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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

von Zorn und Verachtung, womit sie mich bei diesen Worten anstarrte, nie vergessen.

„Ich hätte nicht geglaubt,“ sagte sie, „daß mich irgend Jemand im Verdacht haben könnte, mit dem Mörder des einzigen Mannes, den ich geachtet und geliebt habe, in Verbindung zu stehen.“ Mit diesen Worten stand sie auf und ging, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, zur Thür hinaus.

„Nach der eben geschilderten Scene wurde unser Verhältniß von Tag zu Tage unerträglicher. Mein Haus wurde mir mehr und mehr verhaßt, das ganze Leben war mir verleidet. Dazu kam, daß ich alle Ursache hatte, mit mir selber unzufrieden zu sein. In dem Verlangen nach Zerstreuung hatte ich meine Aufgabe, die Verwaltung der Güter, auf’s Schmählichste vernachlässigt. Kam ich mit Tante Ernestine zusammen – was freilich nicht oft geschah, da wir uns seit meiner Heirath soviel als möglich vermieden – aber kam ich mit ihr zusammen, so las ich einen Vorwurf in jedem ihrer Blicke; sah ich Guntershausen nach längerer Abwesenheit wieder, so fand ich tausend Unordnungen, die mich peinigten, zu deren Abstellung mir aber die nöthige Energie mehr und mehr verloren ging. Wäre Krieg gewesen, so wäre ich wieder Soldat geworden – ich hatte den Abschied genommen, als ich in Besitz der Güter kam – aber dem Auslande dienen? So weit war ich noch nicht herunter gekommen.

„Der Sommer kam, wir gingen nach Guntershausen. In Lindenbad wurde damals eine Spielbank eröffnet, ich ritt häufig hinüber und kam oft wochenlang nicht nach Hause. Bekanntschaften machte ich wenige, denn die Gesellschaft gefiel mir nicht, und so wurde ich wenig beachtet. Eines Tages, als ich einsam wie gewöhnlich unter den Bäumen am Cursaal meine Cigarre rauchte, hörte ich von ein paar Herren am nächsten Tische einen Namen nennen, der mich gewaltsam aus meiner trübseligen Träumerei aufrüttelte.

„Wo bleibt denn Rieth?“ sagte Einer, ein verdächtig aussehendes Subject, das schmutzige Wäsche trug und mit Schmuck überladen war. „Die Spielsäle werden geöffnet, er pflegt doch sonst keine Viertelstunde zu versäumen – und als er gestern ankam, war auch seine erste Frage nach der Bank.“

„Vergiß doch nicht, daß er hier Mr. Jackson heißt,“ erwiderte der Andere, ein schwarzbärtiger Mann mit militairischem Anstande. „Heute wird er übrigens nicht kommen; er macht einen Besuch in der Nachbarschaft. Guntershofen oder Guntershausen heißt das Nest.“

„Mehr brauchte ich nicht zu wissen. Ich eilte in mein Hotel, ließ satteln, steckte meine Pistolen zu mir und jagte Guntershausen zu. Am äußeren Thore trat mir der alte Joseph zitternd entgegen. „Ist meine Frau zu Hause?“ schrie ich ihn an, indem ich vom Pferde sprang.

„Gräfliche Gnaden sind eben von Berndorf zurückgekommen,“ stammelte er.

„In Berndorf war Erntefest, das Jauchzen und Schießen war deutlich zu hören. „Wer ist sonst noch da?“ fuhr ich fort, und als er erbleichend zurücktrat, faßte ich den armen alten Menschen bei der Schulter. „Gesteh’, oder –“ stieß ich hervor.

Garibaldi.


„Er nannte den Namen, den ich zu hören erwartete. In großen Sätzen sprang ich die Treppe hinauf und eilte Isidorens Zimmer zu. Ich war wie berauscht vor Zorn und Rachedurst. Die stolzen Worte, womit Isidore vor einigen Monaten meinen Verdacht zum Schweigen gebracht hatte, tönten mir in den Ohren – wie verächtlich war mir dies Weib dies Weib, das meinen Namen trug! Endlich stand ich an der Thür und stieß sie auf. Alles war still; die Läden waren geschlossen, aber trotz der tiefen Dämmerung sehe ich eine große Gestalt aus der gegenüberliegenden Thür treten – es ist Rieth! Bei meinem Anblick weicht er zurück.

„Steh’, Niederträchtiger, oder ich schieße!“ rufe ich, meiner selbst nicht mehr mächtig. Er hört nicht – ich erhebe das Pistol – in demselben Augenblicke stürzt laut schreiend eine weiße Gestalt aus Isidorens Zimmer, umschließt den Bedrohten mit beiden Armen und sinkt von meiner Kugel getroffen in sich zusammen.

„Mit einem Schrei der Wuth faßt Rieth sie in die Arme, trägt sie in ihr Zimmer zurück und wirft die Thür hinter sich in’s Schloß.

Als es mir gelingt, sie zu öffnen, ist er verschwunden – aber die weiße Gestalt liegt mitten im Zimmer am Boden, still und starr. Ich hatte mein Weib erschossen!

„Erlaß mir, weitläufig von den entsetzlichen Stunden zu erzählen, die nun folgten. Ich war wie vernichtet. Joseph und Tante Ernestine traten handelnd, helfend ein, um das Einzige zu retten, was noch zu retten war, die Ehre des Namens, während ich, dem Wahnsinn nahe, in dem kleinen Raume, wo das Gräßliche geschehen war, hin und her rannte, oder am Lager der Gemordeten stand und die kleine, kalte Hand, die jetzt zum ersten Male ohne Widerstand in der meinigen lag, mit Küssen bedeckte. Als ich einigermaßen zur Besinnung kam, gab mir Tante Ernestine ein Billet, das sie in Isidorens Kleidern gefunden hatte. Es war von Rieth am Tage des Unglücks geschrieben und wahrscheinlich erst in Berndorf an Isidore gelangt. Rieth schrieb darin, er wäre erbötig, „seiner theuren Isidore“ gegen Auszahlung einer Summe, die er umgehend brauche, ihre Briefe zurückzugeben. Wolle sie nicht auf seinen Vorschlag eingehen, so sähe er sich genöthigt, diese interessanten Blätter einigen ihrer Verehrer zu überlassen, die darin mit Freuden den Beweis finden würden, daß Gräfin Isidore nicht immer so kalt gewesen wäre, wie es jetzt den Anschein hätte. Auch die Briefe waren da. In einem Päckchen zusammengebunden hatten sie auf dem Tische im blauen Zimmer gelegen. Als ich mich endlich entschleß, einen Blick hineinzuwerfen, fand ich bestätigt, was mir Tante Ernestine über das Verhältniß zu Rieth gesagt hatte. Es war ein tändelndes Spiel, ein kindisches Verlöbniß, das Rieth selbst wohl nie als bindend angesehen hatte, das er aber trefflich zu nutzen verstand, um die Unerfahrene zu ängstigen und zu quälen, und so war das arme Weib demselben zum Opfer gefallen. Oder war sie nicht vielmehr das Opfer meiner Heftigkeit, meines Mißtrauens? Nicht Rieth – ich war ihr Mörder. Diese Last auf der Seele, dies Bewußtsein – und dann leben sollen wie zuvor! Wie oft war ich im Begriff, mich der weltlichen Gerechtigkeit zu überliefern, um der Qual ein Ende zu machen. Aber Tante Ernestine erinnerte mich an meine Schwestern, der Arzt, ein alter Freund der Familie, der uns bei dem Trauerfall hülfreich zur Seite gestanden hatte, that dasselbe – der alte Joseph lag weinend vor mir auf den Knieen und beschwor mich, diesen Mahnungen zu folgen; und so nahm ich die Last auf mich und schwieg.

„Die Todesart Isidorens blieb ein Geheimniß. Die Wenigen, die die Wahrheit kannten, waren treu wie Gold. Es war freilich möglich, daß noch ein Wesen darum wußte – Isidorens Kammermädchen. Joseph hatte sie noch wenige Minuten vor meiner Ankunft im Hause gesehen. Dann aber hatte sie die allgemeine Verwirrung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_133.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)