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sei Dank!“ – mit diesem Seufzer erleichtert sich die Brust. Wie bleiern schleicht die Zeit dahin, wie lange währen die zwei Minuten! Nochmals fragt einer: „Lissa?“ und wieder antwortet der Uhrenbesitzer, welcher das kostbare Werkzeug mit kindischer Besitzfreude betrachtet: „Lissa!“ Da mit einem Male ertönt hoch vom Minaret herab: „La il laha Allah, Mahammed rassuhl Allah!“ und von der Feste herab rollt ein Kanonenschuß über die Stadt. Man hört nur das eine Wort: „Allah!“ es sagt Alles; es übertrifft an Inhalt die gelehrtesten Auseinandersetzungen des gelehrtesten Professors; es spricht beredter, als die redseligste alte Jungfrau jemals sprechen kann; es ist ein feuriges Dankgebet, das aus dem tiefsten Herzen stammt, ein rosiger Hoffnungsstrahl, der in die verschmachtete Seele fällt. „Allah!“ Alle haben es gehört, Alle haben es nachgeseufzt, nur nicht der Kaffeewirth, denn er hat keine Zeit dazu. In dem größten Kännchen, welches er besitzt, hat er wohl zwanzig Täßchen Kaffee bereitet. Der flinkeste der Gäste erbietet sich, dieselben auszutheilen, und empfängt dafür die erste Tasse. Und nun eilen Beide, schnellfüßig wie Gazellen, von einem Gaste zum andern, um seinen Leib zu erfrischen; denn die Seele schwelgt bereits im Genusse aller möglichen Arten von Pfeifen, welche schon vor dem Kanonenschuß gestopft und angebrannt wurden. Manche greifen zuerst nach dem neben Jedem stehenden Wasserkruge; bei weitem die Mehrzahl aber bemeistert sich und wartet lechzenden Mundes auf die Tasse Kaffee. Diese und noch eine wird getrunken und wieder eine, und freudig blitzen die Augen, kräftig erhebt sich die Brust, federnder wird der Schritt, lebendiger jede Bewegung. Dann geht man zunächst nach Hause, um ordentlich zu essen; bald aber kommt man wieder, und das Kaffeehaus füllt sich bis auf den letzten Platz. Von dem schlanken Thurme herab flimmern und blitzen die Gürtel der brennenden Lampen; in den Straßen leuchten die buntfarbigen Laternen; im Kaffeehaus ist es hell und licht, trotz der schlechten Beleuchtung. Alles ist im eifrigen Gespräch, es summt wie in einem Bienenkorbe.

Da, mit einem Male, wird es still. Ein einfacher, schlichter Mann tritt langsam und würdevoll herein, nach allen Seiten hin den Gruß des Friedens spendend, und von allen Seiten ihn verschönt zurückerhaltend. „Khahwēdji, eine Tasse Kaffee!“

„Bei meines Vaters Haupt, sogleich, Du Gesegneter, Du Süßmundiger!“

Und bedächtig schlürft der Ankömmling die Tasse; dann aber beginnt er leise und eindringlich zu sprechen. Doch die Rede steigert sich mehr und mehr; lebhafter werden seine Bewegungen, glühender wird sein Blick, emsig und geschäftig webt er Blüthe auf Blüthe in das wunderbare Mährchennetz, welches er weiter und weiter spinnt. Kein Laut ist hörbar, Alles lauscht regungslos.

„Preist den Propheten, meine Brüder!“

„Wir preisen ihn nach Allah, dem Erhabenen!“

„Seine Gnade sei mit uns für und für!“

„Amen, o du Gesegneter!“

„Meine Brüder! Wißt, man erzählt sich, daß in alten Zeiten in der Begnadigten und Bewahrten, Siegreichen und Siegenden, in Kahira, unserer Mutter und der Mutter der Welt, ein Mann lebte, mit Namen Aali, des Glaubens Leuchte, welchen der Höchste hoch begnadigt hatte auf Erden – – –“

Die tiefste Stille ist eingetreten; die Wolken des Rauchs kräuseln sich sparsamer um die Häupter der Gegenwärtigen; denn das Mährchen hat zu reden begonnen durch seines Hohenpriesters Mund. Und wenn dann dieser selbst vergißt, daß er der Redende ist; wenn er nur noch als Werkzeug des in ihm dichtenden und schaffenden Geistes erscheint; wenn dem Hörenden seine bärtigen Lippen so rosig zu sein dünken, wie die einer Jungfrau; wenn er fort und fort Perlen verstreut, die in der Muschel des Ohres sich zum Geschmeide schnüren; wenn der glühendste Gedanke im schimmernden, überwältigenden Wort zu Tage tritt; wenn jeder der Zuhörer arbeitet und kämpft, um in seiner hochaufklopfenden Brust den Jubelruf der Befriedigung, das Aufjauchzen der berauschten Seele zu unterdrücken: dann schreitet sichtbarlich ein Genius mit goldnen Flügeln und in leuchtendem Gewande durch den einfachen Raum und gibt diesem Leben, Frische, Glanz und Schimmer, wie sie das prächtigste Kaffeehaus der reichsten Stadt der Erde nicht kennt; denn jener Genius, die Dichtung, ist hundertfach lebendig geworden und jubelt auf in Klang und Reim.

Das ist ein morgenländisches Kaffeehaus, und dies der Zauber, mit welchem es den Verstehenden zu bannen weiß. Was thut dabei der Raum?! Er ist vollkommen gleichgültig. Gerade die Kaffeehäuser ohne jeglichen äußeren Schmuck, die aus dem Stegreife erbaueten, wie wir sie nennen möchten, sind oft die alleranziehendsten, weil sie voller Dichtung und Leben sind.




Aus den Sprechstunden eines Arztes.

Nr. IV.

Wer als Patient zu einem gebildeten und gewissenhaften Arzte in die Sprechstunde geht, der sei darauf gefaßt, daß nicht blos gesprochen, sondern daß sein Körper, und zumal der leidende Theil, auch gehörig untersucht (besehen, befühlt, beklopft, behorcht) wird. Geschieht dies von Seiten des Arztes nicht, werden die Patienten von demselben blos ausgefragt und dann mit einem Recepte oder einem Pülverchen heimgeschickt, da ist man in die Hände entweder eines unwissenden oder eines gewissenlosen Heilkünstlers gerathen. Den meisten Frauen mit ihrem Schnürleibchen und ihrer Crinoline gefällt’s freilich, wenn ihnen der Arzt nicht zu nahe kommt und ihre Toilette nicht ruinirt, sie nennen das „Zartsein“ und den Arzt einen „artigen feinen Mann“. Die Thörinnen! Bei dieser Zartheit des artigen Doctors oder auch bei ihrer kindischen Schamhafigkeit siechen sie gar nicht selten trotz alles Curirens und Badens (in Ems, Marien- und Franzensbad, Pyrmont und in der See) allmählich an solchen Uebeln hin, die bei ordentlicher Untersuchung und bei richtiger örtlicher Behandlung in wenig Wochen vollständig geheilt worden wären.

Es ist übrigens ganz inconsequent von der Gesetzgebung, daß in unserer Zeit, wo doch so Vieles bestraft wird, zumal und ganz mit Recht die Vergehen gegen das Leben, die Gesundheit und das Eigenthum unserer Mitmenschen, trotzdem manchen Heilkünstlern gestattet ist, den Gesetzen der Wissenschaft geradezu zum Hohne, Kranken offenbaren Nachtheil an Leben und Gesundheit zuzufügen. Ist es denn nicht so gut wie Mord, wenn homöopathische Heilkünstler bei heftigen Unterleibsbeschwerden den Bauch des Kranken ununtersucht und eingeklemmte Brüche, die auf mechanische Weise recht leicht zurückgebracht und dadurch ungefährlich gemacht werden können, bei Darreichung ihrer Pülverchen (= Nichts) ganz ruhig in Darmbrand und Tod endigen lassen? Ist es ferner nicht verbrecherisch, örtliche Leiden, die nur durch örtliche Behandlung gehoben werden können, durch innere homöopathische (also nichtsnutzige) Mittel curiren zu wollen und den armen Kranken oft jahrelang ihre Gesundheit vorzuenthalten? Sollte es nicht auch strafbar sein, wenn homöopathische Heilkünstler solche Beschwerden, gegen welche die Wissenschaft wirklich heilsame Mittel besitzt, durch eine ganz unwissenschaftliche Behandlung nicht nur nicht heben oder lindern, sondern sich im Körper einbürgern und die Gesundheit für immer untergraben lassen? Am schimpflichsten ist aber das Gebahren derjenigen Aerzte, die, ohne den Kranken gesehen und genau untersucht zu haben, blos aus der Entfernung an demselben herumcuriren und wohl gar dabei theuere Geheimmittel anwenden.

NB. Also verschone man doch endlich einmal den Verf. mit der Zumuthung, brieflich ärztlichen Rath ertheilen zu sollen.




Der Pseudo-Hämorrhoidarius.

„Mein Uebel, lieber Herr Doctor, was mich schon seit ziemlich zehn Jahren peinigt und trotz der verschiedenartigsten Behandlungen von Seiten der gesuchtesten Aerzte (die mich, beiläufig gesagt, schon viele Tausende kosten) von Tag zu Tag immer schlimmer wird, ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_183.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)