Seite:Die Gartenlaube (1860) 187.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Leonore rafft sich auf; sie wirft sich zwischen den Gatten und den Dolch des Mörders. Der gefürchtete Augenblick ist da – die Instrumente schweigen, aber der Muth der Verzweiflung ist über sie gekommen, hell und rein, mehr schreiend als singend. stößt sie das herzzerreißende: „Tödt’ erst sein Weib!“ hervor. Noch einmal will Pizarro sie zurückschleudern, da reißt sie das Terzerol aus dem Busen und hält es dem Mörder entgegen. Er weicht zurück – sie bleibt unbeweglich mit blitzenden Augen in ihrer drohenden Stellung. Aber jetzt erschallen die Trompeten, die das Ende ihrer Qual, die Ankunft des Retters verkündigen, und nun wich auch die Spannung, die sie so lange aufrecht hielt. Kaum vermochte sie noch mit vorgestrecktem Terzerol den Verbrecher dem Ausgange zuzutreiben, dann entsank ihr die Waffe – sie war todesmatt von der ungeheuern Anstrengung, ihre Kniee wankten, sie lehnte sich zurück, ihre Hände griffen krampfhaft nach dem Haupte und unwillkürlich entrang sich ihrer Brust jener berühmte, unmusikalische Schrei, den spätere Darsteller des Fidelio auf’s Unglücklichste nachgeahmt haben. Bei Wilhelminen war es wirklich ein Aufschrei der von Todesangst befreiten Seele, ein Laut, der Mark und Bein erschütternd in die Herzen der Hörer drang. Erst als Leonore auf Florestans Klage: „Mein Weib, was hast Du um mich geduldet!“ mit dem halb weinend, halb jubelnd hervorgestoßenen: „Nichts, nichts, nichts!“ in die Arme des Gatten fiel, wich der Zauberbann, der jedes Herz gefangen hielt. Ein Beifallssturm, der nicht enden wollte, brach los – die Künstlerin hatte ihren Fidelio gefunden, und so viel und ernstlich sie später noch daran gearbeitet hat, in den Grundzügen ist er derselbe geblieben.

Auch Beethoven hatte seine Leonore in ihr erkannt. Den Ton ihrer Stimme zu hören, war ihm freilich versagt, aber die Seele ihres Gesanges offenbarte sich ihm in jeder Miene des von Geist durchleuchteten Gesichts, in dem glühenden Leben der ganzen Erscheinung. Nach der Vorstellung ging er zu ihr – seine sonst so finstern Augen lächelten ihr zu, er klopfte sie auf die Wangen, dankte ihr für den Fidelio und versprach eine neue Oper für sie zu componiren – ein Versprechen, das leider nicht erfüllt werden sollte. Wilhelmine kam nie wieder mit dem Meister zusammen, aber unter allen Huldigungen, die der berühmten Frau später zu Theil wurden, blieben die Worte der Anerkennung, die ihr Beethoven gesagt hatte, die liebste Erinnerung.




Vater Arndt.

Es war im Jahre 1848; der Traum und die Sehnsucht des deutschen Volkes nach der heißbegehrten Einheit schien in Erfüllung gehen zu wollen. In der Paulskirche zu Frankfurt am Main, der alten Kaiserstadt, tagte das deutsche Parlament. Unter den dort versammelten Männern erschien eines Tages ein würdiger Greis, den weder die Last der Jahre, noch die erfahrenen Leiden gebrochen hatten; fest und aufrecht stand er da wie eine im Sturm erprobte Eiche, sein Haar war grau geworden, aber sein Herz frisch geblieben, voll grünender Hoffnungen. Bei seinem Anblick ging ein freudiges Gemurmel durch den weiten Kreis, und ein noch junger Mann, der die Liebe zum gemeinsamen Vaterlands einst mit jahrelanger Verbannung büßen mußte, Jakob Venedey, bestieg die Tribüne und forderte die Versammlung auf, sich zu Ehren des „alten Arndt“ zu erheben und so den würdigsten Vorkämpfer der deutschen Einheit zu begrüßen – und Alle erhoben sich wie ein Mann zum Zeichen der Anerkennung.

So ehrte das deutsche Volk den treuen Patrioten!

Am 26. December 1859 feierte der alte Arndt in Bonn seinen neunzigsten Geburtstag, der fast wie ein deutsches Nationalfest begangen wurde. Aus der Nähe und Ferne kamen die Beweise der allgemeinen Liebe und Achtung; kaum vermochte der geschäftige Telegraph alle Wünsche dem berühmten Greise zuzutragen. Lieder, Blumen und Kränze, von zarter Frauenhand gewunden, priesen und schmückten das ehrwürdige Haupt. Es war das schönste Erntefest eines bedeutenden, thatenreichen, segenvollen Lebens.

So liebte das Volk den Dichter und Menschen!

Fünf Wochen später, am 29. Januar 1860, starb der Gefeierte, fast erdrückt von all der Liebe, nachdem es ihm noch vergönnt gewesen, bei seinem Leben die eigene Apotheose, gleichsam einen Vorgeschmack der ihn erwartenden Unsterblichkeit zu genießen, ein Glück, wie es einem Sterblichen, und zumal einem Deutschen, selten oder nie geboten wird. Groß war die Trauer um den Dahingeschiedenen, wie um einen Vater, denn ein Solcher erschien er Allen und „Vater Arndt“ war der Name, welchen er mit Ehren trug.

So beklagte und beweinte das Volk seinen Vater! –

Womit aber hat der alte Arndt so große Achtung, Liebe und Theilnahme verdient?

Sein Leben wird die Antwort darauf geben.

Ernst Moritz Arndt wurde im Jahre 1769 auf der Insel Rügen geboren, die damals noch im schwedischen Besitze war. Seine Wiege stand jedoch auf uraltem, germanischem Boden, beschattet von den heiligen Buchenhainen deutscher Götter, umrauscht von den Wogen des Meeres, auf dem die deutsche Flagge einst stolz geweht. Sein Vater, der die Löbnitzer Güter in der Nähe von Stralsund verwaltete, war ein ernster, ehrenhafter Mann von altem Schrot und Korn; er erzog die Kinder streng und duldete keine Verweichlichung weder des Körpers, noch des Geistes. Mitten in der Nacht, im Sturm und Regen mußten die Söhne oft Meilen weit reiten, um eine Bestellung für ihn auszurichten, in der Erntezeit auf dem Felde mit Hand anlegen und im Schweiße ihres Angesichtes arbeiten. Mild und sanft dagegen war die Mutter, ernst, fromm, sinnig und muthig, durch kein Geschick zu beugen, daß sie die Klarheit und Besonnenheit verloren hätte; das Bild einer echten deutschen Hausfrau mit schönen großen, blauen Augen und prächtig breiter Stirn. Im Kreise der Kinder las sie aus der Bibel, erzählte gern Märchen und sang ihnen Lieder vor, frühzeitig den Keim der Poesie in der empfänglichen Seele des Knaben weckend. Der Eltern Wesen und Natur erbte sich auf den Sohn fort, des Vaters Willenskraft und der Mutter tieferes Gemüth. Von ihr und ihrer Sippschaft stammte seine Liebe für Deutschland, während die väterlichen Verwandten, und besondern der originelle Oheim Hinrich, es mit den Schweden hielten.

Verschiedene Hauslehrer, darunter der wackere, tüchtige Gottfried Dankwardt, leiteten Arndt’s Erziehung, so daß er wohl vorbereitet das Gymnasium zu Stralsund besuchen konnte. Hier ergriff ihn plötzlich jener unbestimmte Drang und die Abenteuerlust, wie sie die phantasievolle Jugend zuweilen zu beschleichen pflegt; ohne Ursache und Wissen der Eltern entwich er aus Stralsund, um auf eigene Hand sein Glück in der weiten Welt zu suchen. Bald jedoch wurde sein Aufenthalt entdeckt und der Flüchtling zurückgebracht; mit eisernem Fleiße setzte er zu Hause seine Studien fort, bis er 1791 die Universität Greifswald bezog, um sich der Theologie und Philosophie zu widmen. Angezogen von dem steigenden Rufe des berühmten Fichte, eilte er später nach Jena, wo er besonders dessen philosophische Vorträge und Anschauungsweise mit Eifer sich zu eigen machte.

Nach beendigten Studien kehrte Arndt wieder in das elterliche Haus zurück. Längere Zeit genoß er hier eine behagliche Muße, indem er den Unterricht seiner jüngeren Geschwister leitete; nebenbei predigte er auch als angehender Candidat der Theologie, nicht ohne Beifall seiner frommen Zuhörer. Indeß kam er bald zu der Erkenntniß, daß ihm zum geistlichen Stande der innere Beruf fehlte, selbst die Aussicht auf eine fette Pfründe mit 2000–3000 Thaler Gehalt lockte ihn nicht. Einstweilen nahm er die Stelle eines Lehrers in der Familie des bekannten Pastors und Dichters Theobul Kosegarten auf Rügen an, die er jedoch schon nach anderthalb Jahren wieder aufgab, um eine größere Reise zu seiner Ausbildung anzutreten.

Mit leichtem Sinn wanderte Arndt über Wien nach Ungarn und Italien, wo indeß der ausgebrochene Krieg ihn nur bis Florenz kommen ließ; von da über Genua, Nizza nach Marseille, durch ganz Frankreich, das er genau kennen lernte, endlich über Brüssel, den Rhein entlang nach der lieben Heimath, die er im Jahre 1799 wohlbehalten erreichte. Auf dieser Reise hatte er die Gelegenheit benutzt, seine Kenntnisse der Welt und Menschen zu bereichern, den Unterschied der Völker kennen zu lernen und besonders den Charakter der Franzosen zu studiren.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_187.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)