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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

in seinen „marokkanischen Reisen“,[1] die eben erschienen sind, mit allen Einzelheiten und ernsthaft erzählte, würden wir diese Zahntragikomödie für eine nutzlose Erfindung halten.

Von dem Fanatismus der Marokkaner gibt’s übrigens noch schlagendere Beispiele. Barth, der Monate lang in Timbuktu immer in Lebensgefahr aufgehalten wurde, entkam nur durch besondern Schutz und seine eigene List endlich lebendig. Im französischen Kriege, während der vierziger Jahre, wurden die Kriegsgefangenen in der Regel massacrirt, und selbst besonders von marokkanischer Obrigkeit beschützten Engländern wurde von den Soldaten in’s Gesicht gespieen und sie dazu im Namen Allahs verflucht. Diese marokkanischen Soldaten, größtentheils negerartige, der Sclavenclasse angehörige wilde Banden, nur von baumwollenen Kopfüberhängen und Tüchern, die sie um sich herumwickeln, bedeckt und im Uebrigen nackt, geben auch den Spaniern kein Pardon und schlachten Jeden ab, der in ihre Hände fällt, was die Spanier fleißig mit Gleichem vergolten haben sollen, soweit sie eben im Stande waren, dann und wann einen lebendig zu fangen.

Am 20. December waren sie zum ersten Male im Stande, einen solchen Gefangenen lebendig in’s Lager zu bringen. Alle Uebrigen, die in des Feindes Hände fielen, fochten, stachen und bissen so lange um sich her, bis sie massacrirt wurden. Später fing man einen maurischen Tambour und ließ ihn, wie den ersteren, als Curiosität photographiren. Neuerdings zahlt die spanische Regierung für jeden lebendig eingelieferten Feind etwa einen Thaler zehn Silbergroschen, und auch die marokkanische gibt mehr für den lebendigen, als den todten Spanier. Dies geschieht, um das wilde, persönliche Abschlachten durch einen menschlicheren Trieb zu neutralisiren, hat aber bis jetzt wenig geholfen. Wo sich die Feinde begegnen, geht’s immer mit glühender Wuth auf Leben und Tod, wobei die Wilden mit ihrer undisciplinirten Unbeholfenheit und ihren alten Feuergewehren natürlich immer am schlechtesten wegkommen.

Die Marokkaner sind im Ganzen ein moralisch und materiell verkommenes Volk, obwohl sich unter besseren Staats- und Gesellschaftsverhältnissen manche Racen und Classen sehr vortheilhaft entwickeln würden. Der Hauptfluch besteht im Muhamedanismus, welcher alle die Intelligenz-Fähigkeiten der Berbern und Araber, schöner, dunkelbrauner Menschen und des eigentlichen herrschenden Geschlechts, niederhält und vergiftet. Dazu kommen die Monopole und die Blutsaugereien von oben und der kannibalische Sclavenhandel. Auch der confessionelle Racen- und Ständehaß richtet viele Verwüstungen an. Außer den schönen Berbern und Arabern, den Mauren und den schönen, grimmigen, halb unabhängigen, nomadischen Sahara-Wüstenvölkern, die jährlich mehrmals nach Marokko und Fez kommen, sowie den schwarzen Rif-Piraten an den felsigen Küsten, gibt es Juden und Christen, leibeigene, schwarze Sclaven und durch Geld oder Großmuth Freigelassene, Menschenexemplare jeder Schattirung vom glänzendsten Negerschwarz bis zum blendendsten Weiß des Harems.

Auch die Stände und Gewerbe unterscheiden sich durch deutliche Unterschiede in der Kleidung und Farbe, so daß dem Auge, namentlich von den platten Dächern der Häuser herab, kaum etwas Bunteres und Anziehenderes geboten werden kann, als das Menschengewühl einer belebten Handelsstraße von Tetuan, Marokko oder Fez. In der Hauptstadt Marokko, vor 7–800 Jahren die mit goldenen Minarets und Moscheen weit hin in lachende Thäler und Palmenhaine leuchtende Perle des muhamedanischen Afrika, gibt es nur noch zwei bis drei einigerniaßen belebte Straßen. Alles Andere innerhalb der neun englische Meilen langen Stadtmauern ist schweigende, unkrautüberwucherte Ruine, worin giftige Thiere und Reptilien hausen. Noch stehen mitten in den todten, ausgestorbenen Straßen steinerne Paläste und hohe schlanke Moscheen, aber Niemand will umsonst in ersteren wohnen, in letzteren betet Niemand mehr zu Allah. Einst wimmelten hier 1 Million Einwohner, die jetzt auf 30,000 zusammengeschmolzen, sich in Furcht vor den ausgestorbenen Straßen in wenige, enge, schmutzige, stinkende Gassen zusammendrängen. Von außen sieht sie noch, wenigstens auf der noch nicht ausgestorbenen Seite, imposant und lebenskräftig genug aus, da Palmen und Festungsthürme, Kameele und Esel schwerbeladen, schwarze Soldaten in weißer Baumwolle, glänzende Sänften mit herausblitzenden Augen, marokkanische Hofpracht auf wundervollen Berber-Rossen, lustige Neger und elastische, schlanke Berberkinder mit affenartiger Gelenkigkeit und Possierlichkeit die meilenweite Trauer, Oede und Fäulniß dahinter verstecken. Des Kaisers Residenz liegt außerhalb der Festungsmauern und bildet eine kleine Festung für sich. Marokko erinnert an Rom. Beide glänzende Hauptstädte strotzten einst von innerer Pracht und Fülle, umgeben von Villas, fruchtgoldenen und blumenduftenden Gärten und Hainen. Jetzt sterben sie schon seit Jahrhunderten von innen heraus, und die Wege zu ihren Thoren führen über Wildnisse, Wüsten und Ruinen. In beide werden neue, moderne Geister, Ideen und Kräfte einziehen und aus Ruinen verfaulter Herrlichkeit Eisenbahnhöfe, Fabriken und Kaufmanns-Villa’s aufrichten.

Der jetzige Krieg mit Marokko hat eine specielle feindliche Tendenz gegen England und dessen Herrschaft auf dem mittelländischen Meere, die ohne Gibraltar gar nicht haltbar sein würde. Gibraltar hängt aber auf seinem sterilen Felsen von marokkanischen Ochsen und sonstigen Lebensmitteln ab, die von dem gegenüber liegenden Tanger unter bestimmten Gesetzen und bis zu einer gewissen Zahl importirt werden.

Wenn einmal diese vom Meere her unterbrochen würde, und Spanien mit dem neuen Freihändler Napoleon vom Lande den Lebensunterhalt verweigerte, würde das starke, felsige Gibraltar sehr schwach werden. Napoleon könnte es dann im Interesse des Welthandels und seiner Freihandelspolitik nehmen; wozu den Engländern Gibraltar lassen, wenn sie sich gegen den Suez-Canal, die andere offene Seite des mittelländischen Meeres, erklären?




Das Nervensystem.
Beschaffenheit des Nervensystems bei verschiedenen Geschöpfen.

Darüber herrscht kein Zweifel mehr, daß der Grad der Empfindungs- und Bewegungsfähigkeit, die Stärke des Verstandes und Willens, das Bewußtsein und Gemüth beim Menschen und Thiere von der vollkommneren oder unvollkommneren Entwickelung, Ernährung und Gewöhnung des Nervensystems, vorzugsweise des Gehirns, abhängig ist. Dies fällt übrigens auch sofort in die Augen, wenn man die so ganz verschieden gebauten Nervenorgane und die denselben anhängenden Bewegungs- und Sinnesapparate in den verschiedenen Thierclassen betrachtet und damit den Grad der vorhandenen Nerven-(Geistes-)Thätigkeiten vergleicht. Ja sogar beim Menschen zeigen sich bei den verschiedenen Racen, Geschlechtern und Altern einige Verschiedenheiten im Baue und danach ebenso auch im Thätigsein des Nervensystems. Im Allgemeinen läßt sich sagen, daß mit der höheren Stellung des Thieres die Sonderung der fadenartigen Nerven von den massigen Nervenmarkhaufen oder Centraltheilen (d. s. Ganglien, Rückenmark und Gehirn) immer deutlicher hervortritt und daß letztere immer mehr an Größe und Ausbildung zunehmen. Uebrigens gibt es in jeder Thierclasse, wie beim Menschen, Arten und Racen mit etwas entwickelterem und solche mit weniger entwickeltem Nervensysteme, und danach klügere und dümmere Thiere.

Die einfachsten, auf der niedrigsten Stufe thierischer Lebensform stehenden Thiere, die sogen. „Urthiere oder Protozoen“, deren organloser Körper aus einer gleichartigen, zähen, schleim- oder gallertartigen, zusammenziehbaren Masse (Sarcode) besteht, besitzen weder ein Nerven- noch ein Muskelsystem und führen deshalb nur ein pflanzliches Leben. In diese Thierclasse gehören die Infusorien, Schwämme, Rhizopoden und Gregarinen. – Bei den diesen Urthieren zunächst stehenden Polypen (aus durchscheinender, sehr dehnbarer, elastischer, zäher Substanz), sowie bei den Quallen (Medusen), aus glasartig-gallertiger Masse, scheint das Muskel- und Nervensystem durch einzelne Fäden nur erst schwach angedeutet. – Dagegen zeigt sich bei den Strahlthieren (Seestern s. Fig. XXIV.) ein Nervensystem ganz deutlich in Gestalt eines Nerven-Mundringes, aus dem ziemlich starke Nervenstränge in die Organe ausstrahlen, aber ohne Nervenknoten (Ganglien).

Bei etwas höherer Entfaltung des (jetzt auf beide Körperhälften

  1. Travels in Marocco. By the late James Richardson. London, Skeet, 1860. Berlin, Asher and Co.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_155.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)