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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Finisseusen und Polisseusen fertig machen lassen. Nun erst läuft das Stück durch die letzte Hand, die des Remonteur, der die Uhr fix und fertig dem Fabrikanten abliefert.

Chaux de Fonds und Locle sind die hohe Schule der Uhrmacherei. Fortwährend trifft man hier Lehrlinge und Gehülfen aus allen civilisirten Ländern; nur die Engländer, die nächst der Schweiz die namhafteste Uhrenfabrikation betreiben, sind zu stolz, ihre siegreichen Concurrenten zu besuchen.

Der Werth solcher Uhren, die nie anders als im halben Dutzend verkauft werden, steigt von 6 Francs pr. Stück (sogen. grissots, d. h. Semiler-Uhren) bis zu 2000 Francs und darüber. Oft liegt der hohe Preis weniger in der luxuriösen Ausstattung, als in der verbürgten großen Genauigkeit. Eine Uhr kann dadurch, daß sie auf der Pariser Sternwarte ein halbes Jahr beobachtet wurde, um vielleicht 1000 Francs im Preise steigen. Die geringsten Uhren (man sagt, das Stück in Neusilber um einen Fünffrankenthaler = 11/3 Thaler Courant) liefert in sehr großer Quantität der berner Jura. Den größten Export-Verkehr hat Chaux de Fonds.

Von welcher Ausdehnung dieses Geschäft ist, mag man daraus entnehmen, daß allein im Jahre 1856 die enorme Summe von einer Million einmalhunderttausend Stück Uhren in der Schweiz gefertigt wurde. Der Export hat sich Märkte in den entlegensten Weltgegenden gesucht, und es gibt jetzt auf dem ganzen Erdball kein civilisirtes oder in Civilisirung begriffenes Land, in welchem es nicht auch schweizerische Uhren gäbe. Wie der Basler Bandfabrikant seine Seidenbänder im Dessin und Gewicht den Forderungen der verschiedenen Länder anpaßt, nach welchen er exportirt, wie der ostschweizerische Mousseline-Manufacturist die Trachten und Gewohnheiten der Brasilianer, der Indianer, Mulatten und Inselbewohner Westindiens studirt, um seine Gewebe danach einzurichten, so auch läßt der jurassische Etablisseur große, schwere, altmodische Uhren mit drei und vier Gehäusen für die Türkei, Egypten und andere moslemitische Länder, oder Uhrenpaare für die Chinesen fertigen. Denn dieses Volk soll sich nicht mit dem Besitz einer gutgehenden Uhr begnügen, sondern es trägt eine Secundantin in der Tasche, um damit die eigentliche Uhr zu controliren.

Der Werth des allein in den Neuenburger Bergen zu Uhrgehäusen verarbeiteten geprägten Goldes und Silbers beläuft sich jährlich auf mehrere Millionen Franken. Im Jahre 1857 importirte nach den eidgenössischen Zolltabellen die Schweiz an Uhren, Uhrentheilen und darauf bezüglichen Werkzeugen 690 Centner im Werthe von 8,280,000 Francs, und exportirte dagegen 2121 Centner im Werthe von 101,824,000 Francs, so daß die Mehrausfuhr dieses einzigen Jahres 931/2 Millionen Franken ausmachte.

Gegenwärtig mögen in allen Uhrendistricten summarisch etwa 40,000 Menschen Beschäftigung in diesem Industriezweige finden. Den jährlichen Verdienst eines Arbeiters kann man nach einer Durchschnittszahl auf etwa 1560 Franken (416 Thaler Courant) anschlagen, während es deren freilich nicht wenige gibt, die ihre jährliche Einnahme auf 4000 bis 6000 Francs zu steigern wissen. Da Wohnungen und auch zum Theil die Lebensmittel in den Jura-Orten enorm theuer sind, so müssen gute Löhne gezahlt werden. Der eingeborene Jurassier beschäftigt sich mit keinem anderen Erwerbszweige, als mit der Uhrenfabrikation, weil sie ihm mehr einbringt, als jedes andere Gewerbe; alle übrigen Handwerke überläßt er gern Schweizern anderer Cantone oder Ausländern, die sich dort niederlassen.

Die Schweizeruhren werden von keinem Lande hinsichtlich der Billigkeit und Concurrenzfähigkeit übertroffen. Selbst auf jenen Märkten, wo England in anderen Industrie-Artikeln obenan steht, gestaltet sich der Uhrenverkauf so, daß aus der Schweiz zwei Drittel, und aus England erst ein Drittel bezogen werden. Nach ziemlich verbürgten Gerüchten sollen unter den als „englisches Fabrikat“ in den Welthandel kommenden Uhren fast die Hälfte schweizerischen Ursprunges und nur die Schale wirklich englische Arbeit sein.

Bei der Industrie-Ausstellung in Bern 1857 wurden namentlich folgende Fabrikanten durch Preise ausgezeichnet: Ulysses Lecoultre in Sentier, Perret und Henri Grandjean in Locle (Letzterer namentlich für Marine-Chronometer), Julien Perret in Chaux de Fonds, Golay-Leresche, Lutz und Sohn, Philippe Patek und Cie. in Genf (Letzterer Erfinder des Remontoir par le pendant) etc. Aber es gibt noch viele Firmen, die ebenso arbeitende sind, als die genannten.




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.
Von Claire von Glümer.

„Die Geschichte großer Menschen ist immer eine Martyrlegende“ – in vollem Maße hat sich dies Dichterwort an Wilhelmine Schröder-Devrient erfüllt. Sie war müde vom Leben, schon ehe die Krankheit ihre Körperkraft verzehrte, und der Tod ist ihr ein lieber, willkommener Freund gewesen.

Am 26. Januar ist sie schmerzlos entschlafen und liegt nun, von Blumen bedeckt, in ihrem Grabe auf dem Trinitatiskirchhofe zu Dresden, wohin ihr Tausende einen wehmüthigen, dankbaren oder begeisterungsvollen Scheidegruß nachrufen. – Auch diese „Erinnerungen“ sollen ein solcher Nachruf sein, keine vollständige Lebensgeschichte der Entschlafenen. Nur einzelne Züge, flüchtige Bilder aus dem Leben der großen, schönen, guten Frau will ich hier zusammentragen. Möchten ihre Freunde die theure Gestalt darin wiederfinden, und möchte es mir gelingen, sie auch denen lebendig vorzuführen, die nicht das Glück gehabt haben, sie zu kennen.




I.

Im Jahre 1849 war ich mit Frau Schröder-Devrient in der Paulskirche zu Frankfurt zusammengekommen, war ihr von einer gemeinsamen Bekannten vorgestellt und hatte ein paar interessante Stunden an ihrer Seite verlebt. Dann waren wir ganz verschiedene Wege gegangen – ich wußte nun, daß die Künstlerin von der Bühne geschieden war, daß sie einen livländischen Edelmann, Herrn von Bock, geheirathet hatte und bald auf den Gütern ihres Mannes, bald in Paris oder Berlin lebte. Aber im Herbst 1858 kam sie nach Dresden, und da sah ich sie wieder. Zuerst in dem Concert eines jungen Künstlers, worin sie nach jahrelanger Pause zum ersten Male wieder auftrat. Ich werde den Augenblick nie vergessen, wie die hohe, imponirende Gestalt auf dem Podium erschien, von der Versammlung mit stürmischem Applaus begrüßt wurde, sich lächelnd und doch tiefbewegt verbeugte, aufathmete, als fühlte sie sich nach langer Entbehrung von Lebenslust umweht, und nun zu singen begann.

Ihr erstes Lied war „der Wanderer“ von Schubert, und meine erste Empfindung ein tiefes Erschrecken. Sie kann nicht mehr singen! dachte ich – der Ton war matt, ohne Fülle, ohne Metall – aber schon als sie zu den Worten kam: „Und immer fragt der Seufzer wo?“ hatte sie gesiegt. Wie der Meermann im Märchen, zwang sie Alle, die sie hörten, ihr zu folgen, wohin sie wollte: in Sehnsucht und Schmerz, in Grauen und Verzweiflung, in Liebeslust und Frühlingsfreude. Wie Lessing von Rafael sagt: „er würde auch ohne Hände der größte Maler gewesen sein“, so darf von Wilhelmine Schröder-Devrient behauptet werden, daß sie auch ohne Stimme die größte Sängerin geblieben wäre. Ihre Seele sang so gewaltig, so schön, so wahr, wie es wohl nie zuvor gehört wurde und vielleicht nie wieder gehört wird.

Ganz berauscht kam ich nach Hause, und nun ließ es mir keine Ruhe. Ich schrieb ihr, – „Es war der klügste Streich, den Sie je gemacht haben“, pflegte sie später zu sagen – erinnerte sie an unser Zusammensein in Frankfurt, fragte sie, ob sie mir eine Viertelstunde schenken wolle, bat um Erlaubniß, ihr meine Freundin, eine ihrer eifrigsten Verehrerinnen, zuzuführen, und erhielt umgehend die Antwort: „Wollen Sie mich heute Nachmittag um fünf Uhr mit Ihrem Besuch erfreuen, ich bin dann nur für Sie zu Hause.  Wilhelmine von Bock.“

Zur bestimmten Stunde waren wir bei ihr, Scheffelgasse Nr. 1, 3 Treppen; und kaum waren die ersten Worte gewechselt, kaum saßen wir neben ihr in dem kleinen grauen Zimmer mit den einfachen, rothbrauen Wollenvorhängen an Fenstern und Thüren,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_168.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)