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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

dann mit rascher Gebehrde die Portière zurück, welche den Eingang zum Nebenzimmer halb verhüllte, überschritt die Schwelle und näherte sich mit edlem Anstande der Ottomane, wo die von ihm bisher vernachlässigte Dame saß.

Gleich dem leichten Schatten der Palmblätter, welche dunkle Reflexe auf die lichte, glanzumflossene Erscheinung der schönen Königin des Festes warfen, zitterten Gedanken durch die Seele der jungen Frau, die mit düsterem Schein die freudigen, siegsbewußten Gefühle ihres Innern umwoben.

„Wer mag er sein?“ Das hatte sie sich schon das erste Mal gefragt, als ihr Blick jenes kühne, freie und offene Antlitz, jene hohe, imponirende Gestalt bemerkt.

„Wer mag er sein?“ Diese Frage, die sie zu stolz war an Jemand zu richten, und welche sie sich nur heimlich vorzulegen wagte, sie durchkreuzte auch jetzt ihren Sinn, nachdem sie die ihr so widerwärtige und überraschende Erkenntniß gewonnen hatte, daß er der Einzige von Allen in der Gesellschaft war, der ihr nicht gehuldigt. –

„Rittmeister von Blücher!“ ertönte es plötzlich neben ihr.

Frau von R…g blickte empor. Derjenige, der sich in den Augen der gefeierten Schönheit des strafbarsten Vergehens schuldig gemacht, verbeugte sich mit einem Ausdruck so gewinnender Anmuth vor der Tiefbeleidigten, daß ihr Zorn wie mit Zauberschlag aus ihrer erregten Seele wich. Ein Lächeln, lieblich und reizend, wie es sich selten in dem etwas kalten Antlitz zeigte, erhellte die umdüsterten Züge, und tiefer, als Frau von R…g es je zu thun pflegte, neigte sie ihr stolzes Haupt vor dem Fremden.

Der Vorstellung folgte Unterhaltung, und sie wurde von beiden Seiten mit gleicher Gewandtheit, mit gleicher Lebendigkeit geführt. Das Auge der schönen Frau leuchtete dabei heller, als es gewöhnlich der Fall war, und das ernste Antlitz des Rittmeister von Blücher zeigte häufiger ein Lächeln, als man es sonst bei ihm zu sehen pflegte. Erst die von Neuem beginnende Musik unterbrach die fließende Unterhaltung der eifrig miteinander Redenden. Eine Wolke überflog die klare Stirn Frau von R…g’s, als der Tänzer erschien, dem sie das Menuett zugesagt; und nicht die kleinste Bewegung machend, um der Aufforderung zu folgen, sprach sie nachlässig: „Ich bin noch sehr müde, Herr von D**!“

„Gnädigste Baronin, Sie versprachen mir seit drei Wochen dieses Menuett!“ rief der junge Mann mit allen Anzeichen bitterer Enttäuschung, und sich zu seinem Landsmann, dem Rittmeister, wendend, setzte er bittend hinzu: „O Herr von Blücher, helfen Sie mir, Frau von R…g zu dem Tanz zu überreden!“

„Sein Wort muß man halten, jedes Versprechen ist heilig!“ entgegnete der zur Hülfe Aufgerufene mit freundlichen Lächeln und verbindlichem Tone; dennoch fiel aus seinem sanftblickenden Auge ein Strahl so mahnenden Ernstes auf die launische Schöne, und seine leichthin gesprochenen Worte hatten einen Anflug so tiefer Bedeutung, daß Frau von R…g sich schnell erhob.

Dankbar lächelte der Herr, etwas piquirt die Dame den Rittmeister an, indem sie in die Reihen der zum Tanze Antretenden eilten. Mit befriedigtem Ausdruck schaute Der, der die Sache so schnell geordnet, dem jungen Paare nach. Eine Weile sah Herr von Blücher dem graziösen Tanze der schönen Frau zu; dann verschwand er hinter der Portière, die schützend den Eingang zum Spielzimmer verhüllte.

Frau von R…g söhnte sich mit ihrem Tänzer, der eine so anregende und fesselnde Unterhaltung gestört hatte, aus, als sie bemerkte, wie genau derselbe den Herrn von Blücher kannte, wie warm er ihm anhing und wie bereit er war, ihr die gewünschte Auskunft über ihn zu geben.

Sie hatte bisher noch nichts von ihm gehört. Der Name Blücher besaß zu jener Zeit noch nicht die Berühmtheit, welche der Träger desselben ihm später verliehen. Daß er aber eine bedeutende, hervorragende Erscheinung war, sah und fühlte Frau von R…g, wenn sie auch nicht dachte, daß ihm eine so glänzende Zukunft bevorstehe, wie seine Thatkraft, sein Muth und seine Kühnheit sie sich geschaffen. Sie streifte nicht gerade oberflächlich über Das, was sie sah, fort, sie blickte aber auch nicht tiefer; da sie sich nun in der Mittelstraße hielt, riefen die Notizen, die sie durch ihren Tänzer, einen pommerschen Landedelmann, erhielt, keinen vorahnenden Gedanken in ihr wach und veranlaßten sie nicht zu dem festen Glauben, daß all die kleinen Züge, welche sie aus Blücher’s Leben vernahm, sicherste Gewähr für die Annahme leisten konnten, daß sie bereits die feste Grundlage zu dem Gebäude bildeten, dessen kühner, stolzer Säulenbau bestimmt war, einst von der gesammten Menschheit bewundernd angestaunt zu werden.

Alles, was Frau von R…g von Herrn von Blüchers bereits bewiesener Energie, Tapferkeit und Kühnheit hörte, fand sie begreiflich, denn es stimmte mit dem Eindruck überein, den sie durch seine Persönlichkeit empfangen. Unendlich belustigte sie die Art und Weise, wie er bei dem großen Könige, dessen Tod das Land zu der Zeit betrauerte, um seinen Abschied eingekommen war, und lachend wiederholte sie des kühnen Rittmeisters Worte: „Der von Jägersfeld, der kein anderes Verdienst hat, als der Sohn des Markgrafen von Schwedt zu sein, ist mir vorgezogen; ich bitte Ew. Majestät um meinen Abschied!“ Sie war überzeugt, sie würde diesen originellen Brief Blüchers nie vergessen.

Die Antwort Friedrich des Großen erzählte der für seinen Landsmann eingenommene Tänzer der jungen Freifrau nicht. Vielleicht wollte er zu Jemand, der ihm ein „Engel“ zu sein schien, nicht des „Teufels“ erwähnen. – Frau von R…g erfuhr die Entgegnung des beleidigten Monarchen aber noch an demselben Abend von anderer Seite, und die Dame, die ihr erzählte, daß Se. Majestät dem offenherzigen Briefschreiber geantwortet: „Der Rittmeister von Blücher ist seiner Dienste entlassen und kann sich zum Teufel scheeren!“ sie fügte auch boshaft hinzu: „Alle Versuche, die nun Herr von Blücher seit Jahren gemacht hat, um seinen Wiedereintritt in die preußische Armee zu bewerkstelligen, sind vergeblich geblieben, und wahrscheinlich wird auch seine jetzige Bemühung ohne den von ihm so heiß ersehnten Erfolg bleiben.“

„So ist er wohl augenblicklich nur aus dem Grunde in der Residenz, um seine Wiederanstellung zu betreiben?“

„Der und noch ein anderer ebenso wichtiger führt ihn stets nach Berlin, meine liebe Frau von R…g, und täuscht mich nicht Alles, werden Sie diesen Grund bald aus eigener Erfahrung schmerzlich kennen lernen.“

Ein kalter, stolzer Blick aus dem Auge der Freifrau hemmte den Redefluß der erregten Dame, die jedes Wort mit dem Accent der Bosheit weihte. Einen Moment stutzte Jene vor dem flammenden Auge, dann rief sie mit kurzem Lachen: „Eh bien, wir werden sehen! – Herr von Blücher hat jetzt Ihre Bekanntschaft gemacht, und nun wird er die Ihres Herren Gemahls und dessen voller Börse suchen. Er ist ein rasender Spieler. Ich will Ihnen gratuliren, wenn Sie bei Ihrer Abreise noch im vollständigen Besitz aller Ihrer schönen Diamanten sind.“

Das war der Dame aus der Creme des westphälischen Adels doch zu viel – zu stark! – Ihre Brillanten, die seit Jahrhunderten den Sieg über jeden alten kostbaren Familienschmuck davon getragen, sollten von ihrem Manne verspielt werden können! – Eine solche Aeußerung konnte nur mit Verachtung behandelt werden. Sie wurde es. Ein leichtes Zucken der schönen Schultern, eine flüchtige Neigung der schlanken Gestalt, war Alles, was die im Innern tief empörte Freifrau der boshaften Prophetin zu Theil werden ließ.

Frau von R…g’s Auge durchflog den Saal. Nirgends entdeckte sie jene sich vor Allen auszeichnende Persönlichkeit; aber plötzlich gewahrte sie Herrn von D**. Auf ihren Wink eilte er herbei.

„Sehen Sie meinen Mann nicht?“ fragte sie eifrig, um die Unterhaltung einzuleiten und auf Umwegen an ihr Ziel zu gelangen.

Nach kurzer Pause rief Herr von D**: „Dort unter den Palmen, Frau Baronin, wo Sie vorhin saßen.“

„Ach ja – ich sehe! – Ist der Herr, mit dem er redet, Ihr Bekannter, – wie heißt er doch? Wir sprachen vorhin von ihm.“

„Rittmeister von Blücher?“

„Ja, ja. Den meine ich!“

„Nein, Der ist es nicht!“

„Er ist wohl schon fortgegangen? Ein Ehemann, ein Vater von mehreren Kindern pflegt kein bedeutendes Interesse mehr für dergleichen Vergnügungen zu haben.“

„Sie haben Recht, Gnädigste; aber so viel ich eben sah, wird Herr von Blücher noch durch das Spiel hier gefesselt. Er ist dort im Nebenzimmer.“

„Ah – so! Also der Rittmeister ist Spieler? Man sagte mir folglich keine Verleumdung.“

„Wenn auch kein Spieler, Frau Baronin, so mindestens der Leidenschaft etwas ergeben. Das kann ich nicht leugnen! – Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_191.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)