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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Eine alte Liebe, zuweilen „mit dünnen, weißen Aschen bedeckt“, die jetzt aber wieder in ihm mit frischer Gluth aufloderte, bestimmte ihn nach seiner Rückkehr, sich um den Posten eines Adjuncten bei der philosophischen Facultät in Greifswald zu bewerben. Er erhielt denselben mit 300 Thalern Gehalt und heirathete seine Geliebte, die Tochter des Professors Quistorp[WS 1], welche jedoch die Geburt ihres ersten Sohnes mit ihrem Leben bezahlte.

Mit männlicher Fassung ertrug Arndt den schmerzlichen Verlust, indem er in angestrengter Arbeit seinen Trost suchte und fand. Als eine Frucht dieser Studien veröffentlichte er 1803 sein erstes Werk „Germanien und Europa“.

Wie so viele bedeutende Männer jener Zeit, hatte sich auch Arndt anfänglich von dem ersten Auftreten Napoleon’s blenden lassen, aber auch früher als die meisten seiner Landsleute die Täuschung eingesehen und in dem Despoten und dem französischen Volke „die alten Erzfeinde des deutschen Herzens und des deutschen Landes“ erkannt. Gegen die drohende Gefahr erhob er jetzt den Warnungsruf, indem er mit richtigem Instinct seinen Finger in die Wunde des Jahrhunderts legte. Diese fand er in der „übertriebenen Geistigkeit“, welche alle Thatkraft und Willensstärke zu lähmen drohte. Er selbst drückte sich darüber folgendermaßen aus: „Man wußte viel und kannte nichts, hatte die lebendigen Bilder in todte Worte, die holden Schattengestalten in nichtssagende Formeln verwandelt; man war arm geworden, indem man prahlte, alle Schätze der alten Welt ausgegraben und abgestäubt, alles Große und Wissenswürdige der neuen zusammengepackt zu haben. Wie aber der Mensch des Jahrhunderts ist, so muß auch der Staat sein.“

Denselben Gedanken verfolgte Arndt in einem damals von ihm verfaßten Lustspiele, „der Storch und seine Familie“, worin er die transcendentale Philosophie und die zu einem auflösenden Kosmopolitismus hinneigende Pädagogie geißelte.

Zu gleicher Zeit schrieb er eine „Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen“, worin er schonungslos die „Gräulichkeit und Ungerechtigkeit“ dieser Verhältnisse aufdeckte, die er aus eigener Erfahrung kannte, da sein Vater der Sohn eines Schäfers und Freigelassene eines Grafen war. Der empörte Adel, an dessen Spitze ein Freiherr Schultz von Ascheraden stand, beschwerte sich über den kecken Wahrheitsfreund bei dem Könige von Schweden, aber Arndt verantwortete sich so gut und kräftig, daß der einsichtsvolle Monarch antwortete: „Wenn dem so ist, so hat der Mann Recht.“ Eine Folge dieser segensreichen Schrift war die später erfolgte Aufhebung der Leibeigenschaft und der Patrimonialgerichtsbarkeit in jenen Gegenden.

Nach dieser That, denn eine solche war dies Buch, nahm Arndt auf einige Zeit Urlaub, um Schweden zu bereisen und genauer kennen zu lernen. Nachdem er daselbst ein Jahr verweilt, kehrte er zurück. Unterdeß hatte sich das traurige Geschick Deutschlands nach und nach erfüllt. Seit dem Frieden von Luneville mit seinen schimpflichen Verhandlungen und Vermäkelungen des Vaterlandes war Arndt’s Seele von einem Zorn erfüllt, „der bei dem Anblick der deutschen und europäischen Schmach oft ein Grimm ward.“ Die Jahre 1805 und 1806 rissen endlich die beiden letzten Stützen nieder. Als Oesterreich und Preußen nach vergeblichen Kämpfen gefallen waren, da erst fing sein Herz an, „sie und Deutschland mit rechter Liebe zu lieben und die Wälschen mit rechtem treuen Zorn zu hassen“. Auch der schwedische Particularismus war nun auf einmal todt; als Deutschland durch seine Zwietracht Nichts mehr war, umfaßte Arndt’s Herz seine „Einheit und Einigkeit“.

Von solchem heiligen Zorn erfüllt, schleuderte er seinen „Geist der Zeit“ in das Gewissen einer muthlosen, zu den Füßen des Eroberers kriechenden Welt; er achtete des eigenen Lebens nicht, denn er wußte, wessen der fränkische Despot fähig war, um die Stimme der Wahrheit zu ertödten. Wie ein Prophet des alten Bundes saß der damals dreiunddreißigjährige Arndt mit den fürstlichen Sündern zu Gericht, vor Allem mit dem corsischen Tyrannen, Napoleon. Ohne Scheu nannte er ihn „den Emporkömmling, der aus den Trümmern der Republik ein Kunstwerk des Despotismus ohne Gleichen sich erbaut habe und fürchterlich geworden sei durch die Kraft der großen Monarchie und den Kriegsgeist des Volkes, den einzigen, den die Republik geschaffen und die Regierung mit Sorgfalt erhalten habe, während sie alle andern guten Geister verbannte.“

Er warf ihm vor, daß er Alles, was des Guten hier und da unter den Gräueln der Revolution entstanden, mit dem Schlechten zugleich vernichtet, alle geistige und leibliche Freiheit getödtet habe; er wolle nur über Knechte, nicht über freie Bürger herrschen.

Von den Schöpfungen der Revolution habe er beibehalten, was den Druck und die Bewegung der Regierung schneller und verderblicher mache, aber Alles in den Staub getreten, was durch Gesetze in dem Ganzen, was durch Freiheit in dem Einzelnen Hinderniß sein würde.

Den mit Frankreich verbündeten Fürsten Deutschlands aber rief er zu: „Ihr stehet wie die Krämer, nicht wie die Fürsten, wie die Juden mit ihrem Seckel, nicht wie die Richter mit der Wage, noch wie die Feldherrn mit dem Schwerte, und habt ihr ungerecht gekauft und gewonnen, so werdet ihr es verlieren, vielleicht eher, als ihr es träumt. Als Sclaven und Knechte seid ihr neben dem fremden Fürsten gestanden, als Sclaven habt ihr eure Nation hingestellt und geschändet. Aber der Tag der Rache wird kommen schnell und unvermeidlich, und ohne Thränen wird das Volk die unwürdigen Enkel besserer Väter vergehen sehen.“

Zuletzt schließt Arndt mit dem Preise der Wahrheit, die er mit Gefahr des eigenen Lebens verkündigte: „Tyrannen und Könige werden Staub, Pyramiden und Kolosseen zerbröckeln. Erdbeben und Vulcane, Feuer und Schwert thun ihr Amt, das Größte verschwindet; nur Eine Unsterbliche lebt ewig – die Wahrheit. Wahrheit und Freiheit sind das reine Element des Lebens des göttlichen Menschen, durch sie ist er, ohne sie nichts.“

Wie ein Blitz, der die dunkle Nacht erhellt und das finstere Gewölk zerreißt, kam Arndt’s Buch, dessen Wirkung auf die Zeitgenossen sich nicht mehr denken, geschweige beschreiben läßt. Es wurde von ganz Europa gelesen, bewundert, hier mit Begeisterung, dort mit Entsetzen aufgenommen, in alle Sprachen übersetzt und verbreitet. Es war wie ein großes, gewaltiges Ereigniß, das die schlummernde Welt aus ihrer feigen Ruhe aufrüttelte. Ein deutscher Gelehrter, kaum bekannt, hatte es gewagt, dem Könige der Könige, dem Herrn Europa’s den Krieg zu erklären, ihm die Maske von dem Tyrannenantlitz zu reißen, seine innersten Schwächen aufzudecken.

Napoleon konnte einen solchen Feind nicht besiegen, weil der Geist und die Wahrheit jeder Waffe trotzen; er konnte Arndt nur – ächten.

Vor der brutalen Gewalt flüchtete der Patriot nach Stockholm, wo ihm Gustav IV. Schutz gewährte und eine Anstellung bei der Staats-Canzlei gab. Nichts desto weniger forderte Arndt einen schwedischen Officier, der in seiner Gegenwart das deutsche Volk beleidigt hatte, und schoß sich mit ihm. Er wurde verwundet und mußte sechs Wochen zu Bette liegen.

Durch die Revolution im Jahre 1809 wurde der König von Schweden gestürzt und der französische Marschall Bernadotte zum künftigen Tronerben ernannt. In Folge dieser Staatsumwälzung mußte sich auch Arndt von Neuem zur Flucht entschließen und Stockholm verlassen. Er wandte sich wieder nach Deutschland, in die alte Heimath, wo er einige Zeit „erkannt, aber unverrathen“ bei den Seinigen verborgen lebte. Doch auch hier war seines Bleibens nicht, er sah sich genöthigt, unter der Maske eines „Sprachlehrers Allmann“ nach Berlin zu gehen, wo er in der großen Stadt am leichtesten unbekannt bleiben zu können glaubte. Hier fand er in dem Hause des patriotisch gesinnten Buchhändlers Reimer gastliche Aufnahme und einen Kreis herrlicher Männer, zu denen vor Allen sein zukünftiger Schwager, der berühmte Schleiermacher, dann sein großer Lehrer Fichte etc. gehörten, Die gleichgesinnten Vaterlandsfreunde stärkten und kräftigten sich im gegenseitigen Gespräch voll flammender Begeisterung, wofür die Lieder und Gedichte Arndt’s aus jener Periode das schönste Zeugniß ablegen.

Ostern 1810 verließ Arndt Berlin, um in Greifswald seine Angelegenheiten zu ordnen und seine förmliche Entlassung aus dem schwedischen Staatsdienst zu nehmen. Dies that er um so lieber, da die Verhältnisse an der Universität, selbst wenn ihm auch keine andere Gefahr gedroht hätte, ihm durch die franzosenfreundliche Gesinnung seiner früheren Collegen und Freunde, besonders seines Schwiegervaters Quistorp[WS 2] und des bekannten Kosegarten, der indeß Professor der Theologie geworden war, immer mehr verleidet wurden. Einstweilen lebte er auf dem Gute seines Bruders, stets zur Flucht gerüstet und zu diesem Zwecke mit einem russischen Paß versehen. Nur zu bald mußte er seine „abenteuerliche Hedschra“,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Quistorp; Vorlage: Onistorp
  2. Vorlage: Onistorp
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_188.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)