon schießt und den kleineren Booten Platz macht. Alles singt und jauchzt, auch die auf dem Dampfboote, die für ihr Gepäck auf der Flußstraße von acht englischen Meilen bis an das eigentliche Melbourne blos ein Bischen mehr bezahlen müssen, als für das schwerste Frachtgut von London bis in die Hauptstadt des „glücklichen Victoria-Australiens“; sie werden, hoffnungstrunken, nicht einmal nüchtern durch den Anblick des schmutzig gelben Yarra-Yarra und seiner geborstenen, trostlosen Ufer mit den knurzigen, verkrüppelten, roth- und braunblätterigen Bäumen und den schläfrigen Pelikanen, nicht durch die Labyrinthe von Schiffen, Tauen und Theerjacken, die weiter oben den Fluß verengen und das Gelb zu schmutzigem Kaffeebraun verdüstern, nicht durch den Geruch der Talg-, Theer- und Seifensiedereien an den Ufern – durch nichts; denn sie brennen vor Begier, die Glückspilzstadt des Goldes zu betreten, in kürzester Frist Crösus zu werden und goldbeladen sich in die beste Gesellschaft des Westendes zu London einzukaufen, oder als Dukatenmänner und Wunderthiere den Philistern in Deutschland beim Biere erbitternd unglaubliche Fabeln aufzubinden. Sie landen und finden sich heimathlos und allein unter Bergen von Gepäck und wahren Cannibalen von Trägern und Fuhrleuten, denen man den Werth seines Koffers bezahlen muß, wenn sie ihn bis zur Stadt fördern sollen.

Auf der linken Seite des Landungsplatzes lockt uns zum ersten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_117.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)