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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Die Geistermaschine auf dem so beschriebenen Papier oder Bret wird nun auf dem Tische aufgestellt. Eine dazu besonders fähige und ausgewählte Person legt die Fingerspitzen darauf, und das Manöver beginnt. Die erste Frage, die nun gestellt wird, ist: „Ist was da?“ Die Storchschnabelgeistermaschine antwortet nun durch Zeigen auf die einzelnen Buchstaben in der Regel: „Ja.“ Der Geist ist also nun erschienen. Es wird weiter gefragt: „Wer bist du?“ Der Geist antwortet jetzt durch seinen Dolmetscher offenherzig seinen Namen, befiehlt darauf sehr häufig, ein bestimmtes Capitel aus der Bibel oder ein Lied aus dem Gesangbuche zu lesen. Dies wird gethan, und der Geist fängt nunmehr an, auf die an ihn gestellten Fragen weiter zu antworten. Merkwürdig ist es, daß, sobald sich unter den Zuschauern oder Fragenden Einer befindet, der als „Ungläubiger“ bekannt ist oder sich während der Handlung als solcher zu erkennen gibt, der Geist denselben hinwegzugehen auffordert, oder seine Orakelsprüche einstellt. Den Grund dieses Trotzes kann ich mir sehr wohl denken, will ihn aber, aus Furcht, mir den Haß der „Gläubigen“ zuzuziehen, nicht kundgeben.

Wegen dieses Geistertrotzes ist es mir leider bis jetzt noch nicht recht gelungen, einer solchen eigentlichen Geisterorakelspruchspendung in der Nähe beizuwohnen, daher kann ich meine Mittheilungen zum Theil nur auf die Aussagen glaubwürdiger „gläubiger“ Augenzeugen gründen. Nur ein einziges Mal hatte ich das Glück, in eine Familie zu kommen, als eben die Geistermaschine in größter Thätigkeit war, unter der Leitung eines sechzehnjährigen Mädchens einer ziemlich großen Gesellschaft die Aussprüche des anwesenden Geistes mitzutheilen. Ich schlich mich unbemerkt hinzu, und ich muß gestehen, ich erstaunte beinahe. Das Instrument arbeitete mit der Schnelligkeit und Gewandtheit eines Telegraphen und antwortete, daß Allen die Haare zu Berge standen, und zwar trotzdem, daß meine Anwesenheit Allen jetzt bekannt war. Ich sah eine Weile ruhig zu, und bat endlich das Mädchen, sich die Augen verbinden zu lassen, da doch die Maschine, wenn sie allein vom anwesenden Geiste geführt würde, auch bei verbundenen Augen der sie mit den Fingerspitzen berührenden Person ebenso arbeiten müsse. Nach langem Sträuben überredete endlich ich und noch einige Verständigere der Anwesenden das Mädchen, meiner Bitte nachzukommen; und siehe, wunderbar! das Instrument fing an, sich zu bewegen, und – traf keinen Buchstaben, sondern fuhr auf drei Seiten über das Papier hinaus. Ich lächelte, sagte kein Wort und entfernte mich ruhig. Seit diesem Factum habe ich nicht wieder gewagt, einer solchen Geisterbefragung beizuwohnen.

An die größten, bei den schriftlichen Antworten vorkommenden orthographischen Fehler muß man sich gewöhnen; selbst die Geister von Pastoren und Professoren scheinen seit ihrem Tode die Orthographie der deutschen Sprache, vielleicht aus Mangel an Feder und Papier und an Uebung, ganz verlernt zu haben.

Die gewöhnlichsten Fragen, die gestellt werden, beziehen sich darauf, wer der Geist sei, wie lange er todt sei, ob er im Himmel oder noch nicht im Himmel sei; im letztern Falle, warum er noch nicht im Himmel sei, wie lange er noch zu warten habe, ehe er dahin käme, und andere Fragen, die die lebende Menschheit betreffen; vergangenes und gegenwärtiges Unbekanntes. Selten läßt sich der Geist dazu bewegen, Zukünftiges vorher zu sagen. Nur höchstens die Geister großer Männer und Propheten, wie eines Jesaias, Elias, Johannes des Täufers etc. lassen bisweilen einen Blick in die Zukunft thun. Solche Geister erscheinen aber höchst selten und nur in Folge ganz großer vorgenommener Feierlichkeiten. Geister von verstorbenen notorischen Bösewichten erscheinen nicht, da sie durch die oben erwähnte auf dem Papier niedergeschriebene letzte Bannungsformel hinweggebannt sind. [1]

Kurz, die Manie gewinnt leider mit jedem Tage an Vervollkommnung und localer Ausdehnung, scheint mir aber auch mit jedem Tage, was das religiöse Gebiet anbelangt, bedenklicher zu werden.

Den höchsten Gipfelpunkt hat sie aber bereits in einem Dorfe erreicht, dessen Namen ich nicht nennen will. Sie hat sich daselbst unter der Oberleitung eines wohlhabenden, bejahrten, corpulenten Mannes, dem als Geistermaschinenführerin ein Mädchen zur Seite steht, schon fast serienmäßig entwickelt. Eine zierlich gearbeitete Geistermaschine steht auf einem schwarzgedeckten Tische, unter ihr das oben beschriebene Papier oder Bret; neben ihr auf beiden Seiten zwei brennende Wachskerzen (denn nur des Abends wird in der Regel die Citation vorgenommen), desgleichen Bibel und Gesangbuch. Die Handlung wird durch Gesang eines geistlichen Liedes und durch Vorlesung einer Stelle oder eines Capitels aus der Bibel eröffnet und unter größter Andacht betrieben. Dabei haben die Gläubigen, ich weiß nicht durch die Offenbarung welches welthistorisch und mathematisch gelehrten Geistes, besonders eine wichtige, welterschütternde und weltverwirrende Entdeckung gemacht, nämlich die, daß das Weihnachtsfest von uns Christen an einem falschen Tage gefeiert werde. Christus sei nicht am 25. December, sondern am 30. December geboren, und dieser Tag sei daher als der wahre Geburtstag desselben zu feiern. Die Feier des Weihnachtsfestes an diesem Tage wurde beschlossen und vorbereitet. Als Beweis, daß dies der wahre Tag sei, werde am Abend desselben ein Zeichen am Himmel erscheinen. Der erwartete Tag erscheint. Gegen 2000 Menschen strömen aus der Umgegend herbei, in den zur Feier besonders eingerichteten Saal. Das Zeichen am Himmel kann aber leider nicht erscheinen, da der Himmel ganz finster und mit Regenwolken bedeckt ist. Man beginnt die eigentliche Weihnachtsfeier mit Singen und Vorlesen aus der Bibel. Die Geistermaschine wird darauf um weitere Befehle bezüglich der Feier befragt. Sie fängt an zu antworten – da erscheint beorderte Polizei und die Versammlung muß aus einander gehen. Die Maschine schweigt, die Feier ist vereitelt. Daß letztere noch im Stillen von einzelnen Gläubigen beendet worden ist, vermuthe ich, will es aber nicht behaupten. Der Geisterspuk wird seit jenem Tage noch fast täglich im Geheimen betrieben und hat sogar seitdem noch Anhänger gefunden. – Es war sogar eine Zeit, ich weiß nicht, ob noch, wo Kranke nach jenem Dorfe gingen, um sich Mittel gegen ihre Krankheit bei der Geistermaschine zu erfragen. Die Maschine schrieb Recepte: Hollunderthee, Schafgarbe, Regengarbe, Pfefferminze und dergl., und die Kranken wurden glücklich dadurch geheilt. Ja, auch Diebe wagen nicht mehr zu stehlen, denn die Geistermaschine offenbart schon am andern Tage ganz genau den Dieb. – In jenem Dorfe aber sich über den Geisterspuk lustig zu machen, möchte ich Keinem rathen, der einer Tracht bauerfester Prügel ungern seinen Rücken zum Prellpunkte macht.

Ich könnte noch manches derartige tolle Zeug mittheilen, besonders noch eine Menge wunderbarer Geschichtchen, die man sich von der Weisheit und Allwissenheit der Geistermaschine erzählt, allein genug davon.




Ein Blick auf Marokko.

Alles Seltsame und Fremde kommt uns sprüchwörtlich „spanisch“ vor, und vom Kaiserthum Marokko wissen wir noch weniger, so daß wir uns bisher wohl wenig um einen der grausamsten Kriege dieses Jahrhunderts, den spanisch-marokkanischen, bekümmert haben. Und doch gehört er wesentlich in die jetzige Politik und ist eigentlich ein verkappter Krieg Napoleon’s gegen England und dessen Macht auf dem mittelländischen Meere. Der Krieg wurde den Marokkanern von O’Donnell, dem abenteuerlichen Irländer, der jetzt eigentlich in Spanien herrscht und der Napoleon aus Furcht – wie die meisten jetzigen Heroen Europa’s – gefällig sein wollte, barbarisch aufgezwungen und ist bis jetzt siegreich gewesen, da die Spanier gereifelte Gewehre und Kanonen, militairische Taktik und Disciplin und außerdem alte, gloriose Erinnerungen an einen achthundertjährigen Krieg mit mehr als tausend blutigen Schlachten gegen die Mauren-Herrschaft in Spanien – gegen diese wilden, barfüßigen, zerlumpten Mauren Marokko’s mit hinüberbrachten.

  1. Im intelligenten Leipzig ist man in der Citirung der Geister bereits weiter vorgeschritten. Es antworten hier ältere (aus dem 12–17. Jahrhunderte stammende) und jüngere Geister. Die Letzteren, welche leichter zu citiren sind, weil sie noch mehr mit der Erde zusammenhängen, stehen unter Aufsicht der älteren Veteranen und haben den Befehlen derselben unbedingt zu gehorchen. Sie schreiben Recepte, geben Rath und Auskunft über verborgene Dinge. Durch längeres Arbeiten an der Maschine erwerben sich die alten Burschen endlich die ewige Seligkeit und treten für immer ab. Das ist kein Spaß, sondern bitterer Ernst, für dessen Wahrheit Viele den höchsten Eid schwören würden.
    Die Redaction.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_153.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)